"Wir können nicht zulassen, dass extremer Reichtum unsere gemeinsame Zukunft ruiniert."

Millionäre, Politiker und Ökonomen haben G20-Staaten aufgefordert, die grassierende Ungleichheit zu bekämpfen, indem sie gemeinsam die Steuern für die Reichen der Welt erhöhen.

Rund 300 Millionäre, darunter die Erbin Abigail Disney, Politiker wie Bernie Sanders, ehemalige Staats- und Regierungschefs, politische Vertreter und Wirtschaftswissenschaftler wie Thomas Piketty haben gemeinsam einen Aufruf an die Staats- und Regierungschefs der G-20-Staaten gerichtet, die sich kürzlich in Neu-Delhi getroffen haben.

Ihre Bestandsaufnahme ist düster: "Die Anhäufung von extremem Reichtum durch die reichsten Menschen der Welt ist zu einer wirtschaftlichen, ökologischen und menschenrechtlichen Katastrophe geworden, die die politische Stabilität in Ländern auf der ganzen Welt bedroht. Ein derartig hohes Maß an Ungleichheit untergräbt die Stärke praktisch aller unserer globalen Systeme und muss daher direkt angegangen werden.

Jahrzehntelange Steuersenkungen für die Reichsten, die auf dem falschen Versprechen beruht haben, der Reichtum an der Spitze würde uns allen zugutekommen, haben zum Anstieg extremer Ungleichheit beigetragen. Unsere politischen Entscheidungen ermöglichen es den Superreichen, weiterhin Steuervergünstigungen zu nutzen und eine Vorzugsbehandlung zu genießen, die dazu führt, dass sie in den meisten Ländern der Welt niedrigere Steuersätze zahlen als normale Menschen."

Existenzielle Bedrohung durch massive Ungleichheit

Eine kleine Übersicht hilft, das Ausmaß der aktuell grassierenden Ungleichheit besser einschätzen zu können. Auf der einen Seite steht eine bemerkenswerte Explosion des Reichtums:

Auf der anderen Seite die Dimension der Armut, die tötet. Jeden Tag:

Betrachtet man die Angaben von Oxfam zur Entwicklung der Steuergerechtigkeit, also den Anteil der Superreichen am Steuereinkommen, ist es zunehmend schwierig, dies als gerecht einzustufen:

  • Für jeden US-Dollar neuen Reichtums, den jemand aus den unteren 90 Prozent erwirtschaftet, hat einer der Milliardäre der Welt 1,7 Millionen US-Dollar gewonnen.
  • Seit 2020 haben sich die reichsten ein Prozent fast zwei Drittel des gesamten neuen Vermögens angeeignet. Die Vermögen der Milliardäre nehmen täglich um 2,7 Milliarden US-Dollar zu.
  • Der durchschnittliche Steuersatz für die Reichsten ist in den OECD-Ländern von 58 Prozent im Jahr 1980 auf 42 Prozent gesunken.
  • Die Steuern auf Kapitalerträge - in der Regel die wichtigste Einkommensquelle für die obersten ein Prozent - liegen im Durchschnitt von mehr als 100 Ländern bei nur 18 Prozent.
  • Nur vier Cent von jedem US-Dollar an Steuereinnahmen stammen aus Vermögenssteuern.
  • Die Hälfte aller Millionäre wird keine Erbschaftssteuer zahlen und fünf Billionen US-Dollar steuerfrei an die nächste Generation weitergeben.

Übrigens, auch in Deutschland explodiert die Ungleichheit und ist die Freude über die Entwicklung extrem einseitig verteilt. Die fünf reichsten Familien in Deutschland besitzen mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung.

Laut Recherchen des MDR sehen Experten hierfür die Ursachen im Steuersystem, im Niedriglohnsektor und auch in der hohen Mietquote in der Bundesrepublik. Der Ökonom Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin betont: "Kaum ein westliches Industrieland besteuert Vermögen so gering wie Deutschland. Frankreich, Großbritannien und die USA nehmen das Drei- bis Vierfache der Wirtschaftsleistung an vermögensbezogenen Steuern ein."

"Besteuert uns!"

Die Forderung des Aufrufs, deren Realisierung gerade die unterzeichnenden Millionäre viel Geld kosten und der Staatskasse zugutekommen lassen würde, lautet:

Vor diesem Hintergrund rufen wir die Mitgliedstaaten der G20 dazu auf, gemeinsam neue Steuersysteme – auf nationaler und internationaler Ebene – einzuführen, die den Ultrareichen die Möglichkeit nehmen, sich der Zahlung ihrer Abgaben zu entziehen, und neue Regeln einzuführen, die eine höhere Besteuerung von extremem Reichtum vorsehen.

Ein internationales Abkommen über Vermögenssteuern würde das gefährliche Ausmaß an Ungleichheit verringern und gleichzeitig den Staats- und Regierungschefs ermöglichen, lebenswichtige Mittel zur Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen unserer Welt aufzubringen.

Julia Davies, Mitunterzeichnerin und Mitglied von "Patriotic Millionaires UK", mahnt:

Die Besteuerung der Allerreichsten, also derjenigen, die es sich am meisten leisten können, ist eine Politik, die sich auf den gesunden Menschenverstand zurückbesinnt – und dennoch hat keine der großen politischen Parteien den Antrieb oder den Anstand, diese Aufgabe anzugehen. Es scheint, als ob sie mehr an der Politik eines endlosen Wettlaufs nach unten für unser Land interessiert sind, als Pläne für tatsächliche Investitionen in unser Gemeinwohl zu machen.

Morris Pearl, Vorsitzender der "Patriotic Millionaires UK" und ehemaliger Managing Director bei BlackRock, wird deutlich:

In den letzten Jahrzehnten ist die Vermögensungleichheit weltweit in die Höhe geschnellt. Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich hat die Weltwirtschaft destabilisiert, den Aufstieg extremistischer Politik verschärft und das Gefüge unserer Gesellschaftsordnung ausgefranst. Als sehr wohlhabende Person, die eine Organisation gleichgesinnter reicher Menschen vertritt, fordere ich die G20 auf, uns zu besteuern.

Wiederholte Forderung

Es ist nicht das erste Mal, dass Superreiche mit Nachdruck fordern mehr zu zahlen. Der US-Milliardär Warren Buffett hat seit 2011 immer wieder dazu aufgerufen. Anfang vergangenen Jahres waren dann mehr als hundert Millionäre eine Vermögensteuer für die Reichsten eingefordert, um jährlich weltweit gut 2,5 Billionen US-US-Dollar den Staaten zur Verfügung stellen zu können.

Am 14. März dieses Jahres unterzeichneten rund 20 Mitglieder von "Patriotic Millionaires" einen von der EU-Abgeordneten Aurore Lalucq und dem Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman initiierten Aufruf in "Le Monde": "Was wir für multinationale Konzerne geschafft haben, müssen wir auch für große Vermögen schaffen", in dem eine progressive Vermögenssteuer vorgeschlagen wird – beispielsweise 1,5 Prozent ab einem Vermögen von 50 Millionen Euro." Zwei Monate zuvor, im Januar, hatten 200 Millionäre auf dem Wirtschaftsforum in Davos ebenfalls gefordert, "für das Gemeinwohl" stärker besteuert zu werden.

Angesichts des zunehmenden Drucks zeigte sich Katy Chakrabortty, Oxfams Leiterin der Abteilung Politik und Interessenvertretung, beim aktuellen Aufruf sehr optimistisch:

Der Chor der Stimmen wird jetzt sicherlich zu laut, als dass die Politiker ihn weiterhin ignorieren könnten. Die Welt befindet sich an einem kritischen Punkt; eine gerechtere Besteuerung zur Bewältigung der Lebenshaltungskosten und der Klimakrise wird sowohl von Millionären als auch von der Öffentlichkeit unterstützt. Es ist höchste Zeit für die Regierungen zu handeln.

Der Aufruf an die G-20-Staaten blieb ungehört und bisher folgenlos. Die gravierende Ungleichheit bleibt damit "das Megathema der kommenden Jahre".

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