Wird das ARD-Mittagsmagazin zum Ostfunk?
Seite 2: Die Fallhöhe: Teilhabe-Chancen Ostdeutscher
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Zwei Aspekte zum Thema "Chancengleichheit oder Diskriminierung in Medien?" möchte ich anführen, die in der Debatte bisher kaum eine Rolle spielten:
1. Wenn z.B. Korrespondentinnen oder Korrespondenten vom Bayerischen Rundfunk in Gemeinschaftsprogrammen der ARD auftreten, sei es Radio, TV oder Online, ob im Inland oder Ausland, haben die nach Beobachtungen des Autors dieser Zeilen einen sehr deutlichen "bayerischen" Zungenschlag.
Zum Teil verstehe ich (in Erfurt geboren und aufgewachsen, in Berlin arbeitend) diese Aussprache kaum. Dieser Zungenschlag scheint, selbst wenn es gerade nicht regionale Berichterstattung betrifft, zumindest akzeptiert, wenn nicht sogar erwünscht, im Sinne von Identität und hörbarer Herkunft.
Diesen häufig wahrnehmbaren Zungenschlag können kaum andere Leute als eben Landeskinder aus Bayern haben. Die ganz spezielle Regionalität ("mia san mia") ist akzeptierter, ja etablierter Teil gesamtdeutscher Medienrealität.
Ob dieser "Zungenschlag" in irgendwelchen formalen Ausschreibungen als förderungswürdig o.Ä. steht, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber diese ausgesprochen "unausgesprochene" Praxis reproduziert erweitert bestehende, herrschende Verhältnisse: "Dass Du aus Bayern kommst, das sollen alle hören, denn darauf kannst Du stolz sein."
Das ist beispielsweise beim Zungenschlag gerade aus Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen aber ganz anders. Womit der Autor beim zweiten, tiefer liegenden Problem ist.
2. Ostdeutsche sind in praktisch allen Führungsebenen nicht nur gesamtdeutsch, sondern auch in ihren Bundesländern weiterhin deutlich unterrepräsentiert.
Empirisch hatte das zuletzt im Vorjahr die jüngste Ausgabe einer umfassenden Eliten-Studie der Universität Leipzig belegt. Untersucht wurden hier erneut die Gebiete Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz – und eben Medien. Wir sind also direkt beim Thema.
Zum Teil wachsen diese Scheren und Spaltungen der Diskriminierung zuungunsten Ostdeutscher sogar wieder oder weiter, nunmehr längst für Generationen, die nach der Wende geboren wurden. Im Kern liegt die Ursache dafür in strukturellen Problemen, wie das auch der Germanist Dirk Oschmann in seinem Buch Der Osten - eine westdeutsche Erfindung beschreibt.
Die Kapitalien - nicht nur (aber "natürlich" auch) die wirtschaftlichen, sondern zudem die sozialen, kulturellen und symbolischen Kapitalien - bleiben nicht nur ungleich verteilt und werden nicht nur auf ungleiche Weise produziert und reproduziert. Zum Teil wachsen diese Unterschiede sogar - weiter und wieder.
Es geht um "steile" (so Oschmann) Gefälle in sozialen Feldern wie Eigentum an wichtigen Produktionsmitteln, Macht, Herrschaft, Besitz, Vermögen, Einkommen, Rente, Erbschaft oder auch Diskurs - und damit um Gefälle nicht zuletzt im Feld der Medien.
Spätestens angesichts der massiven, sich überlagernden gesellschaftlichen Krisen wäre es längst geboten, Ostdeutschen wenigstens halbwegs gleiche "Lebenschancen und Chancenteilhabechancen" (so Oschmann mit Bezug auf den Soziologen Stephan Lessenich) zu ermöglichen.
Dass selbst diese Möglichkeiten, zu schweigen von gleichen Lebensverhältnissen, durch strukturelle Blockaden systematisch be- und verhindert werden, lässt sich als gewaltige Diskriminierung nüchtern feststellen. Dirk Oschmann schreibt in seinem Buch (S.199):
Wenn wir aus der Teilung des Landes nicht herausfinden, wird auch das Vertrauen in die Demokratie weiter schwinden und die Gesamtgesellschaft einen Schaden nehmen, der sie längerfristig an den Rand ihres Zusammenhaltes führen dürfte.
Dirk Oschmann
Und damit zurück zum Thema "ostdeutscher Hintergrund" als etwaiges Profil-Merkmal beim neuen ARD-Mittagsmagazin aus Leipzig: Was auch immer in der Sache im Einzelnen schon geschah und sich noch ergeben wird: Zwei entscheidende Personen in diesem Kampf um Ressourcen und Deutungshoheit sind MDR-Chefredakteurin Julia Krittian und RBB-Chefredakteur David Biesinger.
Die programmlich Verantwortlichen also für jene beiden ARD-Anstalten, die (fast) komplett in Ostdeutschland liegen (Ausnahme: Westberlin). Und jetzt kommt, ähnlich wie bei der Dirk Oschmann, "der Osten als westdeutsche Erfindung": Julia Krittian stammt, wie zuvor erwähnt, aus Karlsruhe in Baden-Württemberg, und ihr RBB-Chef-Kollege David Biesinger kommt aus demselben Bundesland, allerdings aus Freiburg im Breisgau.
Mehr Westen, pardon, Südwesten, geht kaum. Wer dann mit welchem Profil moderierend vor der Kamera stehen mag, erscheint, so gesehen, nur oberflächlich wichtig. Noch Fragen? Beziehungsweise – warum stellt die niemand?