Wie wäre die Welt ohne § 218 StGB?

Abtreibungen sind offiziell rechtswidrig, aber unter Umständen straffrei. Das lädt zur Stigmatisierung ein. Symbolbild: blende12 auf Pixabay (Public Domain)

Eine Reflexion der Standpunkte von Ärztinnen und Ärzten zum Schwangerschaftsabbruch

Der Umgang mit Schwangerschaftsabbrüchen - oder kurz: Abtreibungen - beschäftigt Generationen. In Polen wurden die ohnehin schon beschränkten Möglichkeiten erst im Oktober 2020 mit einem Urteil des Verfassungsgerichts weiter verschärft.

In Deutschland trat zum 1. Januar dieses Jahres eine Änderung von Paragraphen 219a StGB in Kraft, die Ärzte und Krankenhäuser unter Voraussetzungen vom "Werbeverbot" für Schwangerschaftsabbrüche ausnimmt. Das soll, anders als in Polen, die Hürden für ungewollt Schwangere senken, sich zu informieren, wo sie einen solchen Eingriff vornehmen lassen können.

Wenn Aktivisten prägnant die Abschaffung des Paragraphen 218 fordern, sollten sie bedenken, dass darin auch der Abbruch gegen den Willen der Frau verboten ist: Dieser gilt als besonders schwerer Fall und wird darum auch härter bestraft. Die Abschaffung dieses Verbots wäre wohl nicht im Sinne von Schwangeren.

Straffreiheit laut § 218a

Die Einführung des § 218a StGB Anfang der 1990er-Jahre war bekanntlich das Ergebnis eines gesellschaftspolitischen Tauziehens: Eine "schwarz-gelbe" Bundesregierung unter Helmut Kohl (CDU) war an der Macht und auch die Kirchen hatten wahrscheinlich mehr gesellschaftlichen Einfluss als heute (man denke nur an die Anzahl der Austritte). Außerdem war die Geburtenkontrolle in der DDR liberaler geregelt gewesen; und so musste man eine gemeinsame Lösung für Ost- und Westdeutschland finden.

Heraus kam dabei ein Spagat: Schwangerschaftsabbrüche bleiben strafrechtlich verboten - sind unter bestimmten Voraussetzungen aber straflos. Eine Möglichkeit ist die ärztliche Abtreibung nach einer Beratung bis zu zwölf Wochen nach der Befruchtung (§ 218a StGB Absatz 1).

Weniger bekannt dürfte sein, dass in einer Not- und Konfliktlage die Abtreibung durch einen Arzt bis zu 22 Wochen straffrei bleibt (§ 218a StGB Absatz 4). Hierfür gibt es dann zusätzliche Auflagen für die Beratung und ein eigenes Schwangerschaftskonfliktgesetz.

Die ethisch und juristisch schwierigsten Fälle sind aber die Ausnahmen nach § 218a StGB Absatz 2: Um nämlich "die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden", kann eine Abtreibung ohne zeitliche Beschränkung straffrei sein. Die Bedingungen hierfür stellen Ärzte fest.

Unumstritten dürfte das sein, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft das Leben der werdenden Mutter gefährdet. Wann aber ist eine psychische Beeinträchtigung so schwerwiegend, dass sie eine späte Abtreibung rechtfertigt? Der ungeborene Mensch könnte dann immerhin schon ohne die Mutter überlebensfähig sein - und wird dann hoffentlich gerettet. Dann wäre es aber eher eine vorgezogene Geburt als ein Abbruch der Schwangerschaft. Hier gibt es eine Gesetzeslücke.

Recht der Mutter und Recht des Embryos

In der Bilanz könnte man meinen, dass in Deutschland gesetzlich schon sehr viel möglich ist. An welche Fälle denken denn Vertreterinnen in der Frauenbewegung, denen diese Regeln zu weit gehen? Wann sollte eine Abtreibung möglich sein, wo sie heute noch verboten ist?

Natürlich stimmt "Mein Bauch gehört mir". Es stimmt aber auch, dass ein heranwachsender Mensch nicht nur irgendein Zellhaufen ist. Es erschiene paradox, einerseits den Lebensschutz von Tieren auszudehnen und jetzt zum Beispiel das Schreddern männlicher Küken zu verbieten (ein Verbot, das ich übrigens gut finde), doch andererseits ein ungeborenes Kind gar nicht zu schützen, selbst dann, wenn es mit den vorhandenen technischen Mitteln gerettet werden könnte.

Irgendeine Grenze wird man also ziehen müssen. Und hierfür gibt es nicht nur die Geburtsmedizin, sondern auch einen Ethikrat, von dem sich die Politik beraten lassen kann.

Hier in den Niederlanden wurden Abtreibungen unter bestimmten Bedingungen übrigens schon in den 1980ern straffrei gestellt. Interessanterweise hat man hier aber keine feste zeitliche Grenze definiert, sondern den Moment bestimmt, in dem "vernünftigerweise angenommen werden kann, dass die Frucht in der Lage ist, außerhalb des Mutterleibs am Leben zu bleiben" (Artikel 82a, Sr.; Übers. d. A.). Die Ministerien für Gesundheit und Justiz gehen davon aus, dass dies heute ab der 25. Schwangerschaftswoche gilt (also nach rund fünfeinhalb Monaten).

Entkriminalisierung

Man könnte der Forderung nach einem "Recht auf Abtreibung" entgegenkommen, indem man die Situation umdreht: etwa indem man den Abbruch erst ab einer bestimmten Woche bestraft. Das würde die "verbotene aber straffreie" Situation beenden, die manche Schwangeren vielleicht als belastend erfahren. Es wäre sozusagen eine Entkriminalisierung.

Formaljuristisch müsste man dann aber weiterhin eine Abtreibung gegen den Willen unter Strafe stellen. Und wenn man an der Notwendigkeit eines Beratungsgesprächs und/oder eine Bedenkzeit festhalten will, müsste das anders geregelt werden. Machbar wäre es, der Unterschied für die Praxis aber wohl gering.

Die neue Dokumentation "Konflikt Abtreibung: Wie Ärztinnen und Ärzte entscheiden" des NDR erweckt dann auch den Anschein, dass es gar nicht um die gesetzliche Regelung geht, sondern die tatsächliche Verfügbarkeit von Abtreibungsmöglichkeiten. Seit Anfang des Jahrtausends sei die Anzahl der Arztpraxen und Kliniken, die dies anbieten, nämlich um rund die Hälfte gefallen.

Angebot von Schwangerschaftsabbrüchen

Dann verfehlen aber aktivistische Forderungen nach Abschaffung des § 218 StGB (mit den oben genannten Einschränkungen) oder "Mein Bauch gehört mir" das Ziel. Die Frage wäre dann, wie sich bessere praktische Umstände für Schwangerschaftsabbrüche schaffen lassen.

Der von der baden-württembergischen Grünen Bärbl Mielich ins Spiel gebrachte Vorschlag, die Bereitschaft zu Abtreibungen an bestimmten Kliniken zur Einstellungsvoraussetzung zu machen, wäre in einem liberalen Rechtsstaat wohl nicht durchsetzbar. Zumal dann, wenn, wie auch in der Doku deutlich wird, der Eingriff bei vielen Ärztinnen und Ärzten zu einem Gewissenskonflikt führt.

Dem gehen die Moderatorinnen in der Doku auf den Grund. Sie sprechen beispielsweise (Etwa ab Minute 9:30) mit einer Frauenärztin aus der Umgebung Dresden, die früher zwar Abtreibungen vornahm, damit in ihrer eigenen Praxis aber aufhörte. Als Grund nennt sie ihre religiöse Überzeugung und den Schutz des Lebens.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.