Windausstieg statt Kohleausstieg

Ausnahme für Kohlekraftwerk Datteln IV im Kohleausstiegsgesetz? Bild: Maschinenjunge/CC BY-SA-3.0

Die Energie- und Klimawochenschau: Das Klimapaket passiert den Bundestag, beim Kohleausstieg fehlt die Braunkohle und der Klimawandel gefährdet die Gesundheit

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Der Bundestag hat in der vergangenen Woche große Teile des "Klimapakets" durchgewunken. Ein Teil der Gesetze muss nun noch den Bundesrat passieren. Am Freitag abgestimmt wurde das Klimaschutzgesetz. Dieses sieht unter anderem vor, den Sektoren Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft jährliche Emissionsbudgets zuzuweisen. Das Umweltbundesamt soll jährlich über die Emissionsdaten Bericht erstatten, bei Überschreitung in einem Sektor ist die Bundesregierung verpflichtet, mit zusätzlichen Maßnahmen gegenzusteuern.

Allerdings können sich die einzelnen Ressorts auch freikaufen. Unterliegen die Sektoren auch nur teilweise dem Europäischen Emissionshandel, dürfen Emissionsminderungen auch im Ausland erbracht werden. Laut dem Gesetz soll außerdem ein "Expertenrat für Klimafragen" eingesetzt werden, der die Klimaschutzbemühungen der Bundesregierung überwacht.

Zu den beschlossenen Änderungen zählt auch eine ab 2021 geltende Abgabe auf Diesel, Benzin, Heizöl und Erdgas in Höhe von 10 Euro pro Tonne, die bis 2025 schrittweise auf 35 Euro steigen soll. Danach soll sich der Preis der Verschmutzungsrechte am Markt bemessen, aber nicht über eine Obergrenze von 60 Euro steigen. Zudem werden die Steuern auf Inlandsflüge und innereuropäische Flüge erhöht. Um Belastungen für Berufspendler durch steigende Spritpreise auszugleichen, wird die Pendlerpauschale zunächst erhöht. Wir hatten an dieser Stelle darüber berichtet, dass dies in erster Linie Besserverdienenden zugute kommen wird und dass die CO2-Preise zu niedrig angesetzt sein dürften, um eine steuernde Wirkung zu entfalten.

Verschiedene Verbände, darunter der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE), kritisieren das Klimaschutzprogramm der Bundesregierung scharf. "Die Bundesregierung verabschiedet sich mit dem Klimaschutzprogramm 2030 de facto vom 65-%-Erneuerbare-Energien-Ziel bis 2030", erklärte BEE-Präsidentin Simone Peter. Der Stromverbrauch, mit dem die Bundesregierung für die Zukunft rechnen würde, sei unrealistisch niedrig. Vielmehr würde der Stromverbrauch wegen angestrebter Sektorenkopplung, Wasserstoffnutzung und Elektrifizierung im Verkehr steigen. Durch Effizienzgewinne könne der steigende Bedarf nicht ausgeglichen werden.

Lückenhafter Kohleausstieg

Für politischen Zündstoff sorgt schon jetzt das geplante Kohleausstiegsgesetz. Der Referentenentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerien stößt auf heftige Kritik von Umwelt- und Erneuerbare-Energien-Verbänden. Mit dem Gesetz soll der "Kohlekompromiss" der Kommission "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" umgesetzt werden. Das heißt, bis zum Jahr 2038 soll die Kohleverstromung in Deutschland schrittweise auf null reduziert werden, das betrifft sowohl die Steinkohle als auch die Braunkohle.

Steinkohlebasierte Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen sollen auf Gas umgestellt werden. Für die Abschaltung von Steinkohlekraftwerken ist laut dem Entwurf ab dem Jahr 2020 ein Ausschreibungsverfahren vorgesehen. Kraftwerksbetreiber können sich hier um eine Entschädigung für die Stilllegung von Kraftwerkskapazitäten bewerben. Auf diesem Weg sollen die Steinkohlekraftwerkskapazitäten "1. bis zum Ende des Kalenderjahres 2022 auf 15 Gigawatt, 2. bis zum Ende des Kalenderjahres 2030 auf 8 Gigawatt und 3. spätestens bis zum Ende des Kalenderjahres 2038 auf 0 Gigawatt" reduziert werden. Für die Ausschreibungen sollen Höchstpreise gelten, die im bisherigen Entwurf aber noch mit "x" angesetzt sind.

Zündstoff verbirgt sich auch in Paragraf 29 zum "Verbot des Neubaus von Stein- und Braunkohleanlagen". Hier heißt es: "Es ist verboten, neue Stein- und Braunkohleanlagen in Betrieb zu nehmen, es sei denn, für die Kohleanlage wurde bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erteilt." Der Paragraf scheint auf das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 zugeschnitten, das der Energiekonzern Uniper im kommenden Jahr in Betrieb nehmen will, obwohl der Kohlekompromiss vorsah, dass keine neuen Kohlekraftwerke ans Netz gehen sollen.

Olaf Bandt, neuer Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), kommentiert: "Der Steinkohleausstieg verkommt zur freiwilligen Maßnahme der Betreiber, denn gesetzt wird allein auf Entschädigungen als Anreiz zur Stilllegung. Das ist ein klimapolitisches Vabanque-Spiel, das korrigiert werden muss. (...) Wir erwarten, dass die Regierung zu ihrer Zusage steht, den Kohlekompromiss ohne Abstriche umzusetzen. Das Kraftwerk Datteln 4 darf nicht ans Netz gehen." Für den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung gibt es im Gesetzesentwurf bislang lediglich einen Platzhalter.

Für große Empörung sorgen die in dem Gesetzentwurf festgeschriebenen Regeln zum Ausbau der Windenergie an Land. Windkraftanlagen sollen demnach nur mit einem Mindestabstand von 1000 Metern zu Wohngebieten oder "zur zulässigen zusammenhängenden Bebauung mit mehr als fünf Wohngebäuden in einem festgesetzten Dorfgebiet oder in einem Gebiet, welches gemäß § 34 Absatz 2 nach der Eigenart der näheren Umgebung einem Dorfgebiet entspricht, errichtet werden".

Gegen die neue Abstandsregel, die nicht nur das Ausbaupotential stark einschränkt, sondern auch das Repowering an vielen Orten verhindern würde, protestieren sowohl zahlreiche Landesumweltministerinnen und -minister wie auch Bundesverband der Deutschen Industrie, der Deutsche Gewerkschaftsbund, Vertreter der Windbranche und der Verband kommunaler Unternehmen.

Die nun geplanten pauschalen Bauverbote für Windkraftanlagen im Abstand von weniger als 1000 Metern schon zu einer Handvoll von Häusern führen bundesweit zu einer massiven Reduzierung des Windenergie-Ausbaupotenzials um 15 bis 50 Prozent, wie aus Studien des Umweltbundesamtes und Ihres Hauses hervorgeht. In der Folge wäre der zur Erreichung der Klima- und Erneuerbaren-Ziele nötige Zuwachs der installierten Leistung bis 2030 nicht mehr möglich - die Windkraft an Land fiele als einer der Hauptpfeiler für die Erreichung des 65%-Ziels aus.

Offener Brief https://mule.sachsen-anhalt.de/ministerium/offene-briefe-des-ministeriums/november-2019-zukunftsindustrie-windkraft-im-land-halten-erneuerbaren-ausbau-ziele-erreichen/ der Landesminister und Abgeordneten an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier

In der Gesetzesbegründung wird mit der sinkenden Akzeptanz von in der Nähe von Windenergieanlagen wohnenden Menschen argumentiert. Dieses Argument sehen die Landespolitiker nicht als erwiesen an. Im Gegenteil seien 78 Prozent der Anwohner von Windrädern mit diesen einverstanden. Neben dem Ausbremsen der Energiewende werden die ökonomischen Folgen beklagt:

Seit 2017 gingen mindestens 36.000 Jobs in der Windbranche verloren - mehr, als es in der Braunkohle derzeit noch gibt. (…) Viele dieser Jobs befinden sich in struktur-schwachen Gegenden, was den Arbeitsplatzverlust für die betroffenen Bürgerinnen, Bürger und Kommunen besonders dramatisch macht. Das Ergebnis Ihrer Politik ist nicht weniger als ein Ausverkauf einer der Schlüsselindustrien des 21. Jahrhunderts.

Offener Brief https://mule.sachsen-anhalt.de/ministerium/offene-briefe-des-ministeriums/november-2019-zukunftsindustrie-windkraft-im-land-halten-erneuerbaren-ausbau-ziele-erreichen/ der Landesminister und Abgeordneten an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier

Im Hause Altmaier setzt man hingegen lieber auf den Ausbau der Offshore-Windenergie. Statt 15 Gigawatt sollen nach dem Gesetzentwurf bis 2030 20 Gigawatt Offshore installiert werden. Außerdem soll der Förderdeckel von 52 Gigawatt für Solaranlagen mit einer Leistung von bis zu 750 Kilowatt aufgehoben werden.

Europäische Investitionsbank wird fossilfrei

Positives gibt es von der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu berichten. Laut Beschluss vom vergangenen Donnerstag wird die Bank ab 2022 keine Finanzierungen für Projekte mit fossilen Energieträgern mehr vergeben. Alle Finanzierungsaktivitäten sollten auf die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens ausgerichtet werden, bis 2030 eine Billion Euro in Klimaschutz und ökologische Nachhaltigkeit investiert werden, verlautbart die EIB.

Allerdings wollte die EIB ursprünglich schon ab 2020 keine Gelder mehr für fossile Projekte vergeben, doch Deutschland sperrte sich dagegen. Der neue Zeitplan bedeutet auch, dass von der EU für vorrangig erklärte Energieinfrastrukturprojekte - darunter auch zahlreiche Projekte der Gasinfrastruktur - noch eine Finanzierung erhalten können, sofern sie noch bis Ende 2021 genehmigt werden, wie Climate Home News berichtet.

Gesundheitsgefahr Klimawandel

In ihrem diesjährigen Bericht über Gesundheit und Klimawandel im Fachjournal Lancet warnen Wissenschaftler von 35 Institutionen vor umfassenden Gesundheitsschäden, die heute geborene Kinder durch den Klimawandel davontragen werden.

Besonders Kleinkinder werden von Mangelernährung betroffen sein, wenn Ernteerträge weiter zurückgehen und Nahrungsmittelpreise steigen. Kinder sind außerdem am stärksten von der Zunahme von Infektionskrankheiten betroffen, in erster Linie Durchfallerkrankungen, aber auch durch Mücken übertragene Krankheiten wie das Dengue-Fieber. Im Laufe ihres Lebens werden heute Geborene immer mehr Extremwetterereignissen ausgesetzt sein.

Abgesehen von der globalen Erwärmung nimmt auch die Luftverschmutzung durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe zu. Luftverschmutzung hat besonders gravierende Folgen, wenn sich die Lungen noch entwickeln und kann zu reduzierter Lungenfunktion führen und Asthma verstärken, außerdem das Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen erhöhen.

Die Autoren fordern einen schnellen und kompletten Kohleausstieg, dass die reichen Länder ihren Klimafinanzierungsverpflichtungen gegenüber ärmeren Ländern nachkommen, den Ausbau des öffentlichen Personenverkehrs, insbesondere des Fuß- und Radverkehrs, sowie Investitionen in Gesundheitssysteme, um für die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels gewappnet zu sein. "Der Weg, den die Welt heute einschlägt, wird die Zukunft unserer Kinder in unumkehrbarer Weise prägen", so die Ko-Autorin Stella Hartinger von der Cayetano Heredia Universität in Peru. "Wir müssen auf die Millionen von jungen Leuten hören, die mit einer Welle von Schulstreiks zum Handeln drängen."