Terrorgefahr in Wien: Warum Islamisten Taylor Swift hassen und was der Wahlkampf daraus macht

Als erfolgreiche Frau scheint Taylor Swift für Islamisten ein rotes Tuch zu sein. Doch es gibt Ähnlichkeiten zu anderen Frauenhassern. Foto: Alexey Fedorenko / Shutterstock.com

Nach Terroralarm und Konzert-Absage: Anti-Migrations-Wahlkampf nimmt Fahrt auf. Was Islamisten und klassisch Rechtsextreme verbindet. Ein Kommentar.

Das beschauliche Ternitz in Niederösterreich erlebte am Mittwochmorgen seinen bislang wohl größten Polizeieinsatz. Einsatzwagen standen quer auf der Straße und blockierten die Zufahrt zu einer Wohnsiedlung. Männer mit Strumpfmasken bevölkerten die Straße, Mitarbeiter des Innenministeriums evakuierten die Nachbarn.

Ein Reihenhaus wurde gestürmt und ein verdächtiger 19-Jähriger festgenommen. Seitdem schießen die Spekulationen ins Kraut. Es hat wohl noch eine weitere Verhaftung eines 17-Jährigen in Wien und "Anhaltungen" weiterer Verdächtiger gegeben. Die Hinweise für den geplanten Anschlag kamen wohl von US-Geheimdiensten, die die Gefahr als sehr hoch eingeschätzt hatten.

Der Anschlag auf das Ariana-Grande-Konzert 2017 in Manchester, bei dem 22 Menschen durch einen islamistischen Selbstmord-Bombenanschlag starben, kommt sofort in den Sinn. Ebenso der Terroranschlag in Wien, bei dem im Jahr 2020 ein Bewaffneter vier Menschen in der Innenstadt erschossen hat.

Absage des Taylor-Swift-Konzerts wegen Terrorgefahr

Der Konzertveranstalter Barracuda Music sah sich aufgrund der unklaren Sicherheitslage Mittwochabend genötigt, die drei Konzerte im Ernst-Happel-Stadion abzusagen. "Wir haben keine andere Wahl", gab man auf Instagram bekannt. Die 170.000 Zuschauerinnen und Zuschauer erhalten den Eintrittspreis für ihre Tickets in den nächsten zehn Tagen zurück.

Die österreichische Politik erkannte augenblicklich, wie heikel die Affäre ist. Innenminister Gerhard Karner von der ÖVP betonte, dass dies die Entscheidung des Veranstalters gewesen sei. Die Ermittlungsbehörden hätten schnell reagiert und die "akute Gefährdungslage eingedämmt". Den Zorn der Fans, die sich schon seit einem Jahr auf das Konzert gefreut haben, wollte man nicht auf sich ziehen.

Enttäuschte Swifties und ihr politischer Stellenwert

Die Politik scheint gut beraten, nicht zwischen Hund und Knochen zu gelangen. Die weltweite Konzerttour von Taylor Swift ist eines der größten medialen Ereignisse, das die Menschheit je gesehen hat. Also zumindest soll es diesen Anschein machen.

Die eigentlichen Konzerte sind hierbei im Grunde nur der Anlass für die gigantische, digitale Spiegelung. Bei den Swift-Konzerten bilden die in den Nachthimmel erhobenen Smartphones ein Sternenmeer. Jeder pixelgroße Punkt im Hintergrund von Swift ist das Handylicht der Besucherinnen und Besucher, die versuchen die weit entfernte Bühne abzufilmen, um dieses "Erlebnis" in die eigenen "Story" einzufügen.

Die dabei generierten, wechselseitigen Likes, die so während der Swift-Tour produziert wurden, sind sicherlich längst mehr als die Sterne am Himmel. Mindestens 170.000 österreichische Insta-Accounts bekommen nun in den nächsten drei Tagen keinen Content und müssen mit etwas anderem gefüllt werden.

Spitzenpolitik spricht Fans Mitgefühl aus

Diese Gruppe höchst aktiver Social-Media-Nutzer darf man nicht enttäuschen. In Österreich ist übrigens Wahlkampf; am 29. September steht die Nationalratswahl an – und die Parteien geben ein Vermögen für ihre Onlinepräsenz aus. Alle Parteivorsitzenden beeilten sich daher, ihre Anteilnahme über die Netze zu streuen.

Grünen-Chef Werner Kogler sieht "einen Traum geplatzt", die Chefin der Liberalen, Beate Meinl-Reisinger hörte sogar "ganz viele Herzerl brechen" und auch der oberste Sozialdemokrat Andreas Babler findet es "herzzerreißend", wie monatelange Vorfreude nun enttäuscht worden sei.

Lob der schnellen Reaktion auf die Terrorgefahr

Die Reaktionen der rechten Reichshälfte sehen etwas anders aus. Sie wissen, dass unter den Besuchern eines Taylor-Swift-Konzertes sich nur wenige ihrer potenziellen Wähler finden.

Bundeskanzler Karl Nehammer nutzt daher die Gelegenheit, lieber die eigenen Behörden und ihre gute Reaktion zu loben. Womit er natürlich nicht ganz Unrecht hat. Erst die nächsten Monate werden – hoffentlich – zeigen, wie viel Substanz der Terrorplan tatsächlich hatte. Für Nehammer ist die Gelegenheit dann aber doch zu ideal, um nicht vor dem islamischen Terrorismus und dem Angriff auf "unsere westliche Lebensweise" zu warnen.

Das passt zwar gut in seinen Wahlkampffahrplan, ist aber sachlich vielleicht nicht ganz richtig. Nehammer will den Terror externalisieren, nach außen weisen. Es sind "die anderen", die Schlimmes tun und "uns" gefährden. Das ist aber nur eine Sichtweise. Man kann auch von unbemerkter Radikalisierung im niederösterreichischen Reihenhaus sprechen, in einem Umfeld, das die Tatverdächtigen einige Jahre geprägt hat.

Terrorgefahr und ihre Instrumentalisierung

Die FPÖ geht – selbstverständlich – gleich noch einen Schritt weiter. Alle Parteien, außer seinen rechtspopulistischen Freiheitlichen hätten bei der Migrationspolitik versagt. Nur deshalb seien die "Terroristen und Gefährder" unter uns und der Traum vom Konzert "geplatzt". Das Schema "wir gegen die" wird in Reinform bedient.

Die nicht immer geschmackssichere Wahlkampfrhetorik ist leicht zu widerlegen: Der Autor dieser Zeilen saß bereits einmal auf einem Panel des Wiener Volksstimme-Pressefestes, das ein österreichischer Rechtsextremist mit einer Rohrbombe sprengen wollte. Der "Gefährder" hatte bereits Sprengstoffexperimente unternommen, wurde aber noch rechtzeitig von den Ermittlungsbehörden geschnappt.

Größtmögliche Verbreitung von Terrorangst

Die genauen Beweggründe der mutmaßlichen Terroristen sind zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Sie sind mit 19 beziehungsweise 17 Jahren im besten Instagram-Alter. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Sie mit dem Anschlag die Strukturen der sozialen Medien ausnutzen wollten. Sie wussten, dass das Lichtermeer der Smartphones sich auf ihren Anschlag gerichtet hätte und die Terrorfolgen milliardenfach verbreitet worden wären.

Diesen Effekt hätte beispielsweise ein Terrorakt gegen eine Synagoge nie erreicht. Ein weiteres Motiv liegt ebenso nahe: Zum Islamismus gesellt sich fast notwendig Frauenhass und da "passt" ein Anschlag auf Taylor Swift besser als einer auf Coldplay, die später im Sommer das Wiener Ernst-Happel-Stadion füllen sollen.

Isolierte junge Männer und der Frauenhass der Islamisten

Vielleicht ist nicht viel mehr dahinter: Junge, isolierte Männer sehen eine selbstbewusste, erfolgreiche Frau und eine Glamour-Welt, zu der sie – so vermuten sie wohl – niemals Zugang haben werden. Also hassen sie diese Frau und deren Fans.

Ihnen gegenüber kann ein zauselbärtiger IS-Führer, dem die sexuelle Frustration einen irren Blick ins Gesicht gemeißelt hat – der leicht mit spiritueller Verzückung verwechselt werden kann – plötzlich attraktiv erscheinen. Ob der unscheinbare, österreichische Staatsbürger aus dem niederösterreichischen Ternitz sich bei seiner Online-Radikalisierung noch zusätzlich in Koran-Suren vertieft hat? Das werden die weiteren Ermittlungen ergeben.

Brüder im Ungeist: Islamisten und westliche Rechtsextreme

Frauenhass, Online-Radikalisierung und Antisemitismus verschmolzen jedenfalls im Fall von Stephan Balliet, der 2019 ein Massaker in der Synagoge von Halle anrichten wollte und in deren Umfeld zwei Menschen ermordete, als dies nicht gelang. Nur war Balliet zur Tatzeit bereits 27 und berief sich dabei nicht auf Allah.

Der norwegische Rechtsterrorist und Massenmörder von Utøya und Oslo, Anders Behring Breivik, hatte in seinem "Manifest" zu den Anschlägen mit 77 Todesopfern im Juli 2011 Antifeminismus mit Anti-Migrations-Rhetorik und pauschalem Hass auf Muslime verbunden. Der Feminismus war aus seiner Sicht schuld am Niedergang des christlichen Abendlandes und schwächte dieses gegenüber islamisch-konservativen Gesellschaften.