Wiederaufnahme der Gaslieferungen – Schwäche oder Stärke Russlands?
Wenn die Energiewende verschleppt wurde und bei Sanktionen der Wunsch der Vater des Gedanken ist
Nun hat "der Russe" also nicht das Gas abgedreht. Seit Donnerstag fließt es wieder durch die Pipeline nach Deutschland. Dabei wurde über Tage hinweg gerätselt, ob der Wunschtraum der besonders kalten Krieger in Erfüllung geht und Russland selber das "Putin-Gas" kappt. Deshalb ist man auch bei den Grünen besonders empört.
Die wären natürlich froh gewesen, wenn Russland das Gas gekappt hätte und damit ihren Plan eines von Russland auf energiepolitischer Ebene unabhängigen Deutschland bedeutend näher gebracht hätte.
Während viele Menschen vielleicht etwas aufatmen, dass die Energiekrise zumindest momentan nicht in seine finale Phase eintritt, schimpft die NRW-Landesvorsitzende Mona Neubaur: "Wir hängen am langen Arm des Kriegsverbrechers Putin."
Da wird schon deutlich, wie sauer die Politikerin ist, dass nun weiter russisches Gas nach Deutschland fließt. Sie ist da in Deutschland nicht allein. Die allgemeine Reaktion nach der Wiederaufnahme der Gaslieferungen war Kritik an Russland. So interpretiert Stefan Meister von der Gesellschaft für Auswärtige Politik im Interview mit dem Deutschlandfunk die russischen Gaslieferungen als Zeichen der Schwäche.
Russland sei inzwischen in einer schwachen Position, der russische Präsident Wladimir Putin reagiere nur noch, so Meisters Interpretation. Mit der Androhung von Gasdrosselungen oder einer Ausweitung der militärischen Offensive versuche Putin Panik zu schüren und seine Position für Verhandlungen zu stärken.
Da fragt man sich, warum dann Deutschland nicht auf das Gas verzichtet. Warum bangte man fast die gesamte letzte Woche, ob überhaupt noch Gas fließen wird? Dabei wurde doch in Wirklichkeit deutlich, was Larry Elliott in der Wochenzeitung Freitag schrieb: "Russland gewinnt den Wirtschaftskrieg". Dafür finden sich in dem Artikel auch einige gute Argumente.
Als die EU Ende Mai ihr Embargo auf Teile der russischen Ölexporte verkündete, stieg der Rohölpreis auf den globalen Märkten, was dem Kreml einen weiteren finanziellen Vorteil bringt. Derweil hat Russland keine Schwierigkeiten, alternative Märkte für seine Energie zu finden. Die Öl- und Gas-Exporte nach China im April etwa erhöhen sich jährlich um mehr als 50 Prozent.
Larry Elliott, Freitag
Der Autor benennt dabei durchaus korrekt die Folgen der Sanktionen auch für Russland. Er verweist darauf, dass nach Schätzung des Internationalen Währungsfonds die Wirtschaft des Landes dieses Jahr um 8,5 Prozent schrumpft, da die Importe aus dem Westen eingebrochen sind. Russland besitze einen Lagerbestand an essenziellen Gütern, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, aber irgendwann werden sie aufgebraucht sein.
Pfeifen im Walde statt deutscher Stärke
Diese nüchterne Beschreibung hebt sich wohltuend ab, von der Berichterstattung in Deutschland, die suggeriert, dass noch die Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland ein Zeichen der Stärke Deutschlands sei.
Doch das bloß ein Pfeifen im Walde, mit dem die Beteiligten ihre Angst bewältigen wollen, die sie beschleicht, weil sie eben wissen, dass Deutschland in den nächsten Monaten nicht auf russisches Gas verzichten kann. So ist auch aus der neuesten Putin-Schelte die Angst herauszuhören, dass dann ja im Herbst und im Winter doch noch das Gas ganz versiegen könnte.
So will man eine Bevölkerung, die angesichts steigender Inflation, vor allem aber auf dem Energiesektor, zu fragen beginnt, was denn wohl Sanktionen taugen, mit denen man sich selber in Herz und Lunge schießt. Wenn dann in Deutschland die Menschen im Kalten sitzen und Russland Gas zu einem höheren Preis verkauft, muss eigentlich im Sinne der Embargobefürworter etwas falsch laufen.
Daher wird es schon als russische Desinformation bezeichnet, wenn man die Wirkung der Sanktionen als gescheitert bezeichnet. Das alles dient der Stärkung der Heimatfront, und die muss jetzt schon auf einen kalten Winter des Missbehagens vorbereitet werden. Proteste werden dann schon als rechts geframt, bevor sie überhaupt begonnen haben. Es wird zweifellos Rechte geben, die die Krise für ihre reaktionären Zwecke ausnutzen.
Doch die Warnungen richten sich an Linke, die die Krise nutzen könnten, um die kapitalistische Landnahme in Frage zu stellen. So hat die Debatte um eine ostdeutsche Linke wieder an Fahrt aufgenommen. In einem Beitrag heißt es:
Gegenstand einer ostdeutschen, sozialistischen Linken kann nur die soziale Frage für alle Lohnabhängigen jenseits ethnischer und geschlechtlicher Zuschreibungen sein. Ihre Beantwortung strebt die Zunahme materieller, d.h. sozialer Gleichheit an. Als Mehrheit der Bevölkerung haben sie gemeinsame Interessen, die durch die private Aneignung des von ihnen erwirtschafteten Mehrprodukts nicht realisiert werden.
Autoren-Kollektiv-Ost
Interessant ist, dass Linke mehrerer Generationen beteiligt sind. Schon der Telegraph, die Zeitung der linken DDR-Opposition, nannte sich ostdeutsche Zeitung. Solche Bestrebungen, wenn sie nicht nur theoretisch bleiben, könnten dem kapitalistischen Burgfrieden in Deutschland gefährlich werden. Daher muss jetzt die Heimatfront im Kampf gegen Russland besonders harsch verteidigt werden.
Das zeigten die Reaktionen auf die Anregung des konservativen sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU), den Ukraine-Konflikt "einzufrieren". Nicht nur der gerade abberufene ukrainische Botschafter Andrij Melnyk reagierte darauf wütend. Besonders im Lager der Grünen ist man erzürnt. Dort will man den Krieg weiterführen bis zum letzten Ukrainer.
Es greift aber zu kurz, wenn sich der Historiker Jürgen Grosche in der Wochenzeitung über "Mobilisierte Ungediente" mokiert. Da sollte man schon die Texte von Detlef Hartmann lesen. Der sozialrevolutionäre Theoretiker sieht die Grünen deshalb als aggressivste Fraktion des deutschen Kapitals, weil sie den aktuell besonders innovativen Teil desselben vertreten.