Wird das ARD-Mittagsmagazin zum Ostfunk?

Flammen der Empörung: Sollen für die Moderation künftig vor allem Leute mit Ost-Hintergrund vor die Kamera? Warum die Debatte doppelt schiefliegt und warum sie schieflaufen muss. Es geht um steile Gefälle.

Von "Krach" ist die Rede und von "Desaster", von "Streit" und von "Eklat". Die etablierten Aufmerksamkeits- und Empörungsmaschinen laufen.

Die Frage, hier in der Version des bundesweit präsenten Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) mit zentralem Newsroom in Hannover:

"Wurden zwei Moderatoren des ARD-"Mittagsmagazins" geschasst, weil ihnen der ostdeutsche Hintergrund fehlt?"

Die Betroffenen würden genau dies dem MDR vorwerfen. Seit Sendestart 1989 sei das ARD-Mittagsmagazin 34 Jahre lang "gänzlich skandalfrei" über die Bühne gegangen. Und nun das, ein "handfester Knatsch".

Grund dafür sei der für Anfang 2024 geplante Umzug dieser Sendung vom (krisengebeutelten und daher nun noch finanzschwächeren) RBB hin zum MDR – und die damit verbundene Suche nach neuen Moderatorinnen und Moderatoren.

Auslöser für hitzige Diskussionen

"Auslöser für den Krach" wiederum seien zwei Tweets: Darin schrieben die aktuelle Mittagsmagazin-Moderatorin Nadia Kailouli und ihr ebenfalls dort amtierender Moderatoren-Kollege Aimen Abdulaziz-Said zeit- und wortgleich am 1. Juli:

Wie ihr wisst, zieht das ARD-MiMA 2024 nach Leipzig. Ich werde die Sendung dann leider nicht mehr moderieren. Laut MDR-Chefredakteurin soll die künftige Moderation einen ost-deutschen Hintergrund haben. Das muss ich so akzeptieren und wünsche den Kolleg*innen viel Erfolg.

Aimen Abdulaziz-Said

Im RND-Artikel heißt es dazu: "Moderatorinnen und Moderatoren, die nicht mehr das Mittagsmagazin moderieren dürfen, weil sie keinen ostdeutschen Hintergrund haben?"

Diese angebliche "Berufsanforderung" habe "schnell für hitzige Diskussionen in den sozialen Netzwerken" gesorgt und "zahlreiche Medienberichte" provoziert.

Die sich, findet der Autor dieses Beitrags, allerdings stark ähneln. Das ist und bleibt ein Teil des Problems enger werdender Themen- sowie Meinungskorridore in vielen etablierten Medien auch hierzulande.

Vielfalt und Profilforderung "ostdeutsch"

Weiter im RND-Text über diesen "Zoff": Brisant sei das Thema nicht zuletzt, weil der mutmaßliche (der Redakteur schreibt falsch "vermeintliche", aber das ist hier nicht das Thema, es geht um Inhalte) "Rausschmiss" vom Mittagsmagazin ausgerechnet zwei Personen treffe, die "eigentlich für Vielfalt in der ARD stehen: Kailoulis Eltern stammen aus Marokko, sie selbst wurde im nordrhein-westfälischen Wermelskirchen geboren. Abdulaziz-Said wuchs in Hamburg auf, ist aber ein Sohn eritreischer Eltern".

Die erste Instanz, die sich nach den Vorwürfen der beiden anscheinend Aussortierten zu Wort gemeldet habe, sei dann der MDR selbst gewesen. Laut RND erklärte die MDR-Pressestelle auf Medienanfrage zunächst: Eine solche Aussage mit der Profilforderung "ostdeutsch" habe es von MDR-Seite niemals gegeben. Der MDR stehe für Vielfalt in jeder Hinsicht, auch für das künftige Mittagsmagazin.

Die noch relativ neue MDR-Chefredakteurin Julia Krittian (geboren 1980 in Karlsruhe, Journalistikstudium mit Diplomabschluss an der Uni Leipzig von 1999 bis 2006) sagte dann in einem Interview mit dem Tagesspiegel ausführlicher:

Eine solche Aussage habe ich nicht getroffen – und eine solche Einseitigkeit wäre auch nicht meine Haltung. Sämtliche abgeleiteten Interpretationen sind falsch. Richtig ist: Wir sind für die Moderation im Gespräch mit unterschiedlichen Persönlichkeiten mit ganz unterschiedlichen Hintergründen.

Julia Krittian

Man wolle allerdings mit weniger als den bisher vier Moderierenden auskommen.

Laut RND-Bericht wird zudem deutlich, "dass der MDR mit seinem neuen Mittagsmagazin einen stärkeren Blick auf Ostdeutschland lenken will. So wolle man "die bundesweite Sichtbarkeit ostdeutscher Lebenswirklichkeiten" stärken, sagt Krittian. Aber:

Wir werden gelebte gesamtdeutsche Wirklichkeit abbilden – auch jenseits der großen Ballungszentren.

Beides wäre nach Einschätzung des Autors dieser Zeilen im Sinne von mehr Vielfalt und gesamtgesellschaftlicher Repräsentation gerade in diesen beiden Hinsichten (ostdeutsch, nicht-urban) absolut sinnvoll, wenn nicht gar notwendig - angesichts massiver Vertrauenskrisen gegenüber etablierten Medien und der parlamentarischen Demokratie, gegenüber dem sozio-ökonomischen Status quo nicht zuletzt im Sendegebiet des MDR.

Die falsche Richtung

Allerdings geht die Skandalisierung bei RND & Co. in die entgegengesetzte Richtung: "Mehrere Medien" hätten "übereinstimmend" berichtet, dass Krittian die von ihr bestrittene Aussage intern dennoch getroffen habe, auch gegenüber dem bisherigen MiMa-Team vom RBB.

Die Chefredakteurin, selbst, wie gesagt, tief aus dem Westen der Bundesrepublik stammend, habe demnach gesagt, "dass man sich beim MDR in Ostdeutschland verwurzelte Menschen wünsche".

Der MDR sei nun nicht weiter auf diese neuen Vorwürfe eingegangen, sondern habe Medien gegenüber erklärt, die beiden Moderations-Leute Abdulaziz-Said und Kailouli hätten sich gar "nicht beim MDR beworben".

Diesen Medien zufolge sind aber "offenbar" die beiden anderen amtierenden Moderierenden beim Mima, Susann Reichenbach und Sascha Hingst, eingeladen worden. Zitat RND:

Es würde ins Bild passen: Beide haben tatsächlich einen ostdeutschen Hintergrund: Reichenbach ist im sächsischen Borna geboren, Hingst in Ost-Berlin.

Laut Süddeutscher Zeitung hat der MDR jedoch noch einmal betont, dass die ostdeutsche Herkunft keine zwingende Voraussetzung fürs Casting gewesen sei. Viel Lärm also um fast nichts?