Wien: Wie der Eklat um das Taylor-Swift-Konzert politisch missbraucht wird
Die Motive der mutmaßlichen Attentäter auf das Event sind unklar. Doch der politische Schlagabtausch ist in vollem Gange. Beobachtungen aus Wien.
Tausende Fans der US-Sängerin Taylor Swift feierten nach der Absage ihrer Konzerte in Wien auf den Straßen Wiens. Sie wollten das Beste aus den abgesagten Events machen. Warum man den weiten Weg nach Wien auf sich nimmt, nur um vor dem Stadion zu stehen, wo an den Konzerttagen 20.000 bis 30.000 Fans erwartet wurden, erschließt sich außerhalb der Community vielleicht nicht sofort.
Aber der Austausch bunter, selbst gebastelter Perlenketten ist eine sympathische Botschaft internationaler Verbundenheit und jugendlicher Toleranz. Die so zelebrierte Gruppenidentität bietet Bestätigung und macht einfach Spaß. Schade aber, dass der harmlose Spaß des Konzerts ausfallen musste.
Wie konkret waren die Anschlagspläne?
Umso mehr stellt sich die Frage, was genau die mutmaßlichen Attentäter vorhatten. Der 19-jährige Hauptverdächtige aus der niederösterreichischen Metallarbeiterstadt Ternitz hat bereits gestanden, einen Selbstmordanschlag geplant zu haben. Bei ihm wurden Sprengstoff, Messer und ein Blaulicht gefunden, mit dem er ein Auto als Einsatzwagen hätte tarnen können.
Heute ist das Ernst-Happel-Stadion in Wien von Pollern und Betonblöcken umgeben, bei Konzerten und Fußballspielen werden die Straßen weiträumig abgesperrt. Da kommt man mit Macheten und Sprengstoff auch mit Blaulicht auf dem Dach nicht so leicht durch.
Ein Wort in der Mitteilung des Bundesinnenministeriums ist allerdings bemerkenswert. Der zweite Terrorverdächtige, der ebenfalls aus Ternitz stammt, aber in Wien verhaftet wurde, soll für eine "Facility Company" gearbeitet haben, die am Swift-Konzert beteiligt gewesen sein soll.
Wenn er privilegierten Zugang zum Stadion hatte, werden die Anschlagspläne plausibler. Genau dieser Grund war laut Veranstalter Barracuda Music ausschlaggebend: Man konnte am Mittwoch nicht sagen, ob weitere Personen, die bei der Wiener Konzertorganisation beschäftigt waren, in die Terrorpläne involviert waren.
Die Gefahr hätte also groß sein können und es ist gut, dass die Polizei und der neu gegründete österreichische Geheimdienst DSN (das ehemalige BVT war durch Skandale in Ungnade gefallen und international isoliert) alle Anschlagspläne frühzeitig gestoppt haben. Hier gebührt den Ermittlungsbehörden Lob.
Kampf um Deutungshoheit
Der Fall ist nun politisch hochbrisant. Im Wahlkampf haben alle politischen Parteien im Nationalrat ein gesteigertes Interesse an der genauen Aufarbeitung der Ermittlungen. Die regierende ÖVP versucht sich als Law-and-Order-Partei zu inszenieren. Die Opposition stellt genau das infrage.
Die SPÖ ist bereits vorgeprescht. Der sozialdemokratische Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner will von ÖVP-Innenminister Gerhard Karner Auskunft: "Ein erster Schritt muss jetzt sein, dass der Innenminister die Öffentlichkeit darüber aufklärt, wie und in welchem zeitlichen Ablauf die Ermittlungen zu den Terrorplänen für das Taylor-Swift-Konzert, die glücklicherweise verhindert werden konnten, abgelaufen sind.
Zu langsam oder zu schnell reagiert?
Der Innenminister muss zwischen zwei Abgründen balancieren. Abgrund eins: Die als gemütlich verschrienen österreichischen Staatsschützer haben schon viel früher Hinweise von ihren Kollegen aus den USA erhalten, sind diesen aber zu langsam nachgegangen und haben zu spät reagiert, wodurch das beliebte Swift-Konzert durch die Schuld der Behörde abgesagt werden musste.
Angeblich wurden die ersten Hinweise bereits vor 14 Tagen an den österreichischen Heeresnachrichtendienst übermittelt, die wirklich heißen Tipps kamen laut Innenministerium aber erst später.
Abgrund zwei: Die weiteren Ermittlungen ergeben wenig Substanz und mit großem Getöse werden zwei verwirrte Teenager verhaftet, die sich in einer schwierigen Lebensphase (Job gekündigt, Freundin verlassen) im Internet vor ihren Kumpels als IS-Terroristen aufgeblasen haben, aber niemals in der Lage gewesen wären, einen Anschlag tatsächlich durchzuführen.
Ein solcher Anschlag erfordert Vorbereitung und Wissen, das die beiden Niederösterreicher kaum gehabt haben können. Das Fehlen von Hinterleuten nimmt den Anschlagsplänen vermutlich viel von ihrer politischen Würze.
Anlassgesetzgebung statt Analyse
Die Sozialdemokraten haben daher ihre Karten scheinbar gut ausgespielt und die Einberufung des Nationalen Sicherheitsrates für Dienstag durchgesetzt, um volle Transparenz zu schaffen. Allerdings torpediert sich die SPÖ im Wahlkampf durch ihren ungelösten Flügelkampf immer wieder selbst.
Der niederösterreichische SPÖ-Vorsitzende Sven Hergovich forderte eilig ein "Islamismus-Verbotsgesetz". Ein politischer Schnellschuss, der wohl rechte Befindlichkeiten bedienen soll. Hunderte Male haben die Sozialdemokraten – zu Recht – die "Anlassgesetzgebung" von ÖVP und FPÖ im Zusammenhang mit Kriminalität und Islamismus kritisiert und nun rufen sie selbst danach.
Es gibt bereits einen umfassenden Strafrahmen, der die Verhetzung und den Aufruf zu Gewalttaten unter Strafe stellt. Hergovich kam daher rasch in Erklärungsnot.
Nicht nur wer konkret zu Gewalt aufruft, soll strafrechtlich verfolgt werden, sondern es reicht bereits, Demokratie und Frauenrechte infrage zu stellen. Allerdings, so die nachträgliche Klarstellung, "wenn dies an die Ideologie des politischen Islam anknüpft".
Natürlich muss der Kampf gegen den Gottesstaat so geführt werden, dass es nicht zu Verhaftungswellen in katholischen Pfarrhäusern wegen der Kirchenväter kommt, und wenn jeder, der im Internet über Frauen herzieht, bestraft werden soll, dann hätten die Behörden wirklich viel zu tun.
Rechte Stehsätze
Für die FPÖ ist das Spiel der politischen Ausschlachtung wesentlich einfacher. In trauter Eintracht mit dem Medienboulevard werden Ressentiments geschürt. Österreich sei kein sicheres Land mehr. Die Migrationspolitik sei gescheitert, die Regierung habe die Kontrolle verloren und so weiter.
Der Rechtspopulismus darf alle seine Stehsätze auspacken. Da die an den Anschlagsplänen beteiligten Österreicher einen Migrationshintergrund haben, fordert FPÖ-Obmann Herbert Kickl deren Ausbürgerung. Im künstlich aufgebauschten Terrorschock erscheint Remigration plötzlich plausibel.
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Die anderen Parteien tun sich schwer, darauf angemessen zu reagieren. Das hat sachliche Gründe. Gesellschaftliche Lösungen brauchen Zeit und Mühe, rechtspopulistische Parolen nicht. Beim Lokalaugenschein in Ternitz sind Bürgermeister und Streetworker bestürzt über die Radikalisierung ihres 19-jährigen Mitbürgers.
Das Zusammenleben der verschiedenen Kulturen funktioniere einwandfrei in der Stadt, die durch ihre Industriearbeitsplätze kulturell vielfältiger sei als andere österreichische Gemeinden. Es wird viel für die Jugend getan, die sich auf Sportplätzen trifft und gelernt hat, mit aufkommenden Konflikten umzugehen.
Das Zusammenleben ist nie einfach und reibungslos, und wenn nun antiislamische Ressentiments geschürt werden, sei es von der rechtspopulistischen FPÖ oder von ungeschickt agierenden Sozialdemokraten, dann wird das Leben in Ternitz komplizierter.