Wieder einmal "Fachkräftemangel": ChatGPT wird ideologisch

Symbolbild: Alexandra_Koch auf Pixabay (Public Domain)

Was eine intelligente Maschine zum Fachkräftemangel zusammenträgt, verdient eine marxistische Kritik.

ChatGPT, ein vielbeachteter Bot von Künstlicher Intelligenz (KI), nimmt zum vielbeklagten Fachkräftemangel (etwas gekürzt) folgendermaßen Stellung:

"Der Fachkräftemangel in Deutschland ist eine Folge von demografischen Veränderungen, wie der Alterung der Bevölkerung und der sinkenden Geburtenrate, und dem wirtschaftlichen Wachstum, das zu einer höheren Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften führt. Zudem erschweren ein Mangel an Ausbildungsplätzen und eine unzureichende Anpassung der Bildungssysteme den Zugang zu Fachkräften. Um den Fachkräftemangel zu bekämpfen, könnten folgende Maßnahmen ergriffen werden:

  • Investitionen in die berufliche Bildung und Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen
  • Anpassung der Bildungssysteme an die Bedürfnisse der Wirtschaft
  • Förderung der Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte aus dem Ausland
  • Erhöhung der Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer durch Anreize und Anhebung des Rentenalters
  • Flexibilität durch angepasste Arbeitszeiten und -bedingungen, um berufliche und familiäre Verpflichtungen zu vereinbaren
  • Attraktiveres Arbeitsumfeld und bessere Entlohnung
  • Flexibilisierung des Arbeitsrechts und Vermeidung von Überregulierung
  • Steigerung der Geburtenrate durch Familienfreundlichkeit"

Auf "Objektivität" programmiert

Diese maschinelle Stellungnahme dürfte als Gliederung einer Erörterung im Fach Deutsch problemlos hinreichen. Sogar für einen Hintergrundartikel im Berufsjournalismus ließe sie sich schnell zu einer Recherche erweitern. Etwa dazu, wo solche Dienstleistungen passend zum Thema einem möglichen Personalmangel beziehungsweise den Kosten seiner Behebung entgegenwirken könnten. Die Ausführungen des Bots werden nicht dadurch getrübt, dass ihre Datenbasis nur bis September 2021 reicht und daher die aktuelle mediale Aufregung über den vermeintlichen Missstand noch nicht aufgegriffen wurde.

Denn die regelmäßig und bevorzugt nach Wirtschaftskrisen publizierten Klagen über ein "Mismatch auf den Arbeitsmarkt" liefern digitalen Niederschlag genug. Bemerkenswert ist auch die "Selbstauskunft", die ChatGPT seinem Statement nachschiebt: "Als KI, die von OpenAI trainiert wurde, bin ich neutral und habe keine eigenen Vorlieben oder Meinungen. Meine Aufgabe besteht darin, präzise und objektive Informationen zu liefern und zu beantworten, was ich gefragt werde."

Wir erleben hier also – um dem Folgenden etwas vorzugreifen – ein Phänomen, das der alte Marx sich unmöglich vorstellen konnte, als er meinte, die herrschenden Ideen seien stets nur die Ideen der Herrschenden. Offenbar hat die Entwicklung der Produktivkräfte heute sogar eine Maschine in die Lage versetzt, verbreitete und einhellige Überzeugungen der zweibeinigen Meinungsbildner nachzuplappern und als "neutrale" und "objektive Information" zu präsentieren.

Dass diese "Objektivität" nur eine ist, die aus maßgeblichen Interessen hervorgeht, ist jetzt zu zeigen.

Arbeitsmarkt: Nachfrage schafft Angebot

Das beginnt mit der zitierten Behauptung, der Fachkräftemangel auf dem Arbeitsmarkt resultiere aus einem Missverhältnis zwischen der Demografie als auf der Angebotsseite und einem Wirtschaftswachstum, das getrennt davon nachfragebestimmend sei. Das Wesen dieses seltsamen Marktes trifft das nicht, denn dessen Besonderheit besteht darin, dass seine beiden Seiten, die nachgefragte wie die angebotene Arbeitskraft, den Sachzwängen der kapitalistischen Konkurrenz unterliegen.

Es ist nur eine marktwirtschaftlich interessierte Einbildung, dass zwischen Geburtenrate oder Altersstruktur und dem Bedarf an menschlichen Ressourcen des Wachstums eine Passung bestehen sollte.

Auch deckt das Kapital seinen Personalbedarf nicht einfach aus einer naturwüchsigen Bevölkerung, schon gleich nicht mittels geschäftsschädigender Kosten – beispielsweise für die Vorhaltung, Qualifikation und Versorgung personeller Reserven. Die würden rein hypothetisch in Gestalt von Landsleuten ohne Erwerbseinkommen oder von Fremden, die Elend und Krieg entflohen sind, in genügender Anzahl herumlaufen.

Vielmehr bevölkert die erfolgreiche Akkumulation selbst das Angebot am Arbeitsmarkt, das sie dort nachfragt. So sehr, dass dieses wegen der Einsparung von bezahlter Arbeit durch Kapitalproduktivität systemgemäß – nämlich in der Existenz von Arbeitslosen – meist als Überangebot vorliegt, das seinerseits die Lohnkosten senken hilft. Diese kapitalistische Selbstbedienung geht nicht ohne Widersprüche und Friktionen ab, die dann als Fachkräftemangel beklagt werden.

Hinter der Klage steckt aber die harte Wahrheit, dass sie keinen demografischen Fakten entstammt, sondern dem unternehmerischen Interesse, einen Zustand zu pflegen oder herzustellen, indem ein ausnutzbares Arbeitsvermögen preiswert und im Übermaß zur Verfügung steht. Dieses Interesse bedient sich daher auch des Zugriffs auf ausländische Bevölkerungen.

Dazu braucht es zwar staatliche Lizenz und Betreuung (wie alles unternehmerische Streben), die ökonomische Grundlage sind aber erneut in Konkurrenzerfolge, die im Fall der Euro-Macht Deutschland bis 2020 zum Beispiel einen Zustrom von 1,3 Millionen arbeitssuchendem Osteuropäern herbeiführten. Wobei die Gesamtquote der hier beschäftigten ausländischen Staatsbürger fast 13 Prozent beträgt.

Die Zahl der Beschäftigten, die von bundesdeutschen Unternehmen entlassen bzw. in ihrer Qualifikation überflüssig gemacht werden – oder die von sich aus kündigen, weil sie eine solche Entwicklung antizipieren oder ihrem bisherigen Lohnniveau entkommen wollen, liegt zwischen 3,5 und 4,5 Millionen pro Jahr. Vor allem aus diesem Reservoir bedient sich die Nachfrage nach Arbeits- und Fachkräften.

Die bitterere Ironie dabei: Auch von dem Anteil, dessen Arbeitsvermögen gerade durch profitablere Produktionsmethoden entwertet wurde, wird erwartet, dass er die nötigen Qualifikationen für die modernisierten Beschäftigungsverhältnisse aufweist. Daraus, dass die Betroffenen das nicht tun, wie ihre Entlassung ja dokumentiert, mag ein Reibungsverlust im Geschäftsgang hervorgehen.

Im Gegenzug zwingt der Arbeitsmarkt, wieder als Folge seiner Beherrschung durch das Kapital, den Arbeitssuchenden die Notwendigkeit auf, Beschäftigungschancen in Eigenregie an sich herzustellen bzw. sich mit Löhnen abzufinden, die die entwertete Qualifikation noch hergibt.