Wir brauchen eine echte Verkehrswende!

Seite 2: Autobahnpläne müssen gestoppt werden

Anders als auf den ersten Blick zu erwarten, würden mehr Fahrspuren oder neue Autobahnen langfristig kaum für Entlastung sorgen, glaubt Udo Becker. Weil Menschen durch eine neue Autobahn zunächst Zeit einsparen, legen sie auch häufiger und weitere Wege mit dem Auto zurück, ist der Verkehrsökologe von der TU Dresden überzeugt. "Induziertes Verkehrsaufkommen" heißt das in Fachkreisen. Es kehrt den positiven Effekt eines Autobahn-Neubaus nach einiger Zeit um.

Autobahnen bringen die Menschen nicht nur schneller an ihr Ziel, sie pendeln auch tendenziell häufiger in Ballungszentren, sei es um einzukaufen oder dort zu arbeiten. Während die Menschen immer weitere Wege mit dem Auto zurücklegen, schließen in den ländlichen Ortschaften die kleinen Lebensmittelläden, Cafés und Kinos.

Die Verkehrspolitik der vergangenen Jahre war nicht gerade darauf ausgelegt, weniger Menschen auf die Straße zu bringen, bedauert Becker. Tatsächlich ist das Verkehrsaufkommen privater PKWs in Deutschland seit 2010 bis heute von 599 auf 642 Milliarden gefahrene Kilometer gestiegen. Gleichzeitig stehen Autos mit 521.000 Staustunden fast doppelt so lang im Stau wie noch vor fünf Jahren. Um einen Verkehrskollaps zu verhindern, fordert der Experte einen Masterplan für alternative Mobilität.

Ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr im gesamten Bundesgebiet hätte das Potenzial, noch mehr Menschen aus ihren Autos in Busse und Bahnen zu locken, ist Michael Schreckenberg überzeugt. Zwar würde dies insgesamt zwölf Milliarden Euro und nochmal soviel für den Ausbau der Infrastruktur kosten. Gemessen an den Summen, die in sonstige Verkehrsprojekte investiert würden, wäre das für den Staat durchaus zu stemmen, glaubt der Verkehrsforscher an der Uni Duisurg-Essen.

Allerdings sind private PKW nur für einen Teil der gefahrenen Kilometer auf deutschen Autobahnen verantwortlich. Rund 41 Milliarden davon entfallen auf den LKW-Verkehr, der vor allem durch den online-Handel bzw. überregionale Bestellungen verursacht wird.

Bundesverkehrswegeplan bedarf dringender Überarbeitung

Im Bundesverkehrswegeplan (BVWP), der den Aus- und Neubau von Straßenprojekten regelt, kämen Klima- und Naturschutz in der Nutzen-Kosten-Analyse der Bauprojekte oft zu kurz. Dieser müsse dringend überarbeitet werden, fordert Philipp Kosok, Projektleiter für Öffentlichen Verkehr bei der Initiative der Agora Verkehrswende. Jedes Bauprojekt müsse zukünftig dazu beitragen, dass Emissionen gesenkt werden.

Konsequenterweise müssten dann auch große Autobahnprojekte gestrichen werden. Die Denkfabrik fordert einen Klimacheck der gesamten Projektliste, auf deren Basis die Entscheidung über den Aus- oder Weiterbau für alle Straßenbauprojekte transparent getroffen wird.

Längst wächst in größeren Städten der öffentliche Personennahverkehr sowie der Fuß- und Radverkehr mit dem per car- oder ride-sharing genutzten Auto zu einem Mobilitätsverbund zusammen. So gewinne man wertvolle Fläche zurück, die für ihre Bewohner und Besucher attraktiver werden.

Dieser Prozess bedarf politischer Unterstützung. Immer noch sind tausende Einwohner, die auf dem Lande leben, aufs Auto angewiesen, um zu ihren Arbeitsplätzen in der Stadt zu kommen, was zu anhaltendem Verkehrswachstum führt. Dieser Prozess wird durch klimaschädliche Subventionen gefördert, zum Beispiel durch die Pendlerpauschale und Steuervorteile für Dienstwagen, kritsiert die Initiative Agora.

Zum Beispiel nutzen viele Menschen, die im Umland von Hamburg wohnen, für ihren Arbeitsweg verstärkt ins Auto. Irgendwann sind Straßen mit Autos von Pendlern wieder verstopft. Statt den Straßenverkehr vermeintlich attraktiver zu machen, müsse der öffentliche Verkehr komfortabler werden, fordert Benjamin Stephan, Greenpeace-Experte für Mobilität. Pendler von außerhalb sollten bequem mit der Bahn zur Arbeit ins Stadtzentrum hinkommen, bei Bedarf das Fahrrad mitnehmen oder sich eines leihen können. Dafür jedoch müssten abseits liegende Ortschaften ans Bahnnetz angeschlossen bzw. Kapazitäten erhöht werden - etwa durch Ausweichgleise oder Wiederbelebung stillgelegter Trassen.

Wollen wir das neue Staatsziel – Klimagerechtigkeit – ernst nehmen, muss sich die Masse der Autos deutlich reduzieren. Bislang jedoch enthält der BVWP 2030 kaum Ansätze einer echten Verkehrswende, kritisiert Greenpeace. In seiner aktuellen Fassung sollen 53,6 Prozent der Investitionen für Verkehrsinfrastruktur in Autobahnen und Bundesstraßen und lediglich 42,1 Prozent in die Schiene sowie 4,3 Prozent in Wasserstraßen fließen.

Die Unwucht zu Gunsten des Autoverkehrs stehe in deutlichem Widerspruch zur klimapolitisch notwendigen Verkehrswende und dem Ausbau von umweltfreundlichen Alternativen. Vor diesem Hintergrund fordert die Umweltorganisation einen sofortigen Stopp des Neu- und Ausbaus von Autobahnen und Bundesstraßen. Dann könnten die freiwerdenden finanziellen Mittel konsequent in den Ausbau klimafreundlicher Alternativen wie der Bahn investiert werden.

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