Wie wurde Djindjic erschossen?
Die Ermordung des serbischen Premiers Zoran Djindjic gilt offiziell als aufgeklärt. Doch nun wurden Beweise veröffentlicht, die die "verordnete" Version des Tathergangs immer mehr in Zweifel ziehen. Ein Interview
Vor neun Monaten, am 12. März 2003, richtete sich ein Gewehrlauf - Marke "Heckler & Koch" - auf den serbischen Premier Zoran Djindjic (Schockzustand in Serbien). Doch vielleicht waren es auch zwei oder drei. Die Frage nach der Zahl der Attentäter hat neue Nahrung erhalten. Auch kritische und seriöse serbische Medien sind misstrauisch geworden. Den Auftakt machte ein von Radio B92 ausgestrahltes Interview mit Milan Veruovic, dem bei dem Attentat verletzten Bodyguard von Zoran Djindjic. Er sprach erstmals von der Version eines zweiten Schützen.
Am 22. Dezember hat der Prozess - kurz vor den Wahlen - gegen die mutmaßlichen Mörder von Zoran Djindjic begonnen. Die Anklage, die sich noch auf weitere Straftaten bezieht, richtet sich 44 Verdächtige. Von den 15 Verdächtigen, die direkt in Zusammenhang mit dem Attentat beschuldigt werden, wurden bislang nur 6 festgenommen, darunter Zvezdan Jovanovic, der als Djindjic erschossen haben soll. Die Staatsanwaltschaft hält weiter an der Version fest, dass es nur einen Schützen gegeben hat. Noch auf der Flucht befindet sich Milorad Lukovic ("Legija"), der als Drahtzieher des Anschlags gilt. Schon am Donnerstag wurde der Prozess auf unbestimmte Zeit wieder unterbrochen, nachdem Geständnis des mutmaßlichen Schützen Zvezdan Jovanovi vorgelesen wurde. Die Verteidiger lehnen ab, dass dieses erste Geständnis zu den Beweisunterlagen kommt, da es ohne Pflichtverteidiger und damit rechtswidrig erfolgt sei.
Im Dezember hat die politische Wochenzeitschrift NIN erstmals geheim gehaltene Polizeidokumente veröffentlicht, die die offizielle Version des einen Todesschützen widerlegen. Man geht nun mittlerweile von drei Attentätern und bis zu sieben Geschossen aus. Telepolis sprach dazu in Belgrad mit dem NIN-Journalisten Nikola Vrzic. Er arbeitet seit sieben Jahren bei der Zeitschrift und befasst sich seit dem 12. März 2003 - dem Tag des Attentats - mit der Rekonstruktion der Ereignisse.
Die offizielle Version der zuständigen staatlichen Stellen sagt, dass es lediglich einen Schützen gab, der Djindjic von der Admiral-Geprata-Straße aus erschossen hat. Es gab zwei Kugeln. Eine traf Djindjic, die andere dessen Bodyguard. Wie sieht Ihre Version aus?
Nikola Vrzic: Uns liegen Beweise aus Polizeidokumenten vor, die wir nun veröffentlicht haben. Diese sind am 12. März entstanden- als unser Premierminister erschossen wurde. Die Fotos zeigen, dass es mindestens drei Geschosse gab. Eins außerhalb des Gebäudes, an der Fassade. Zwei Geschosse im Gebäude. Letztere zeigen, dass sie nicht von der offiziellen Position aus abgefeuert worden sind. Sie hätten dann ihre Richtung ändern müssen, um in das Gebäude zu gelangen. Das lässt vermuten, dass es einen weiteren Schützen gab. Die Hauptfrage ist, in welche Richtung Djindjic geblickt hat, als er erschossen wurde. Hat er zum Gebäude geschaut, wie sein Bodyguard Milan Veruovic und andere Zeugen sagen. Oder stand er mit dem Rücken zum Gebäude, so wie es die Polizei und die offiziellen Stellen sagen.
Von welcher Version gehen Sie aus?
Nikola Vrzic: Als aller erstes habe ich den Obduktionsbericht gelesen. All diese Beweise sind geheim und die Öffentlichkeit hat keinen Zugang zu ihnen. Ich habe dazu auch einen Obduktionsexperten befragt. Demnach besteht - durch die Wunden, die an Djindjics Körper gefunden wurden - kein Zweifel daran, dass er zum Gebäude geschaut hat. Die Wunde des Eintritts des Geschosses ist an der rechten Seite seines Körpers, der Austritt auf der linken. Das heißt nur, dass das Geschoss von rechts kam. Es sagt aber nicht, wie Djindjic stand. Aber die Wunden an seinem Knie und seinem Kopf lassen vermuten, dass Djindjic auf sein Gesicht fiel. Das würde bedeuten, dass das Geschoss von der Birtschaninova-Straße gekommen ist. Wenn es von der entgegengesetzten Seite, als von der Admirala-Geprata-Straße gekommen wäre, wäre er auf den Rücken gefallen.
Die Kraft des Geschosses entschied darüber, wohin er fiel, ist das so?
Nikola Vrzic: Ja. Das ist einfache Physik und er hatte keinerlei Wunden auf dem Rücken oder auf dem Hinterkopf. Der einzig Beweisbare ist, dass er auf sein Gesicht fiel. Das heißt, dass seine rechte Seite die Birtschaninova-Straße zugewandt war und dann kam das Geschoß von dort.
Sie sprechen nun auch von einem möglichen dritten Schützen.
Nikola Vrzic: Die Geschosse, die im Gebäude gefunden wurden, lassen vermuten, dass es einen dritten Schützen auf der gegenüberliegenden Seite des Gebäudes der serbischen Regierung [Ort des Attentats - Anm. d. A.] gegeben haben muss. Denn das ist die einzige Position, von der diese Geschosse hätten abgefeuert werden können.
Das heißt, die offizielle Version ist derzeit aufgrund aller Beweise, die Sie veröffentlicht haben, nicht haltbar?
Nikola Vrzic: Ja, dass denke ich. Ich glaube, dass der Staat nicht genug Beweise haben wird, um Zvezdan Jovanovic zu verurteilen, der wegen der Ermordung von Djindjic in Haft sitzt. Ich glaube auch nicht, dass die richtigen Attentäter verhaftet wurden. Ich will nicht Zvezdan Jovanovic verteidigen, denn ich denke, er war an dem Attentat auf unseren Premierminister beteiligt. Aber ich glaube nicht, dass er der eigentliche Schütze war.
Im Gebäude wurde auf dem Treppenabsatz auch Blut gefunden. Von wem stammt dies?
Nikola Vrzic: Der Bericht hat nicht gesagt, wessen Blut es war. Der Bodyguard hat erklärt, dass er zum Auto gekrochen sei, nachdem er getroffen wurde. Das würde bedeuten, dass das Blut von Djindjic stammt. Und das würde bedeuten, dass er zunächst gegen die Tür gefallen ist, welche geschlossen war und dann in das Gebäude. Danach hat er sich bis zu den Treppen geschleppt. Was wiederum bedeuten würde, dass die Schießerei eine ganze Zeit anhielt. Zwischen 8 und 10 Minuten, das ist die Schätzung die am Tag des Attentats gemacht wurde. Und die offizielle Version sagt, dass es nur zwei Geschosse gab. Wenn das so war, warum hat er sich bis hierher geschleppt?
Was zeigt dann das im Fernsehen ausgestrahlten Video?
Nikola Vrzic: Das Video, das vom Belgrader Fernsehen B92 gemacht wurde, zeigt nur die letzten Sekunden der ganzen Sache. Als er ins Auto gelegt wurde und sie zum Krankenhaus gefahren sind. Die Aufnahmen zeigen nicht den Moment der Schießerei.
Wie war es dann nun für Sie möglich die neuen Beweise zu veröffentlichen?
Nikola Vrzic: Wir haben damit schlicht das Gesetz gebrochen. Meine Redakteure und ich glauben, dass das öffentliche Interesse wichtiger war.
Wie war die Reaktion darauf?
Nikola Vrzic: Die wichtigsten Politiker haben das kommentiert. Niemand zweifelt bisher die Informationen oder die Authentizität der Fotos an. Nur Zoran Zivkovic [Nachfolger von Zoran Djindjic] hat gesagt, dass dies die Fortsetzung der Tötung von Zoran Djindjic sei. Er hat gesagt, dass bereits alles bewiesen sei: "legal und politisch". Alles sei klar und wir seien so etwas wie Feinde. Wir haben Fragen zur offiziellen Version des Attentats auf Djindjic gestellt.
Wer ist dafür verantwortlich, dass noch immer an der offiziellen Version festgehalten wird? Was könnte dahinter stecken?
Nikola Vrzic: Der Ausnahmezustand, der hier nach dem Attentat herrschte, wurde politisch ausgenutzt. In dieser Periode lag der Erfolg darin, dass die Polizei gegen die Organisierte Kriminalität vorgegangen ist und dass das Ganze zum Vorteil der Politik ausgenutzt wurde. Die Krönung war dann die Festnahme des Attentäters. Die Beweise zeigen aber, dass die wahren Attentäter nicht festgenommen wurden. Das würde die Politik verletzen. Und uns stehen nun Wahlen bevor (Groß-Serbien oder Parlamentarische Monarchie?). Natürlich gibt es auch eine andere Möglichkeit. An diese will ich nicht glauben. Frühere Polizeiexperten sagen, dass das politische Establishment auf eine bestimmte Weise darin verwickelt ist. Diese Meinung existiert ebenfalls.
Und wer ist nun letztendlich verantwortlich? Dusan Mihaljovic als Innenminister, hohe Regierungsbeamte oder die gesamte Regierung?
Nikola Vrzic: Das ist schwer zu sagen. Zuvor war die Polizei natürlich mit der Untersuchung verbunden. Der Staatsanwalt ist mit der Politik verbunden, denn sie wählen ihn und seine Stellvertreter. Das heißt, dass vor allem die Regierung verantwortlich ist. Es ist nicht so sehr Dusan Mihaljovic. Ich denke eher, die ganze Regierung, natürlich nicht jeder Minister, aber die Regierung als Ganzes hat die Verantwortung dafür. Der Staatsanwalt ist eher ein Instrument der Regierung, mehr als dies die Polizei ist.
Was bedeuten Ihre Recherchen nun für den Prozess? Können sie die ganze Sache verändern?
Nikola Vrzic: Es ist schwer vorauszusagen, was im Gericht passieren wird. Aber die Verteidigungsanwälte haben alle Materialien. Ich denke, sie werden sie auch benutzen. Meine Angst ist, dass die Ermordung unseres Premierministers nicht aufgeklärt wird. Wegen der Untersuchungen, die voll von Löchern und Fehlern war, wird der Tathergang des Attentats unbekannt bleiben. Ich kann nur zeigen, dass es Beweise gibt, die gegen die offizielle Theorie sprechen. Damit kann ich vielleicht die ganze Sache in Bewegung bringen. Ich bin kein Polizist, der Untersuchungen vornehmen kann. Ich kann nur als Journalist die Beweise so darstellen, wie es die reale Untersuchung gebraucht hätte. Es ist nun an der Polizei, dies zu tun.
Wie war die Medienreaktion?
Nikola Vrzic: Natürlich haben die Medien unsere Informationen übernommen. Andere Medien wiederum, die offensichtlich unter Polizeikontrolle stehen, oder Journalisten, die sehr eng mit der Polizei verbunden sind, haben in der Weise reagiert, dass sie in ihren Artikeln den Fokus zurück auf den offiziellen Schützen Jovanovic gelenkt haben. Sie haben gesagt, dass es Beweise gibt, die die offizielle Version stützen. Bisher wurden diese aber nicht veröffentlicht.
Wurde versucht, ihre Beweise zu entkräften?
Nikola Vrzic: Sie haben meine Beweise nicht kommentiert. Sie haben nur Artikel veröffentlicht, die gesagt haben, dass ein Bericht aus Wiesbaden vom BKA die offizielle Theorie unterstützen würde.
Dieser sagt aber nur aus, dass Textilspuren eines Handtuches am Gewehr gefunden wurden.
Nikola Vrzic: Ja. Es wurde ein Handtuch über das Fenster gehängt, darauf wurde das Gewehr abgesetzt. Das bedeutet nur, dass zwei Schüsse aus diesem Fenster abgefeuert wurden und dass diese aus dieser Waffe stammen. Es gibt aber noch keine Beweise, die Jovanovic mit diesem Gewehr in Verbindung bringen. DNA-Untersuchungen haben auch kein Resultat erbracht.
Wurden von der Polizei auch die anderen möglichen Abschussorte untersucht?
Nikola Vrzic: Ich habe herausgefunden, dass dieser Ort [Birtschaninova-Straße] auch von der Polizei direkt nach dem Attentat untersucht wurde. Bis Milan Veruovic - der Bodyguard - von dieser Straße gesprochen hatte, war das kein Thema. Nun wissen wir, dass die Polizei das Gebäude untersucht hat, kurz nach der Ermordung. Aber ich weiß nicht, was dort entdeckt wurde.
Telepolis: Gibt es Drohungen gegen Sie, da Sie die offizielle Version angreifen?
Nikola Vrzic: Nein, niemand droht.