Wie sich der deutsche Staat mehr anmaßt und weniger leistet

Dies ist nicht mehr mein Land. Ein Notruf in drei Teilen. (Teil 2)

Mindestens ebenso verheerend wie der im ersten Teil beschriebene Verlust des Zukunftsglaubens ist die Rückkehr der Propaganda: Über die Nachkriegsjahrzehnte hinweg galt die Regel, dass die Regierung durch Öffentlichkeitsarbeit zwar aufklärt, aber nicht mit Steuergeldern einseitig für eigene politische Projekte wirbt.1 und die Vorgabe, dass der Staat keine Medien redaktionell betreiben darf.2 Doch hat die aktuelle Bundesregierung mehr als jede Vorgängerin in aggressive Werbekampagnen für eigene Projekte investiert – zum Teil schon bevor diese überhaupt im Parlament zur Abstimmung gestellt wurden.

Dabei setzt sie nicht nur auf Werbung an öffentlichen Orten wie Bahnhöfen, Haltestellen oder Suchmaschinen, sondern schaltet auch in hohem Maße Anzeigen und Sonderformate in journalistischen Medien, womit sie wie jeder große Werbekunde deren Unabhängigkeit und Neutralität einschränkt.3 In einer parlamentarischen Demokratie grenzt es an Perversion, dass die Regierung inzwischen einer der größten Werbetreibenden ist.

Zugleich explodierte die Zahl von regierungseigenen Kanälen in Form von Online-Magazinen, Blogs, Social Media Profilen und Werbeseiten. Es waren Gerichte und nicht die eigene Verfassungstreue, die die Bestrebungen des Gesundheitsministeriums stoppten, eigene Inhalte bei Google prioritär ausspielen zu lassen.

Kurz darauf wurde bekannt, wie das Innenministerium Wissenschaftler für möglichst alarmistische Gefälligkeitsgutachten incentivierte, um Stimmung für einen Lockdown zu machen. Man blicke ins Wörterbuch und irre sich nicht: Das ist nicht mehr Öffentlichkeitsarbeit, das erfüllt die klassische Definition von Propaganda.

Das Land als Selbstbedienungsladen

Zugleich sind sämtliche Schamgrenzen gefallen. Traten noch unter Rot-Grün und Schwarz-Gelb Minister wegen vergleichsweise niedlicher Regelverstöße zurück, behandelt die aktuelle Regierung das Land wie ihren höchsteigenen Selbstbedienungsladen. Selbst offenkundige Anzeichen von Korruption, sehenden Auges herbeigeführte Milliardenschäden am Steuerzahler und öffentliches Scheitern von epischem Ausmaß bleiben ohne ernstzunehmende Konsequenz – teils wird mit der eigenen Dreistigkeit gar noch kokettiert.4

Dazu passt, wie beide Parteien den Staatsapparat kaum verholen für den Wahlkampf einspannen und im öffentlichen Ton die Selbstermächtigung überwiegt: Regierungshandeln wird begründet mit persönlichen Eindrücken oder gar nicht (immer häufiger heißt es bei Bundespressekonferenzen "kein Kommentar"), der Ton gegenüber Kritikern wird immer rauer.

Darin, sich selbst offen zu widersprechen und seine Ankündigung vom Juni (z.B. "Sobald alle ein Impfangebot haben, fallen sämtliche Beschränkungen") bereits im August unter den Tisch fallen zu lassen, sieht ohnehin niemand mehr ein Problem.

Hier springt es wesentlich zu kurz, mit dem Finger nur auf die Regierung zu zeigen. Denn auch der Blick in die Opposition oder die Bundesländer bietet wenig Grund zur Hoffnung. Bei der AfD nach Kämpfern für Verfassungstreue zu suchen, ist ohnehin ein absurdes Unterfangen. Doch auch die Grünen haben sich nicht erst unter Corona von ihren Bürgerrechtswurzeln und ihrer Staatskritik verabschiedet zugunsten einer Mischung aus konservativem Paternalismus und linker Regulierungs- und Ausgabenfreude.

Staatsquote steigt, Investitionen sinken

Neben einer Linkspartei, die lange Zeit nicht ohne Grund vom Verfassungsschutz beobachtet wurde, leistete lediglich die FDP zuletzt konsequente und konstruktive Oppositionspolitik – eine Partei, die im besten Fall auf untere Zehn-Prozent-Werte kommt. Es ist kein Zufall, dass sich bis auf letztere die Plakate der Parteien bis zum Verwechseln gleichen, sieht man von den Farben ab (und davon, dass die AfD den Ton der CDU vor 20 Jahren imitiert).

Und so wachsen unter wechselnden Regierungen Umfang und Selbstherrlichkeit des Staates – nicht aber seine Leistung. Seit der Wiedervereinigung ist die Staatsquote in Deutschland von zwei Prozent über dem Median der OECD-Staaten auf sagenhafte acht Prozent darüber angestiegen – und das war 2019, vor dem endgültigen Einstieg in die Staatswirtschaft unter Corona.

In derselben Zeit ist die staatliche Investitionsquote erst abgesunken, um in den letzten 20 Jahren zu stagnieren. Die Investitionslücke wächst, die Finanzlage der Sozialsysteme wird dramatischer, bei Infrastruktur – von Straße und Schiene bis 5G und Glasfaser – hat Deutschland ebenso den Anschluss an den Club führender Industrienationen verloren wie bei seinen Schulen.

Bei Steuern und Abgaben ist das Land hingegen laut OECD Weltmeister … im negativen Sinn. Sprich: Der Staat bläht sich immer mehr auf (der Bundestag ist nur ein Symptom davon), Bürger und Unternehmen haben aber immer weniger davon. Die Bürokraten bedienen sich selbst und halten Hof.

Wir erleben eine Entwicklung, die Davidson und Rees-Mogg bereits Ende der 1990er sehr luzide vorausgesehen haben: Der klassische Nationalstaat ist immer weniger in der Lage, seine Rolle befriedigend auszufüllen und sieht die Basis seiner Macht erodieren. Er wird daher nach innen immer expansiver und aggressiver werden – bis zur schmerzhaften Implosion.

Blickt man auf den aktuellen Diskurs, wird es so auch weitergehen –, bis es gewaltig kracht. Wie prekär man in Berlin die Lage einschätzt, ist auch daran abzulesen, dass Deutschland still und leise diesen Sommer auswanderungswilligen Bürgern Strafzahlungen auferlegt hat, die offen und wissentlich gegen EU-Recht verstoßen, um den beginnenden Exodus mit fiskalischer Gewalt zu bremsen.