Willkür oder vernünftige Ausschlusskriterien?
Der Petitionsausschuss verweigert einer zweiten Bittschrift zur Einführung einer Three-Strikes-Regelung für Abgeordnete die Online-Veröffentlichung
Am 11. August reichte Manuel Bach aus Bonn beim Petitionsausschuss eine von der antiken Graphe Paranomon inspirierte Petition ein, die zum Inhalt hat, dass Abgeordnete nach mehrmaligem Stimmen für verfassungswidrige Gesetze ihr Bundestagsmandat verlieren sollten. Ebenso wie im Fall des Bloggers Felix von Leitner, der eine "Three-Strikes-Petition" mit ähnlichem Ziel formulierte, weigerte sich der Ausschuss, die Bittschrift zur Diskussion und Mitzeichnung online zu stellen.
Bach erfuhr dies aus einem Schreiben vom 19. August, in dessen Begründung auf die Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts, die mangelnde Möglichkeit einer Einflussnahme des Petitionsausschusses auf Abgeordnete und das freie Mandat in Artikel 46 Absatz 1 des Grundgesetzes Bezug genommen wurde. Die ersten beiden Punkte empfand der Petent als sachfremd, den dritten versuchte er am Telefon dadurch zu entkräften, dass er darlegte, dass sein Vorschlag ja zu einer Ergänzung dieses Artikels führen könne und mehrere derzeit online mitzeichenbare Petitionen Grundgesetzänderungen sogar explizit fordern.
Nachdem Bach um eine schriftliche Darlegung seiner Einwände gebeten wurde, faxte er diese an den Ausschuss, bekam aber ein erneutes Ablehnungsschreiben, in dem ihm mitgeteilt wurde, dass seine Petition auch "nach intensiver Prüfung" nicht öffentlich gemacht werde, weil es keinen Rechtsanspruch auf Veröffentlichung gebe. Eine konkrete Begründung fehlte diesmal - dafür wurde ihm mitgeteilt, dass es "auch dann noch im Ermessen des Ausschusses [liegt], eine Veröffentlichung abzulehnen, wenn keiner der in der Richtlinie [für die Behandlung von öffentlichen Petitionen] genannten Ablehnungsgründe zum Tragen kommt". Außerdem erhielt das Schreiben den Hinweis, dass die Begründung für die Ablehnung der Veröffentlichung nicht bekannt gemacht werde, weil es keinen Rechtsanspruch auf eine Begründung gebe.
Bach bietet nun die Möglichkeit zur Mitzeichnung auf einer privaten Website, sieht aber in der Verweigerung der Veröffentlichung auf dem bekannteren Bundestagsportal vielen Bürgern die Möglichkeit genommen, "dem Parlament gegenüber auszudrücken, dass ihnen ein bestimmter Sachverhalt wichtig ist." "Wäre den Abgeordneten der Bürgerwille grundsätzlich immer bewusst", so der Petent, "bräuchte man keinen Petitionsausschuss".
In dessen Verwaltung meint man auf den Fall angesprochen, die Begründungen für die Ablehnung einer Öffentlichmachung würden sich trotz des Verweises auf die Ermessensbreite aus der Richtlinie für die Behandlung von öffentlichen Petitionen erschließen. Welche Vorschriften dabei genau als einschlägig angesehen werden, will man auch gegenüber Telepolis nicht sagen. Durch intensives Was-bin-Ich-artiges Nachfragen wird allerdings erkennbar, dass möglicherweise die Ziffer 4.V eine wesentliche Rolle bei der Ablehnung spielen könnte. Darin ist geregelt, dass von einer Veröffentlichung abgesehen werden kann, wenn eine Petition "offensichtlich erfolglos bleiben wird".
Auch wenn es keine Dienstanweisungen dazu gibt, wie bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Offensichtlichkeit" vorzugehen ist, sieht man diese Formulierung im Petitionsausschuss nicht als Einfallstor für Willkürentscheidungen, sondern verweist darauf, dass die Frage schließlich von vier "unabhängigen" Personen geprüft werde. Allerdings stehen diese vier Personen in einem Hierarchieverhältnis: Es handelt sich nämlich um Sekretariatsmitarbeiter, Sachbearbeiter, Referatsleiter und Unterabteilungsleiter. Beschwerden gegen Entscheidungen werden nicht von einer Widerspruchsinstanz, sondern von den gleichen Leuten noch einmal geprüft.
Ein Kriterium für das Vorliegen von Offensichtlichkeit beziehungsweise Nicht-Offensichtlichkeit ist für den Petitionsausschuss die Wahrscheinlichkeit einer parlamentarischen Mehrheit für ein Anliegen: Ist der Ausgang einer Abstimmung relativ offen? Könnte ihr durch einfache Mehrheit entsprochen werden, wie bei der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens? Wäre dafür eine Zweidrittelmehrheit notwendig? Oder würden die Abgeordneten durch eine Zustimmung ihre eigenen Interessen gefährden?
Es wird relativ schnell deutlich, dass man in der Bundestagsverwaltung von Bachs Idee, mit der einem Sprecher zufolge "der ganze Parlamentarismus auf den Kopf gestellt werden" würde, nicht sehr begeistert ist. An den durchaus nicht einstimmigen Entscheidungen der Verfassungsrichter, so heißt es dort, würde man sehen, dass die den Abgeordneten vorliegenden Fragen viel zu kompliziert seien, um sie mit einer Three-Strikes-Regelung zu ahnden.
Das gleiche gilt jedoch auch für Urheberrechtsfragen, über die zivilrechtlich durch viele Instanzen hinweg intensiv gestritten wird, und die nach dem Willen von Abgeordneten wie Angelika Krüger-Leißner per einfacher Behauptung zur Sperrung des Internetzugangs führen sollen. Allerdings wäre auch die Vorführung der Unbilligkeit von Three-Strikes-Regelungen in komplizierten Bereichen kein Kriterium, das den Petitionsausschuss in der Frage einer Öffentlichmachung umstimmen würde. Denn dann läge der dort herrschenden Meinung nach nämlich ein "Missbrauch" des Petitionsrechts vor - ebenso wie beim Einreichen einer Bittschrift, die vorwiegend der Erzeugung von Aufmerksamkeit dient. Darauf hingewiesen, dass damit strenggenommen auch praktisch alle Anträge von Oppositionsparteien "Missbrauch" wären, verweist man darauf, dass dies eine Sache der Fraktionen sei, die den Petitionsausschuss nichts angehen würde.