Wiedersehen mit GLaDOS

Portal 2 macht den Spieler zum Versuchskaninchen

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Anstrengender als HAL 9000: Die Künstliche Intelligenz GLaDOS ist der Alptraum aller Probanden. In Portal 2 stellt sie das einmal mehr eindrucksvoll unter Beweis.

Chell schläft fest und lang, jahrhundertelang. Regungslos liegt sie in ihrem Container, während drumherum die Natur den Forschungskomplex von "Aperture Sciences" erobert: Farne und Moos wuchern in den verwaisten Hallen, Lianen klettern durch die eingestürzten Decken. Ein friedlicher Ort, der kaum erahnen erlässt, dass Chell hier einmal lebensgefährliche Tests bestehen musste. Als die junge Frau dann von einem Roboter geweckt wird, macht sie sich sogleich auf den Weg aus dem Labyrinth. Doch nicht nur Chell hat die Jahrhunderte überstanden: Auch ihre Gegnerin GLaDOS, die Künstliche Intelligenz der Forschungslabore, erwacht zu neuem Leben. Einst deaktiviert, sinnt GLaDOS nun auf Rache. Und macht Chell erneut zur Probandin wider Willen.

Mit Portal 2 legt das Entwicklerstudio Valve den mit Spannung erwarteten Nachfolger des Überraschungshits von 2007 vor. Aus dem Studentenprojekt Narbacular Drop entstanden, deklinierte Portal eine einfache Grundidee aufs Souveränste durch: die geschickte Platzierung von Dimensionstoren, um einen Hindernisparcours zu überwinden. Fürs Teleportieren benötigt der Spieler stets ein blaues und ein orangefarbenes Tor, die er mit seiner "Portal Gun" auf Decken, Wände und Böden schießt.

Nicht nur der anspruchsvollen Rätsel wegen wurde (das) "Portal" schnell zum Klassiker: Mit der sadistischen Versuchsleiter-KI GLaDOS schuf Valve einen der denkwürdigsten Gegner der Computerspielgeschichte, der nicht von ungefähr an HAL 9000 aus "2001: Odyssee im Weltraum" erinnerte. Gleichwohl war "Portal" nicht perfekt: Valve verzichtete auf eine ausgefeilte Story, die Spieldauer betrug nur etwa vier Stunden. Für "Portal 2" hat das US-Entwicklerstudio nun an allen Seiten draufgepackt: Es gibt eine rund zehnstündige Einzelspielerkampagne, mehrere neue Charaktere und einen umfangreichen Koop-Modus. Vor allem aber bietet "Portal 2" viele neue Physikrätsel, die für reichlich Abwechslung sorgen.

GLaDOS gibt sich alle Mühe, die morschen Testkammern von "Aperture Sciences" auf Vordermann zu bringen - wenn es nach ihr geht, soll Chell auf immer im Hamsterrad der Forschung hecheln. Zu den neuen "Spielzeugen" zählen beispielsweise Würfel mit reflektierenden Oberflächen, mit denen Laserstrahlen umgeleitet werden können, oder auch begehbare Lichtbrücken. Wie in Teil 1 kann sich der Spieler aus großer Höhe in Portale fallen und auf weit entfernte Plattformen schleudern lassen - daneben gibt es aber jetzt auch Katapulte und Traktorstrahlen. Ähnlich wie das Gratisspiel Tag: The Power of Paint kommen in "Portal 2" Gels mit unterschiedlichen Eigenschaften zum Einsatz: Blaues Repulsion Gel lässt den Spieler höher springen, rotes Propulsion Gel beschleunigt ihn, mit weißem Conversion Gel kann er Portale auch auf Flächen platzieren, die sonst nicht dafür geeignet sind. Die Flüssigkeiten werden nicht "von Hand" aufgetragen, sondern über Portale im Raum verteilt - mit Wasser lassen sie sich wieder abwaschen.

Wiedersehen mit GLaDOS (7 Bilder)

Auch sonst erlaubt das Spiel ein schrittweises Vorantasten nach dem Trial-and-Error-Prinzip: Bei längeren Rätselketten speichert es nach jedem wichtigen Etappenziel automatisch. Klaffende Abgründe, Säurebecken und Geschütztürme verlangen dem Spieler eine ganze Menge Hirnschmalz ab. In einigen Situationen ist auch Reaktionsschnelligkeit gefragt, etwa dann, wenn ein neues Portal mitten im Flug platziert werden muss. Valve steigert den Schwierigkeitsgrad der Level mit Bedacht - nur selten gibt es Ausreißer, bei denen man sich eine Hilfefunktion wünscht. Erfolgreich gelöste Rätsel werden von GLaDOS wahlweise mit falschen Versprechungen, vergiftete Schmeicheleien oder beißendem Spott ("Du fliegst wie ein Adler - ein fetter Adler") belohnt. Protagonistin Chell bleibt - in guter alter Gordon-Freeman-Manier - stumm. Eine etwas fragwürdige Gamedesign-Entscheidung ist die Hinzunahme des tolpatschigen Roboters Wheatley, der Chell auf ihrer Flucht begleitet: An der geschwätzigen Blechkugel - im englischen Original von Stephen Merchant gesprochen - dürften sich die Geister scheiden. Trotz gewisser Längen in der zweiten Spielhälfte bietet die Singleplayer-Kampagne aber hervorragende Unterhaltung.

Wer den Solo-Part erfolgreich hinter sich gebracht hat, wird im Koop-Modus neue Herausforderungen finden. Valve begnügt sich keineswegs damit, die Singleplayer-Rätsel zu recyceln. Stattdessen bietet der Koop-Modus eine separate Story, in deren Verlauf sich die Spieler ordentlich ins Zeug legen müssen. Als Roboter-Slapstick-Duo Atlas und P-Body verfügt jeder von ihnen über eine Portal Gun, es darf also mit vier Dimensionstoren jongliert werden, was die Lösungsmöglichkeiten vervielfacht. Damit das Ganze nicht im Chaos endet, sollte Voice Chat verwendet werden - oder gleich der lokale Splitscreen. Dank Steamworks können PS3- und PC-Besitzer im Netz gemeinsam antreten. Fazit: Portal 2 macht nahezu alles richtig, auch kleinere Schwächen der Einzelspielerkampagne können das Gesamtbild kaum trüben.