Windenergie für Russland

Die Energie- und Klimawochenschau: Fossile Energieträger sind gefährlich, knapp und werden immer teurer. Trotzdem kämpfen CDU-Wirtschaftsflügel und Stromkonzerne mit harten Bandagen, um die Entwicklung von Alternativen zu verzögern

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Öl und Gas hat das Norwegen am Rande Europas, dessen Bevölkerung sich so hartnäckig weigert, der EU beizutreten, zu einem der reichsten Länder der Erde gemacht. Der Preis ist allerdings hoch: Mancher Ölarbeiter hat mit seiner Gesundheit bezahlt und wurde dafür nicht einmal angemessen entschädigt.

149 von ihnen verklagen derzeit den norwegischen Staat auf Schadensersatz, wie die Financial Times Deutschland in ihrer Pfingstausgabe berichtete. In den 1960er und 1970er Jahren hatten sie als Taucher im Dienst der Ölindustrie ihre Gesundheit ruiniert (Große PDF-Datei). Bei vielen jener, die oft in großen Tiefen von mehreren hundert Metern die Bohrungen vorbereiteteten, haben die Ärzte später schwere Hirnschäden festgestellt. Der menschliche Organismus ist einfach für das Leben unter Wasser nicht geschaffen.

Auf Anerkennung mussten die Veteranen des Ölbooms dennoch jahrzehntelang warten. Staat und der halb staatliche Ölkonzern Statoil Hydro haben inzwischen aus "moralischer Verpflichtung", wie sie es nennen, 200 ehemaligen Tauchern Entschädigungen von ca. 300.000 Euro pro Person gezahlt, doch eine juristische Verantwortung lehnen sie ab. Die Taucher haben sich derweil zu einem Verrband zusammengeschlossen und kämpfen weiter. Für den September wird in Oslo das Urteil in einem Musterverfahren erwartet, das 19 von ihnen angestrengt haben.

Nach dem Öl

Immerhin ist die Regierung allerdings weise genug, den so bitter erworbenen Wohlstand nicht zu verpulvern. Ein Teil der Öleinnahmen wurde in einem Staatsfonds angelegt, der mit 250 Milliarden Euro zu den größten der Welt gehört. Aus ihm könnten, wenn Öl und Gas dereinst versiegen, ein erheblicher Teil der Renten finanziert werden.

Die Frage ist allerdings, wie deckt das Land seinen Energiebedarf, wenn die Lagerstätten einmal erschöpft sein sollten? Eine Option, die bereits jetzt reichlich genutzt wird, ist die Wasserkraft. Fast der gesamte Strombedarf wird mit ihr gedeckt. Darüber hinaus hat das Land aber auch ein großes Windkraft-Potenzial, das bisher kaum genutzt wird. Umweltschützer und einige Politiker hoffen darauf, dass künftig an Land und vor der Küste mehr Windanlagen gebaut werden. Damit könnte der Wikinger-Staat in den nächsten Jahrzehnten zum Exporteur sauberer Energie im großen Maßstab werden.

15 Windparks gibt es derzeit in Norwegen. Immerhin 150 Windanlagen befinden sich derzeit in der Planungs- und Genehmigungsphase. Viele Küstenstriche gehören wegen häufiger und starker Winde zu den besten Standorten weltweit. Wie entlang der Nordseeküsten, will man allerdings auch in Norwegen Windräder auf See errichten. Da die Küstengewässer allerdings verhältnismäßig tief sind, arbeitet man an schwimmenden Konstruktionen.

Schwimmender Windpark. Bild: inhabitat

Der Umweltschutzorganisation Bellona reicht das allerdings bei weitem nicht. Ihre Sprecherin Ane Brunvoll fordert mehr Engagement der Regierung in der Förderung erneuerbarer Energiequellen und verweist laut AFP darauf, dass Norwegen jährlich 14.000 Terawattstunden (Milliarden Kilowattstunden) allein mit Windenergie produzieren könnte. Das wäre immerhin das 25fache des deutschen Bedarfs. "Natürlich wollen wir nicht die ganze Küste mit Windanlagen pflastern", meint Brunvoll. "Aber ein Teil diese Potenzials sollte man nutzen."

Wind statt Atom

Unterdessen wirbt Bellona auch beim russischen Nachbarn für die Nutzung der Windenergie. Anfang April organisierte man gemeinsam mit russischen Partnern ein Windenergieseminar, das Politiker und Wirtschaftsvertreter zusammenbrachte. Für die Umweltschützer ist das ein Rennen gegen die Zeit. Der russische Gasgigant Gazprom plant vor der Kola-Halbinsel die Erschließung neuer Gasfelder. Die für die Förderung benötigte Energie soll aus neuen Atomkraftwerken kommen. Laut den Informationen von Bellona denkt der Konzern unter anderem auch an schwimmende Atommeiler.

Zwei alte Reaktoren sind noch aus sowjetischer Zeit in der Region in Betrieb und decken bisher nach unterschiedlichen Angaben 37 bis über 50 Prozent des Bedarfs an elektrischer Energie in Russlands äußersten Nordwesten. Allerdings wurden sie bereits zu Beginn der 1970er Jahre in Betrieb genommen und müssten daher in nicht allzu ferner Zukunft stillgelegt werden. Ein im Auftrag von Bellona erstellter Bericht spricht von erheblicher radioaktiver Verseuchung der Umgebung und bescheinigt der Region an der Grenze zu Norwegen zugleich ein hohes Potenzial an Windenergie. 360 TWh könnten dort mit Windanlagen im Jahr gewonnen werden (zum Vergleich: Hierzulande speisten Windräder 2007 knapp 40 TWh stunden ins öffentliche Netz).

Ein winziger erster Schritt, diese unerschöpfliche Quelle zu erschließen, wurde Anfang April getan. Eine Windanlage, die seit 2001 ein Hotel mit Strom belieferte, wurde endlich ans öffentliche Netz angeschlossen. In Russland gibt es bisher keine gesetzliche Regelung, die den Netzgesellschaften die Abnahme von Strom aus erneuerbaren Quellen vorschreibt. Allerdings scheint die Regionalregierung endlich auf den Geschmack gekommen zu sein. Wenige Tage später wurde mit einer niederländischen Gesellschaft ein Vertrag abgeschlossen. Für rund 250 Millionen Euro soll ein 200-MW-Windpark entstehen. Neue Atomkraftwerke würden ein Vielfaches kosten, heißt es bei Bellona.

In die gleiche Kerbe haute auch kürzlich Joachim Peinke, Physiker an der Universität Oldenburg, in einem Vortrag in Berlin. Windkraft sei günstiger als Erdöl. Seine (konservative) Rechnung geht so: Setzt man bei einem Preis von 73 Euro pro Fass Öl einen Wirkungsgrad von 50 Prozent an, dann kommt man auf 9,12 Cent pro Kilowattstunde (KWh). Dabei sind noch nicht einmal die Kosten für Transport und Raffinierung berücksichtigt. Windenergie, so Peinke, kostet hingegen nur acht Cent pro KWh. Das trifft allerdings nur für die Anlagen an Land zu. Für die künftigen Offshore-Windparks sind eher 14 Cent pro KWh im Gespräch. Immerhin hielt Peinke seinen Vortrag auf der Auftaktveranstaltung der Forschungsinitiative mit der der erste deutsche Offshore-Windpark begleitet werden soll. Bereits mehrfach angekündigt und verschoben sollen nun im Sommer 2008 endlich die Bauarbeiten für die ersten Fünf-MW-Windräder nördlich von Borkum außerhalb des Wattenmeer-Nationalparks beginnen.

Fotovoltaik soll ausgebremst werden

Von teuren fossilen Energieträgern spricht auch der Bundesverband der Solarwirtschaft (BSW). Der starke Preisanstieg bei Öl, Gas und Kohle werde die Verbraucher bis 2014 50 mal mehr belasten, als die Förderung der Fotovoltaik-Einführung, heißt es in einer Mitteilung des Verbandes. Schon 2007 hat nach Berechnungen des Verbandes ein Drei-Personen-Mittelschichthaushalt im Einfamilienhäuschen über 300 Euro monatlich für Energiekosten ausgegeben, wovon nur etwas über ein Euro auf die Solarstromförderung entfiel.

Für die Solarstromwirtschaft ist der schnelle Ausbau der erneuerbaren Energie die einzig sinnvolle Antwort auf die Kostenexplosion bei den endlichen Energieträgern. Langfristig könne die Fotovoltaik ein Viertel der hiesigen Stromversorgung abdecken. Das hört sich nach viel an, aber seit 2000 ist der Stromertrag aus der Fotovoltaik jährlich meist mit weit über 50 Prozent gewachsen. Mit zuletzt 3,5 Milliarden KWh in 2007 ist sein Beitrag zwar noch immer bescheiden, aber wenn sich das Wachstumstempo in den nächsten Jahren nicht allzu sehr abflacht, dann erscheint das Ziel der Solar-Lobby nicht allzu unrealistisch.

Voraussetzung ist allerdings, dass sich in der aktuellen Diskussion um die Novelle des Eneuerbare-Energien-Gesetzes nicht die Wirtschaftsfraktion der CDU durchsetzt, die eine Absenkung der Vergütung für Solarstrom um 30 Prozent fordert, weil die Kosten aus dem Ruder liefen. Carsten Körnig vom BSW verweist hingegen auf Prognosen, wonach im Jahr 2014 eine maximale monatliche Haushaltbelastung für Solarstrom von 2,14 Euro zu erwarten ist. Etwa ab diesem Zeitpunkt, so der BSW, werde Solarstrom in Deutschland wettbewerbsfähig, da die Kosten für die Solaranlagen ständig sinken. Der BSW geht davon aus, dass der Strom aus Fotovoltaik pro Jahr um sechs bis sieben Prozent billiger wird.

Für Carsten Körnig zeigt die Forderung aus den Reihen der CDU, "dass die konventionellen Kraftwerksbetreiber nichts unversucht lassen, um den Ausbau Erneuerbarer Energien zu bremsen. Die Stromkonzerne investieren derzeit stark in neue Großkraftwerke und sehen in der dezentralen Energieform Photovoltaik offensichtlich eine bedrohliche Konkurrenz. Denn langfristig hat der umweltfreundliche Solarstrom das Potenzial, günstiger als Strom aus mit fossilen Energien betriebenen Großkraftwerken zu werden und wesentlich zur Stromversorgung in Deutschland beizutragen."

Dazu passen Klagen des BSW, nach denen den Betreibern privater Fotovoltaikanlagen zunehmend von den Netzgesellschaften Steine in den Weg gelegt würden.

Offensichtlich wollen einige Netzbetreiber und Energieversorger mit aller Macht den gesetzlich verankerten und politisch gewollten Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland untergraben. Die Einschüchterungen treffen vor allem Privatpersonen, die juristische Auseinandersetzungen mit den Unternehmen scheuen.

Carsten Körnig

Die RWE Rhein-Ruhr Verteilnetz GmbH würde zum Beispiel Vorbehaltsklauseln in ihren Einspeiseverträgen verankern, mit denen die Vergütungszahlungen unter Vorbehalt der Rechtmäßigkeit des EEG gestellt werden. Dadurch würden Anlagenbetreiber verunsichert. Nach Ansicht des BSW sind diese Klauseln haltlos und widersprechen einschlägigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes sowie des Europäischen Gerichtshofs.