Wikipedia: Selektive Informationspolitik für Annalena Baerbock?
Plagiatsexperte Stefan Weber moniert politisch bemerkenswerte Auslassungen im Eintrag zur deutschen Außenministerin. Die Online-Enzyklopädie arbeitet unsauber? Update.
Die Anlage lautet: Hier wird getüncht. Auf neudeutsch: Es wird Whitewashing einer Biografie betrieben, nämlich die der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock auf Wikipedia.
Vorausgesetzt ist, dass man einen speziell geschärften Blick dafür hat und ein konkretes Interesse.
Durchschnittslesern wird bei einer Überblickslektüre wahrscheinlich kaum auffallen, dass im Wikipedia-Eintrag zu Annalena Baerbock ein Thema sehr "diskret" behandelt wird, das im Sommer vor der Bundestagswahl 2021 für politische Hitzewellen sorgte: die Plagiatsaffäre der damaligen Kanzlerkandidatin der Grünen.
Große Erregung: Die Plagiatsvorwürfe im Wahlkampf 2021
Zur Erinnerung: Das Renommée der Spitzenkandidatin war bereits angekratzt – "verspätet gemeldete Nebeneinkünfte, mehrere Korrekturen am eigenen Lebenslauf" (Deutschlandfunk) -, als der Focus mit Plagiatsvorwürfen gegen Baerbocks Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" ein neues Fass aufmachte und dazu alle vorgängigen Kritikpunkte nochmals zusammenfasste, Ende Juni 2021.
Der Spiegel legte noch am selben Tag nach. "Die Grünen sprechen von versuchtem Rufmord", hieß es da. Das kam vom Wahlkampfsprecher der Partei, Andreas Kappler. Da werde eine Kampagne gegen die Grünen-Politikerin geführt – der Vorwurf machte die Runde.
Es tobe eine "Schlacht der Schlagworte", erklärte die Tagesschau Mitte August 2021. Die Erregung schlug also einige Wochen lang hohe Wellen. Inwieweit die Plagiatsaffäre das Wahlergebnis der Bundestagswahl im September 2021 beeinflusste, wäre erst noch zu klären. Umfragen ermittelten Anfang August jedenfalls einen Abwärtstrend bei den Grünen.
"Plagiatsfall Baerbock": Angestoßen von Stefan Weber
Angestoßen wurde die Debatte über Urheberrechtsverletzungen im Buch der Autorin Annalena Baerbock damals von Stefan Weber, der die Vorwürfe auf seinem Blog veröffentlichte. Der Verlag verkündete Mitte November 2021 einen Druckstopp.
Der Aufreger "Plagiatsfall Baerbock" wurde längst von anderen abgelöst und von vielen wahrscheinlich vergessen. Aber nicht von Stefan Weber, der anders hinschaut.
In seinem aktuellen Blogbeitrag vom 11. März 2024 erhebt er Vorwürfe gegen die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Dort würde man nicht sauber arbeiten.
Kein Wort findet sich im "Wikipedia"-Eintrag Baerbocks zu den tatsächlich 100 Plagiaten im Buch "Jetzt", kein Wort zu den Plagiaten in weiteren Veröffentlichungen und Reden sowie kein Wort zur Kritik an der späteren Performance Baerbocks als Außenministerin (die vielen Versprecher, das wiederholt schlechte Englisch, der teure Frisör, die teuren Roben usw.). Die monatelangen Lebenslauf-Schwindeleien werden in zwei Sätzen abgehandelt und als "Unstimmigkeiten" bezeichnet. – Baerbock kommt in Summe verdammt gut weg.
Stefan Weber
Update/Nachtrag: Tatsächlich finden sich schon einige Worte über Annalena Baerbocks Buch "Jetzt. Wie wir unser Land erneuern" und die Plagiatsvorwürfe von Stefan Weber im Wikipedia-Eintrag zur Person der Politikerin – unter der Überschrift: "Kanzlerkandidatin zur Bundestagswahl 2021" –, worauf wir im Telepolis-Forum aufmerksam gemacht wurden (danke schön an dieser Stelle dafür).
Baerbocks Buch hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Dort werden der Plagiatsvorwürfe ausführlicher behandelt. Verlinkt wird dieser Eintrag über den Abschnitt "Veröffentlichungen" auf der Wikipedia-Seite zu Annalena Baerbock. Th.P.
Wie relevant sind die Vorwürfe?
Nun könnte man einwenden, die Plagiatsvorwürfe sind nicht mehr von großer Relevanz. Dem steht aber gegenüber, wie Weber anführt, dass solche Vorwürfe und damit zusammenhängende Affären bei anderen Politikern, wie etwa Armin Laschet oder Sebastian Kurz, sehr wohl für Wikipedia relevant blieben.
Dort würden sie sogar im Inhaltsverzeichnis aufgeführt, wohingegen beim Inhaltsverzeichnis des Eintrags zu Annalena Baerbock "jede Kritik ausgespart" werde.
Weber – der sich augenblicklich im Streit mit Wikipedia befindet, was zuletzt auch mit seinem eigenen Wikipedia-Eintrag zu tun hat – macht der Website den Vorwurf, dass sie nicht frei sei von politischem Aktivismus. Damit ist er nicht der Erste (auch nicht, was Auslassungen betrifft). Wie begründet sind Webers Vorwürfe?
Jeder, der nur eine leise Ahnung davon mitbekommen hat, wie Edit-Wars bei Wikipedia ablaufen können, weiß, wie kompliziert das Verfahren ist, wenn es politisch wird. So hat auch der Vorwurf von Weber mit einigen Schwierigkeitsgraden zu rechnen.
Die Diskussion im Archiv und aktuell im Vergleich
Ein einfacher Vergleich der gegenwärtigen Wikipediaseite zur Diskussion: Annalena Baerbock mit derjenigen, die im Archiv zu finden ist, zeigt einen auffallenden Unterschied: Von früheren 29 Diskussionspunkten sind nur mehr fünf übrig.
Da wurde eingedampft? Von früheren Diskussionspunkten wie etwa "Bereinigung des Lebenslauf" (Punkt 14) oder "Ungenauigkeiten im Lebenslauf" (Punkt 21) taucht auf der gegenwärtigen Diskussionsseite keiner mehr auf. Eine Silben-Suche mit "Plagi" erzielt dort keinen einzigen Treffer, im Archiv dagegen mehrere.