Wird das Grönlandeis destabilisiert?

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Energie- und Klimawochenschau: Von Umbauszenarien, Trinkwasserproblemen, Dürren, Hungersnot, tropischen Wirbelstürmen und von den Langzeitfolgen des Braunkohletagebaus

Wie könnte die Weltwirtschaft so umgebaut werden, dass sie bis 2050 klimaneutral läuft. Diese Frage versucht eine umfassende Studie zu beantworten, die die Internationale Energie Agentur (IEA) in Paris in Auftrag gegeben hat.

Die Ergebnisse zeigen, dass ein Umbau möglich, aber eine gewaltige Aufgabe ist. Sie tragen aber zugleich auch die Handschrift der IEA, die in den vergangenen Jahrzehnten lange die Werbetrommel für fossile Energieträger und Atomkraft gerührt und in allen Zukunftsszenarien stets die Entwicklung von Solar- und Windenergie unterschätzt hatte.

Das nun entwickelte Szenario geht erstens davon aus, dass die Energieeffizienz erheblich erhöht wird, aber auch die heute noch nach ihren Angaben 785 Millionen Menschen ohne Zugang zu elektrischer Energie versorgt werden. Ebenso die geschätzten zwei Milliarden zusätzlichen Menschen, die bis 2050 auf dem Planeten leben würden.

Eine gewaltige Jobmaschine

Zweitens müsste der Ausbau von Solar- und Windenergie gegenüber seinem bisherigen, 2020 erreichten Jahresrekord noch einmal vervierfacht werden. Jährlich müssten Solaranlagen mit einer Leistung von 630 Gigawatt und Windkraftanlagen mit einer Leistung von 390 Gigawatt hinzukommen. Das wäre ohne Frage eine gewaltige Jobmaschine.

Drittens müssten die Regierungen schnell neue Prioritäten bei den Forschungs- und Entwicklungsausgaben setzen, um einen schnellen Fortschritt bei den Speichertechnologien und Elektroliseuren für Wassertstoff zu erreichen.

Viertens - und hier bleibt sich die IEA ganz treu - müsste auch die Entwicklung von CO2-Speicher-Technologien vorangetrieben werden. Die sollen dazu dienen, das Treibhausgas aus Abgasen zu filtern und dauerhaft einzulagern. Der Agentur schwebt nämlich durchaus vor, einen kleinen Teil der Energieversorgung weiter mit fossilen Brennstoffen zu betreiben.

Allerdings könnte diese Technik auch dann künftig wichtig werden, wenn man den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken oder Verbrennungsmotoren grundsätzlich ablehnt. Je nachdem, wie lange sich der Ausstieg aus der fossilen Technik hinzieht, werden künftige Generationen eventuell das Klima nur dann stabilisieren können, wenn sie der Atmosphäre wieder CO2 entziehen. Doch das war nicht Gegenstand der IEA-Studie. Deren Szenarien gehen davon aus, dass 2050 für eine um über 100 Prozent gewachsene Weltwirtschaft acht Prozent weniger Energie benötigt wird als heutigen Tags.

Das würde besagte gewaltige Effizienzsteigerung voraussetzen. Zweifel sind angebracht, ob das realistisch ist. Insbesondere auch angesichts des favorisierten Ausbaus der Wasserstofferzeugung, die mit hohen Energieverlusten einher geht.

Wer baut AKW?

Nahezu 90 Prozent der Energie würde in dem vorgestellten Szenario von den Erneuerbaren - zumeist Wind und Sonne - bereitgestellt, der Rest überwiegend von Atomkraftwerken. Hier kommt die alte IEA wieder zum Vorschein. Damit die globale AKW-Flotte tatsächlich diesen Beitrag leisten kann, müsste das Ausbautempo der letzten fünf bis sechs Jahre fortgesetzt werden.

Das Problem: Der zügige Bau neuer Atomkraftwerke scheint nur in China zu funktionieren. Die wenigen europäische Baustellen sind hingegen berüchtigt für jahrelange Verzögerungen, Pfusch am Bau und explodierende Kosten. In den USA wurden in den letzten Jahren die Bauarbeiten an den einzigen beiden dort betriebenen AKW-Baustellen eingestellt, da die Herstellerfirma Konkurs anmelden musste.

Der neue US-Präsident redet zwar von neuen Atomkraftwerken, doch die Umsetzung steht in den Sternen. Zumal auch in den USA Atomkraft nicht besonders beliebt und mit Widerständen in der Bevölkerung zu rechnen ist. Zur Zeit gibt es in den USA weder Baupläne noch einen Hersteller, der Erfahrung mit dem Bau von Atomkraftwerken auf dem neuesten Stand der Technik hätte.

2050 zu spät

Übrigens: Wenn es heißt, dass die Welt bis 2050 klimaneutral Wirtschaften muss, heißt dies nicht unbedingt, dass sich alle Länder bis dahin Zeit lassen können. Wie auf Telepolis schon des öfteren erläutert, kommt es nämlich letztlich auf die Konzentration der Treibhausgase in der Atmosphäre und insbesondere des sehr langlebigen CO2 an.

Und diese Konzentration wiederum hängt von der Gesamtmenge der Emissionen in den nächsten Jahrzehnten ab. Für das Klima ist es also am besten, die Emissionen möglichst schnell runterzufahren.

Die großen Verursacher, zu denen auch Deutschland gehört, das bei einem Anteil von lediglich rund einem Prozent an der Weltbevölkerung noch immer für 1,89 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich ist, sind also in besonderer Verantwortung, ihre Emissionen rasch zu reduzieren.

Das umso mehr, als sie zum einen, mit Ausnahme Chinas, auch historisch große Verantwortung für die sich entfaltende Krise tragen, und zum anderen auch über die entsprechenden Materiellen und finanziellen Ressourcen verfügen, ihre Wirtschaft rasch umzubauen.

Der Bundesregierung musste das erst durch ein Verfassungsgerichtsurteil (Telepolis diskutierte und berichtete) nahe gebracht werden, aber besonders einsichtig zeigt sie sich noch immer nicht.

Zwar wurde, wie vermeldet, auf die Schnelle Bundestag und Bundesrat ein Entwurf eines neuen Klimaschutzgesetzes vorgelegt. Doch auch die neuen Ziele bleiben unzureichend.

Wir hatten letzte Woche vorgerechnet, dass die Bundesregierung allein bis 2030 eine weitere Emissionsmenge von 6,3 bis sieben Milliarden Tonnen vorsieht. (Siehe untenstehende Tabelle aus dem Gesetzentwurf.) Zustehen würden Deutschland allerdings für die nächsten mehreren Hundert Jahre beim besten Willen nur noch 3,3 Milliarden Tonnen.

Wie Klimaschutz für künftige Generationen sieht also auch das neue, zurzeit im Parlament verhandelte Klimagesetz nicht aus. Eher schon wie ein weiterer Versuch, möglichst viel für die Interessen der mit den veralteten Technologien verbundenen Konzerne zu retten.

Vergangenes Jahr hatte das Wuppertal Institut einen Plan, vorgestellt, wie Deutschland bis 2035 klimaneutral werden könnte. Der sieht unter anderem Verkehrsvermeidung, klimaneutrale Heizungen, Ausbau der Wind- und Solarenergie um 25 Gigawatt pro Jahr und den massiven Ausbau von Infrastruktur für Wasserstoff, unter anderem, um diesen in Stahlindustrie einzusetzen, vor.

Kipppunkte

Derweil hatte es an schlechten Nachrichten aus der Klimaforschung auch in der letzten Woche keinen Mangel. Zum Beispiel aus Grönland. Niklas Boers vom Potsdam Institut für Klimafolgenforschung und sein an Norwegens Arktischer Universität in Tromsø arbeitender Kollege Martin Rypdal kommen in einem gerade veröffentlichten Beitrag im renommierten US-amerikanischen Fachblatt Proceedings of the National Academy of Science (PNAS) zu dem Schluss, dass der westliche Teil des grönländischen Eispanzers kurz davor steht, instabil zu werden.

Ist dieser Punkt einmal erreicht, wird eine weitere Beschleunigung des Eisverlustes bis zur vollständigen Auflösung des westlichen Teils des Eisschildes nicht mehr aufzuhalten sein. Da das Eis auf Land aufliegt, wäre ein globaler Meeresspiegelanstieg von mehreren Metern die Folge.

Im Gegensatz zum Eis der Antarktis verliert das Grönlandeis vor allem durch das Tauen an der Oberfläche an Masse. Im Sommer ergießen sich mancherorts regelrechte Schmelzwasserströme ins Meer, die zuvor tiefe Flusstäler aus dem Eis heraus gespült haben.

Dadurch hängt die Stabilität des Eises vor allem von der sich selbst verstärkenden Wechselwirkung zwischen Abtaurate und Höhe des Eisschildes ab. Taut im Sommer mehr Eis ab, als im Laufe des Jahres durch Schneefall nachgebildet wird, so nimmt das Eisschild an Höhe ab.

Dadurch fällt aber zum einen mehr Niederschlag an Regen. Zum anderen liegt ein größerer Teil der Eisoberfläche in geringeren Höhen, in denen im Sommer die Umgebungsluft warm genug werden kann, das Eis zum Schmelzen zu bringen.

Beide Effekte erhöhen wiederum die Abtaurate, was wiederum zum Abflachen des Eisschildes führt. Fertig ist der Teufelskreis. Wissenschaftler nennen das etwas nüchterner positive Wechselwirkung, eine, die in diesem Fall sehr negative Folgen haben kann, denn sollte auch der restliche Teil des Eises destabilisiert werden, könnte schlimmstenfalls der mittlere globale Meeresspiegel im Laufe der nächsten Jahrhunderte allein dadurch um sieben Meter steigen.

Es gibt allerdings noch andere Wechselwirkungen, die Wachsen und Schrumpfen des Eisschildes beeinflussen. Zum Beispiel die Schneemenge, die auf dem Eis niedergeht und dort zu neuem Eis zusammenklumpt. Allerdings hat sich der Eisverlust im Untersuchungsgebiet im westlichen Zentrum Grönlands in den vergangenen Jahrzehnten nichtlinear beschleunig.

Die beiden Autoren haben daher die Daten der Schmelzintensität und der Höhenschwankungen analysiert und kommen zu dem Schluss, dass die beschriebene Wechselwirkung zwischen Höhe und Eisverlust tatsächlich den entscheidenden Faktor darstellt.

"Wir haben Belege dafür gefunden, dass sich der zentral-westliche Teil des Grönland-Eisschildes destabilisiert hat", so Erstautor Niklas Boers. "Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass es in der Zukunft zu einem deutlich verstärkten Abschmelzen kommen wird - was sehr besorgniserregend ist."

Unklar ist bisher, welche Auswirkungen das auf den Rest des Eises haben wird. Die Autoren raten daher dringend zu mehr Messungen und entsprechenden Analysen.

Versorgung gefährdet

Unangenehme Nachrichten hat auch das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe. Ein sparsamer Umgang mit Trinkwasser sei angesichts des Klimawandels geboten. Es gebe bereits erste Gemeinden, die Schwierigkeiten mit der Versorgung hätten. Im vergangenen Sommer seien einige Trinkwasserbrunnen leer gewesen, so der Chef des Amtes, Armin Schuster, am Montag gegenüber der Presse.

Dann wäre da noch zu berichten, dass der Süden Madagaskars von einer schweren Dürre heimgesucht wird und sich in der Bevölkerung aufgrund Missernten extremer Hunger ausbreitet.

Die Versorgung von etwas einer Million Menschen ist akut gefährdet, warnten letzte Woche die UN-Landwirtschaftsorganisation FAO und das World Food Programme. Dürre, Sandstürme, Insektenbefall und Pflanzenkrankheiten seien verantwortlich. Die Dürre sei die schlimmste der letzten 40 Jahre.

Leckender Speicher

Richtig schlechte Nachrichten kommen auch aus Brasilien. Eine kürzlich im Fachblatt Nature Climate Change veröffentlichte Studie stellt fest, dass der Amazonas-Regenwald zwischen 2010 und 2019 in der Bilanz mehr Treibhausgase an die Atmosphäre abgegeben als aus dieser aufgenommen hat.

Durchschnittlich 270 Millionen Tonnen im Jahr wurde netto freigesetzt. Das ist in etwa ein Drittel der deutschen Emissionen. Der Grund sei vor allem die Verschlechterung des Zustands des Waldes, der sich unter anderem im verminderten Pflanzenwachstum ausdrückt.

Hinzu kommt der Verlust durch Feuer und Holzfäller, der sich im letzten Jahr der Untersuchung, 2019, vervierfacht hatte. Waren in den beiden Vorjahren jeweils etwa eine Million Hektar (eine Fläche von 100 mal 100 Kilometer) verloren gegangen, so waren es 2019 3,9 Millionen Hektar.

2019 wurde Brasiliens rechtsextremer Präsident Jair Bolsonaro vereidigt, der die bestehenden Schutzmaßnahmen und -regularien seitdem nach Kräften abgebaut hat. Goldsucher und Agrarkapital drängen seit dem wieder stärker in den Wald und sind, wie berichtet für manchen Mord an Umwelt- und Waldschützern verantwortlich.

Schwerer Wirbelsturm

Derweil wurde am frühen Dienstagmorgen die indische Metropole Mumbai und die benachbarte Küste des Bundesstaates Gujarat vom stärksten tropischen Wirbelsturm seit über 30 Jahren heimgesucht. Mit bis zu 180 Kilometer pro Stunde fegte "Tauktae" über das Land und türmte das Arabische Meer zu einer Sturmflut auf. 150.000 Menschen mussten evakuiert werden.

In Gujarat werden 13 Todesopfer beklagt. 16.000 Häuser wurden dort zerstört, berichtet News 18 India. Die Zeitung Times of India schreibt von mindestens 17 Toten und einer Spur der Verwüstung.

Der Sturm hatte, von Süden kommend, in den Tagen zuvor schon einem größeren Teil der indischen Westküste zerstörerische Sturmfluten und schwere Regenfälle beschert, wie die Economic Times in einem Video berichtet.

Solarzellen aus Bitterfeld

Aus Deutschland gibt es hingegen ausnahmsweise auch einmal eine gute Nachricht. Hierzulande werden durchaus noch Solaranlagen hergestellt. Aus dem sachsen-anhaltinischen Bitterfeld-Wolfen berichtet der Schweizer Maschinenbauer Meyer Burger in einem Werbevideo von der Eröffnung einer neuen Produktionsstätte für hocheffiziente Solarzellen.

Diese könnten 20 Prozent mehr Strom pro Fläche generieren als der bisherige Standard. Die neue Technologie sei selbst entwickelt. Das Unternehmen unterhält außerdem im sächsischen Freiberg eine Fertigung für Solarmodule.

Weniger gute Nachrichten kommen hingegen aus der sächsisch-brandenburgischen Lausitz. Dort geht es um die Spätfolgen des Braunkohletagebaus. Die örtlichen Grünen sowie Anwohner an den noch aus DDR-Zeiten stammenden Tagebaulöchern Heide V und Heide VI befürchten eine Belastung des Grundwassers mit Schadstoffen. Ein offener Umgang mit den Daten, ein besseres Messenetz und eine Priorisierung der Sanierung sei notwendig.

Im Falle des Tagebausees Heide V würden Messungen eine Belastung des Wassers mit hochgiftigen Schwermetallen sowie Arsen und Flusssäure zeigen. Ursache seien länger zurückliegende Einleitung von Industrieabfällen aus einer alten Aluminiumhütte, die Gifte sind also nicht dem Tagebau selbst anzulasten.

Anders der ehemalige Tagebau Heide VI. Dort liegt eine Belastung mit Sulfaten vor, die durch die Entblößung tieferer Erdschichten in vielen Tagebauen freigesetzt werden. Seit Jahren gibt es Berichte über steigenden Sulfatgehalt in der Spree, die aus der Lausitz kommt und in Berlins Westen in die Havel mündet. Die Bundeshauptstadt bezieht wie auch Frankfurt/Oder einen Teil ihres Trinkwassers aus dem Fluss.