Klimapaket: "Aller Voraussicht nach unzureichend"
Die Energie- und Klimawochenschau: Experteneinschätzung zum Klimapaket, schwindende Ökosystemleistungen und Methanquellen im arktischen Ozean
Die Protestwoche der Bewegung Extinction Rebellion (XR) in Berlin sowie deren Klimacamp vor dem Bundestag sind zu Ende gegangen. Die ganze Woche über wurden wichtige Kreuzungen oder Brücken sowie alle für die Klimapolitik relevanten Ministerien zeitweise blockiert. Auch die Parteizentralen von CDU und SPD erhielten Besuch von den Protestierenden.
Um die Blockaden aufrecht zu erhalten, klebten oder ketteten die Aktivisten sich stellenweise fest. Einige Blockaden blieben tatsächlich mehrere Tage und Nächte lang bestehen. Extinction Rebellen hatte für die Woche ab dem 7. Oktober Blockaden in 60 Städten angekündigt. Größere Aktionen gab es beispielsweise auch in Paris, New York und London. In der britischen Hauptstadt verhaftete die Polizei dabei fast 1300 Menschen.
In Berlin können Autofahrer seit Montag nunmehr wieder nur im normalen Stau stehen. Doch Extinction Rebellion sinnt schon über die folgenden Aktionen nach. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag will sie einen Ausblick darauf geben. Es gilt dabei das Motto: "Die Rebellion hat begonnen. Nach dem Aufstand ist vor der Rebellion."
PIK- und MCC-Forscher halten Klimapaket für unzureichend
Das Klimapaket der Bundesregierung wird nicht nur von Klimaaktivisten für ungenügend befunden, sondern auch von einem Autorenteam des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) und des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), das dem Klimakabinett bereits mit den "Optionen für eine CO2-Preisreform" Empfehlungen zur Gestaltung der Klimapolitik gegeben hatten. Daran gemessen haben Ottmar Edenhofer, Christian Flachsland, Matthias Kalkuhl, Brigitte Knopf und Michael Pahle nun das Maßnahmenpaket "Klimaschutzprogramm 2030" sowie den Entwurf für das Klimaschutzgesetz bewertet und kommen zu dem recht eindeutigen Fazit:
Das von der Bundesregierung vorgelegte Klimapaket wird aller Voraussicht nach unzureichend sein, um die Ziele für 2030 zu erreichen. Zwar wird eine sinnvolle Architektur für eine umfassende CO2-Bepreisung sichtbar: Einstieg mit einem Fixpreis, mittelfristig ein nationaler Emissionshandel für Wärme und Verkehr und langfristig Integration in den EU-Emissionshandel mit einem Mindestpreis. Aber der Preispfad ist zu niedrig und reicht nicht weit genug in die Zukunft, um eine ausreichende Lenkungswirkung zu entfalten und die notwendige Sicherheit für Investitionen zu vermitteln.
Da die Einstiegspreise zu niedrig seien, müssten sie später umso stärker steigen, um die EU-Ziele zu erreichen. Im Zweifelsfall setzt die Regierung auf den Zukauf von Zertifikaten in anderen Ländern, was die Autoren als "nicht ausreichend" bezeichnen. Zudem wurde mit dem Klimapaket eine notwendige Energiesteuerreform nicht angegangen. Es gelten weiterhin unterschiedliche Energiesteuersätze für unterschiedliche Brennstoffe, etwa Benzin und Diesel.
Die Autoren vermissen außerdem eine sozialverträgliche Gestaltung des Klimapakets. Zwar werde der geringe anfängliche CO2-Preis kaum zu spürbaren Mehrbelastungen führen, bei einem weiteren Anstieg würden aber Haushalte mit einem geringen und mittleren Einkommen stärker belastet. Auch die Erhöhung der Pendlerpauschale komme in den ersten Jahren vor allem gutverdienenden Pendlern mit langen Wegen zugute. Die Wissenschaftler schlagen zur Entlastung der Bürger wie auch in ihrem ersten Papier eine Klimadividende vor, die pro Kopf ausgeschüttet wird. Bei einem CO2-Preis von 60 Euro pro Tonne läge diese bei 150 Euro pro Jahr.
Begrüßt wird die Entscheidung, auf einen Mindestpreis im europäischen Emissionshandelssystem hinzuarbeiten. Der deutsche Ansatz sollte mit ähnlichen Ansätzen in anderen Mitgliedsstaaten koordiniert werden, "um einen größer werdenden Flickenteppich inkompatibler nationaler Ansätze zu vermeiden".
Unzufrieden zeigen sich die Autoren auch mit dem Monitoringprozess, wie er jetzt im Klimaschutzgesetz festgeschrieben werden soll. Der hier vorgesehene "Expertenrat" habe "nur ein schwaches Mandat zur bloßen Überprüfung von Daten und Modellannahmen". Wichtig sei hingegen "auch ein Vorschlagsrecht für das Nachsteuern von Maßnahmen zur Zielerreichung". Außerdem sollte eine Berichtspflicht gegenüber dem Bundestag bestehen, um Transparenz über das Erreichen der Klimaziele zu schaffen.
Lebensgrundlage von 5 Milliarden Menschen bedroht
Wenden wir unseren Blick von erforderlichen Klimazielen zur Realität. Fakt ist, der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre lag im September 2019 bei 408,5 ppm, vor einem Jahr noch bei 405,5 ppm. Das ist eine recht gewaltige Differenz. Ein Blick in die Statistik zeigt außerdem wachsende Anstiegsraten in den 2000er Jahren und noch stärkere in den 2010er Jahren. Von einer globalen Emissionsreduktion kann bislang bei weitem nicht die Rede sein.
Es ist auch längst bekannt, dass der Temperaturanstieg nicht überall auf dem Planeten gleich verläuft, dass einige Regionen weitaus stärker davon und damit einhergehenden weiteren Klimaveränderungen betroffen sind. Klimaveränderungen haben jedoch nicht nur einen direkten Einfluss auf das Leben der Menschen - sondern auch auf Ökosysteme und das, was diese für das menschliche Leben leisten können.
Ein internationales Team mit Beteiligung von Wissenschaftlern des Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) haben sich mit solchen Folgen der Klimaveränderung beschäftigt, und stellen fest, dass bis zum Jahr 2050 bis zu fünf Milliarden Menschen, insbesondere in Afrika und Südasien, von Wasserverschmutzung, Küstenstürmen oder unbestäubten Nutzpflanzen bedroht sein könnten. Das Forschungsprojekt konzentrierte sich auf die drei für die Menschen wichtigen Ökosystemleistungen Wasserqualität, Schutz vor küstennahen Bedrohungen und Bestäubung von Pflanzen. So können beispielsweise Moore dazu beitragen, Düngemittel aus dem Wasser zu filtern, Küstenökosysteme wie Mangroven oder Korallenriffe spielen eine wichtige Rolle beim Küstenschutz und bis zu zwei Drittel aller Pflanzen werden durch Insekten oder andere Tiere bestäubt.
Betroffen wären vor allem die Menschen im globalen Süden, denn sie sind diejenigen, die am meisten direkt von den Leistungen der Ökosysteme abhängig sind. Und: "Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in diesen Regionen bekommen schon jetzt die Folgen dieser ‚Leistungslücke‘ am eigenen Leib zu spüren, wenn die Natur ihre Leistungen nicht mehr erbringen kann: Sie sind Küstenstürmen stärker ausgesetzt, leiden unter verschmutztem Trinkwasser oder Ernteverlusten", heißt es von Seiten des iDiv. Beunruhigend ist aber auch, dass die Ökosystemleistungen in jenen Regionen am stärksten abnehmen:
Wir haben herausgefunden, dass Ökosysteme genau dort schwächer werden, wo die Menschen besonders von der Natur abhängig sind. Das ist sehr besorgniserregend - die Politik muss umgehend gegen die Schädigung der Ökosysteme vorgehen.
Henrique Miguel Pereira, Co-Autor der in Science veröffentlichten Studie
In einer hochauflösenden Weltkarte stellt das Forscherteam dar, inwiefern sich die Ökosystemleistungen und die Abhängigkeit der Bevölkerung von diesen Leistungen überschneiden. Auf einer Karte wird der Ist-Zustand im Jahr 2015, auf einer anderen die Prognose für das Jahr 2050 dargestellt.
Antarktische Eisschilde tauen von unten
Eine Studie der University of Colorado Boulder beschäftigt sich mit den Faktoren, die die antarktischen Eisschilde destabilisieren und letztlich zerbrechen lassen. Eine wichtige Rolle dabei spielen Wasserläufe unterhalb der Gletscher, die das Eis von unten abschmelzen lassen. Solche werden von Wissenschaftlern seit geraumer Zeit beobachtet, u.a. unter dem Thwaites-Gletscher.
Aufwärts fließende Wasserströme von warmem Ozeanwasser würden die aufbrechenden Ränder des dicken antarktischen Scheleises erodieren lassen und so letztlich die Voraussetzungen für das Wegbrechen des Eises und den Anstieg des Meeresspiegels schaffen, so die Wissenschaftler der University of Colorado in ihrer neuen Studie. Bisherige Modelle und Vorhersagen würden dieses Szenario noch nicht einbeziehen.
Das antarktische Schelfeis schwimmt an den Rändern auf dem Ozean und wird von Erhebungen auf dem Meeresgrund festgehalten. Wenn die Eisschelfe jedoch zurückgehen oder zerbrechen, können sie den Abfluss des dahinterliegenden Inlandeises nicht mehr aufhalten. Die Wissenschaftler fanden in ihrer jetzigen Untersuchung, basierend auf Satellitenbildern, dass die Wasserläufe unter dem Eis über einen Kilometer in der Breite und einezweistellige Kilometerzahl in der Länge erreichen können.
Riesige Methanquellen in der Arktis
Nicht nur die weltweite Gletscherschmelze und ein damit verbundener Anstieg des Meeresspiegels sind ein großes Risiko der Klimaerwärmung. Diese lässt auch Permafrostböden immer weiter auftauen, was dazu führt, dass darin gebundenes Methan, ein weit stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid, freigesetzt wird und die Klimaerwärmung noch verstärkt.
Ein schnelles Abtauen ist in Permafrostgebieten von Sibirien bis Alaska zu beobachten. Dieser Prozess findet aber nicht nur an Land, sondern auch am Meeresboden statt. So haben Wissenschaftler der Polytechnischen Universität Tomsk auf einer Forschungsexpedition in der Ostsibirischen See eine sehr große Methanquelle im Meer entdeckt. Den Wissenschaftlern gelang es, die Quelle zu lokalisieren und an der Meeresoberfläche zu beobachten.
"Als sie näher kamen, konnten die Forscher beobachten, wie das Gas aus der schwarzen Tiefe des Meeres in Tausenden von Blasen an die Oberfläche stieg", so der die Expedition begleitende Journalist Sergey Nikiforov.
"Das ist die gewaltigste Quelle, die ich jemals gesehen habe. Die Methankonzentration in der Luft stieg auf bis zu 16 ppm, was das Neunfache der durchschnittlichen Messgröße auf der Erde ist. So etwas wurde bislang noch nie gemessen!", erklärt der Expeditionsleiter Igor Semiletov. Am folgenden Tag entdeckten die Wissenschaftler eine weitere, ähnlich gewaltige Quelle in ihrem Expeditionsgebiet.
Bereits 2017 berichteten Wissenschaftler der Universität Stockholm, dass der submarine Permafrost in Nordostsibirien um 14 Zentimeter pro Jahr auftauen würde und in den letzten 30 Jahren insgesamt 4 Meter tief getaut sei.
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