"Wir Grüne haben in der Sicherheitspolitik eine Menge zu verlieren"

Seite 2: Eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung sogenannter Gefährder ist möglich

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Kommen wir zu Ihrer Kritik an den Sicherheitsbehörden ...

Irene Mihalic: Wir sagen seit Langem, dass wir eben jene einer Aufgabenkritik unterziehen müssen und neue Strukturen brauchen. Das ist ein wunder Punkt bei der Union. Innenminister de Maiziere sagt ständig, er wolle den Datenaustausch zwischen den Staaten verbessern. Das klingt gut, da würden wir auch mitgehen.

Aber?

Irene Mihalic: Geht es um die konkrete Umsetzung bei der operativen Zusammenarbeit europäischer Sicherheitsbehörden, taucht der Innenminister immer wieder ab. Wollen europäische Behörden - wie zum Beispiel Europol - hier in Deutschland Ermittlungen im Bereich Terrorismus durchzuführen, und bitten ihre deutschen Kollegen um Unterstützung, geht das einigen in der Union zu weit. Hier würden wir Grüne sofort ansetzen.

Sie haben auf Ihrem Parteitag eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung sogenannter Gefährder beschlossen. Ist derlei nicht unmöglich?

Irene Mihalic: Nein, das ist möglich und wurde auch immer wieder schon so praktiziert. Bei Anis Amri hat man auf eine solche Maßnahme bedauerlicherweise verzichtet.

Es braucht etwa 20 Beamte, um einen Gefährder zu überwachen, richtig?

Irene Mihalic: Ja, zwischen 20 und 30 sind nötig. Solche Fälle gibt es in der Praxis übrigens immer wieder. In Schleswig-Holstein wurde vor kurzem über neun Monate hinweg eine Gruppe von drei Gefährdern 24 Stunden am Tag überwacht. Da war nicht nur die Polizei involviert, sondern auch das Bundesamt für Verfassungsschutz - mit insgesamt über 22.000 Personalstunden.Wir sehen: Wenn die Prioritäten richtig gesetzt werden, dann ist so etwas durchaus möglich. Vorausgesetzt, die Ressourcen werden auch bereitgestellt.

"Der Staat darf die Sicherheit der Systeme nicht hintertreiben, auf die die Bürger angewiesen sind"

Zur Terrorabwehr sollen künftig auch Messenger-Dienste überwacht werden. Kritiker sprechen vom umfassendsten Überwachungsgesetz seit dem großen Lauschangriff.

Irene Mihalic: Da befinden wir uns in der Tat in einem klassischen Zielkonflikt. Fakt ist: Es gibt die gesetzliche Möglichkeit der Telekommunikationsüberwachung. Das Problem ist, dass die Messenger-Dienste verschlüsselt sind. Zunächst einmal geht es um die Frage: Wollen wir als Staat die Kommunikation unserer Bürgerinnen und Bürger sicher gestalten, das heißt, wenn es irgendwo Lücken in der Verschlüsselung gibt, teilen wir die den Bürgern und Betreibern der Dienste mit, damit sie sie schließen und somit Angriffe Krimineller abwehren können? Oder nutzt der Staat diese Sicherheitslücken für eigene Zwecke? Ein wahres Dilemma.

Wie stehen Sie dazu?

Irene Mihalic: Es kann doch niemand ernsthaft etwas dagegen haben, wenn die Kommunikation desjenigen überwacht wird, gegen den die Behörden Konkretes in der Hand haben und gegen den ermittelt wird. Aber wenn man an die Messenger-Dienste ran will, muss der Staat sich in das Gerät hacken - und kann nicht die Leitung überwachen.

Übrigens: Im Fall Anis Amri bestand das Problem nicht darin, dessen Kommunikation über Telegram-Chats zu überwachen. Nein, am Ende wurden daraus nur nicht die richtigen Schlüsse gezogen; selbst Verbindungen zum IS führten nicht dazu, dass er festgenommen wurde. Insgesamt hapert es nicht daran, Informationen zu bekommen und gefährliche Personen zu identifizieren, sondern sie dingfest zu machen.

Die Behörden werden künftig sogenannte Staatstrojaner installieren. Die Verschlüsselung soll laut Bundesregierung nicht angegriffen werden. Warum haben Sie im Bundestag dagegen gestimmt?

Irene Mihalic: Damit ein Trojaner heimlich installiert werden kann, muss eine Sicherheitslücke ausgenutzt und offen gehalten werden. Diese Lücken können dann nicht nur Sicherheitsbehörden nutzen, sondern eben auch Kriminelle. Da konnte ich gerade auch angesichts von WannaCry nicht zustimmen. Der Staat darf die Sicherheit der Systeme nicht hintertreiben, auf die die Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind. Im Übrigen hat das Verfassungsgericht konkrete Vorgaben im Hinblick auf die Kontrollierbarkeit von Trojanern gemacht, die nicht eingehalten wurden.