Wired war ein Signalfeuer
Ein Gespräch mit Jane Metcalfe, der Gründerin der Kultzeitschrift rund um die digitale Revolution
Nach dem Ende vieler Blütenträume am Neuen Markt stand die von Stephan Balzer, Marc Wohlrabe und Rolf Plaschke während des großen Hypes um die New Economy ins Leben gerufene Konferenz BerlinBeta in diesem Jahr ganz im Zeichen der Retrospektive (Vgl.Ihr hattet einfach zu viel Geld). Was war passiert, fragten sich die erloschenen Stars der neu-alten Wirtschaftswelt, wie konnte alles so plötzlich aus dem Ruder laufen? Als krönenden Abschluss der Konferenz plauderte Louis Rossetto am Samstagabend 90 Minuten lang neben einem virtuellen Kaminfeuer auf dem Fernsehschirm über die vergangenen zehn turbulenten Jahre. Der ehemalige Afghanistan-Reporter hatte 1991 erstmals zusammen mit seiner Lebensgefährtin Jane Metcalfe die Veröffentlichung eines Magazins geplant, das die kulturellen und wirtschaftlichen Seiten der damals gerade beginnenden "Digitalen Revolution" in allen Facetten beleuchten sollte.
Nach einer in der damaligen Rezessionszeit schwierigen Investorensuche brachten die beiden notorischen Weltverbesser Wired im Januar 1993 mit Unterstützung des Technologie-Gurus Nicholas Negroponte vom Media Lab des Bostoner MIT auf den Markt und trafen damit das Lebensgefühl der sich formierenden Generation @. Erstmals konnten die anfangs wenigen Nutzer des Internet in den Geschichten über Cyberwar, Krypto-Rebellen oder Erfolgsunternehmer aus dem Silicon Valley in einen Spiegel blicken und sich gleichzeitig gegenüber anderen, noch nicht vernetzten Lesern ins rechte Licht gesetzt sehen.
Der Erfolg des Blatts steigt den "Wired"-Gründern bald zu Kopf: ihr Unternehmen "Wired Ventures" soll zur Dachmarke für das Online-Magazin Hotwired, eine TV-Sendung, einen Buchverlag und zahlreiche andere Tochterunternehmen werden - und natürlich an der Börse Millionen einspielen. Was Yahoo, Excite oder Cnet können, schaffen wir auch, so die Devise. Doch der Börsengang scheitert am lustlosen Marktumfeld gleich zweimal, was Rossetto als Geschäftsmann unglaubwürdig erscheinen lässt. Die Investoren von der Ost-Küste setzen ihm und seiner Partnerin Ende 1997 das Messer auf die Brust und drängen beide aus der Firma. Wenig später wird das Heft an Condé Nast, einen der "verhassten" Ostküsten-Glamour-Verlage, verkauft. Die Webseiten gehen an das Portal Lycos.
Rossetto erzählte seine Geschichte rund um "Wired", die zugleich stellvertretend für das Auf und Ab der New Economy steht, auf der Konferenz "off the record", also mit der Bitte, ihn nicht öffentlich zu zitieren. Jane Metcalfe ließ sich am Rande der "Beta" allerdings zu einem persönlichen Rückblick bewegen. "Bei jedem Gedanken an 'Wired' bekomme ich Rückenschmerzen", sagte die dunkelblonde Amerikanerin nach der, die sich zusammen mit Rossetto aktiv in die gesamte Konferenz einbrachte und auch auf der Eröffnungsparty in einem neuen Kreuzberger Club auftauchte, nach dem Gespräch. Der Blattmacherin liegen inzwischen Hilfsprojekte mehr am Herzen, mit denen sie die Entwicklung der digitalen Kultur weiter voran bringen und den manchmal etwas engstirnigen Unternehmern im Silicon Valley Philanthropie schmackhaft machen möchte.
Es ist genau zehn Jahre her, dass Sie die Idee hatten, "Wired" zu gründen. Was hat sich im Vergleich mit damals im Zeitgeist verändert?
Metcalfe: Wir lebten damals noch in Amsterdam und interessierten uns sehr für neue Technologien, die Menschen für die Kommunikation nutzten. Und wir beobachteten, wie immer mehr vormals getrennte kulturelle Gruppen wie Designer oder Musiker gemeinsame Werkzeuge wie das Internet entdeckten. Plötzlich traten Leute in einen Dialog, die vorher niemals miteinander geredet hätten. Und schon in unserem früheren Magazin "Language Technology" widmeten wir uns diesem Phänomen. Als wir dann 1991 in die USA gingen, stellten wir zu unserer Freude fest, dass immer mehr Grenzen innerhalb der Gesellschaft verwischten. Nicht nur zwischen den Rockern oder den Fans der "Grateful Dead", sondern auch zwischen den Technikern und den Marketern im Silicon Valley. Und das war auch die Zeit, in der ganze Grenzen und Mauerstreifen fielen.
Wie prägte diese Entwicklung "Wired"?
Metcalfe: Die letzten zehn Jahren waren insgesamt unglaublich turbulent und es fand eine dramatische Medienrevolution statt. Bei "Wired" durchliefen wir das alles an vorderster Front. Wir machten eine Phase der großen Hoffnung, der Inspiration, des Experimentierens durch. Dann aber kamen die ersten substanziellen finanziellen Verluste an den Börsenmärkten und mit einem Schlag schlossen sich mit lautem Knall alle Türen. Plötzlich hieß es überall: 'Nur mit diesem Business-Modell könnt ihr erfolgreich sein', oder: 'Ihr müsst unbedingt in dieser Richtung weitermachen.' Das war eine unglaublich deprimierende Zeit und es war auch der Zeitpunkt, in dem wir aus der Firma ausschieden.
Wie ging es weiter?
Metcalfe: Die vergangenen beiden Jahre waren von einer großen Unklarheit geprägt. Keiner weiß mehr, was die nächste aufregende Sache ist. Die meisten unserer rund 1000 Leute, die in der Hochzeit bei "Wired Ventures" gearbeitet haben, sprechen davon, in die Non-Profit-Welt abzuwandern. Manche haben ihre Email-Adressen abgemeldet und weigern sich, noch Computer zu benutzen. Es gibt eine richtige Gegenbewegung. Aber ich fühle, dass immer noch zahlreiche neue und spannende Subkulturen überall entstehen, neue Arbeitsroutinen. Es gibt nicht mehr diese eine, gigantische und großartige Erzählung über die New Economy und die digitale Revolution, der alle folgen. Solange es die gab, war alles einfacher. Jetzt haben wir eine Reihe kleiner Erzählungen, was ich auch sehr interessant finde. Jetzt kann jeder wählen, welchem Pfad er folgen will.
Als Sie das Magazin auf den Markt brachten, wollten Sie über die größte Geschichte des Jahrzehnts erzählen, über die Konvergenz der Medientechnologien und Kulturen. Was erwartet uns in diesem Jahrzehnt?
Metcalfe: Ich glaube, dass die Leute immer noch genug an der Bewältigung der Konvergenz zu knabbern haben. Ich denke nicht, dass in diesem Bereich jemand schon wirklich erfolgreich ist. Den Menschen stößt das Thema immer wieder auf, sie wägen es ab. Die Konvergenz erfasst ja die Technologien genauso wie die Geschäftswelt - und in dieser Entwicklung sind wir gerade erst mittendrin. Wenn es noch eine große Geschichte gibt, dann ist es immer noch das Internet, über das sich Leute in Verbindung miteinander setzen. Diese Geschichte schreibt sich weiter fort und verästelt sich. Es ist so wie nach jeder Revolution: Kurz danach herrscht zunächst Desaster und dann entsteht erst eine neue Zivilisation und Kultur.
Das hört sich nach weniger Spaß und mehr Arbeit an.
Metcalfe: Es ist die "Drecksarbeit", könnte man fast sagen. Es hat nicht mehr diesen Hauch der Geschichte, der alles umweht. Aber der Wandel in der Ausbildung, der Wandel in der Natur unserer Gemeinschaften und Subkulturen passiert. Es verbreiten sich Stories über das Netz wie die von der elektronischen Intifada und wir können online Informationen über den Mittleren Osten und jede andere Weltregion finden, die wir von den normalen Medien nicht erhalten. All das passiert gerade erst und es hat einen großen Einfluss auf die Gesellschaft. Es ist also letztlich dieselbe Erzählung, aber sie kommt in höherer Auflösung daher. Natürlich ist es aufregender, wenn man jeden Tag große Ankündigungen über Zukunftsvisionen machen kann. Doch jetzt geht es darum, die Wände mit diesen ganzen Vorstellungen wirklich zu errichten.
Lesen Sie heute noch "Wired"? Im Gegensatz zu vielen anderen New-Economy-Magazinen hat die Zeitschrift ja den Shakeout überlebt.
Metcalfe: "Wired" war eine Art Signalfeuer, als wir es starteten. Es war ein Leuchtturm, ein Magnet für Aufmerksamkeit und Energie. Es war eine umwälzende Sache, nicht nur für die Leute, die dort arbeiteten, sondern auch für die Leser. Wir bekamen oft Emails im Stil von 'Das ist meine erste E-Mail" von 16-Jährigen aus Kansas, die niemals dachten, dass es Gleichgesinnte irgendwo auf der Welt geben würde. Es ist daher schwer, sich von "Wired" ganz zu lösen, obwohl wir eigentlich ganz raus sind. Ich denke, heute werden dort ganz gute Geschäfte gemacht. Es ist ein erfolgreiches Magazin und die Website sowie die Suchmaschine gibt es auch noch. Wenn etwas noch den alten Geist von "Wired" weiter trägt, dann ist das eigentlich sogar Wired News, die Nachrichtenseite im Internet.
Sie leben jetzt wieder in Amsterdam?
Metcalfe: Wir verbringen das halbe Jahr in Kalifornien und den Rest in Holland.
Bedeutet das für Sie, wieder "nach Hause" zu kommen? Haben Sie das Silicon Valley satt, das dem alten "Wired" zufolge doch immer ein Modell für die ganze Welt darstellen sollte?
Metcalfe: Silicon Valley ist nach wie vor ein entscheidender Ort. Dass wir wieder mehr Zeit in Europa verbringen, ist wohl eher eine persönliche Angelegenheit. Wir wollten einfach wieder andere Dinge sehen. Im Valley, wissen Sie, da wird man leicht ein bisschen zu sehr überzeugt von der [schreit] Wichtigkeit seiner eigenen, kleinen Welt. Es ist daher schön, wieder zurückzukommen. Das ist auch wichtig für unsere Kinder, die nicht in einer Monokultur aufwachsen sollen.
Warum haben Sie "Wired" nicht gleich in Europa herausgebracht?
Metcalfe: Es wäre überhaupt nicht gegangen. Ich glaube nicht, dass wir damals hier Risikokapital bekommen hätten. Wir hätten nicht die Leute gefunden, die sich jeden Tag halb zu Tode rackern - ohne eine klare Belohnung in Aussicht. Und die Infrastrukturkosten waren einfach idiotisch. Es gab keinen Wettbewerb im Telefonmarkt. Internationale Ferngespräche kosteten das Doppelte wie in den USA. Wir hätten überhaupt nicht recherchieren können. Und für die Anzeigenakquise hätten wir mit Dutzenden von Marketingleitern in einem Dutzend Sprachen sprechen müssen.
Würden Sie etwas anders machen, wenn Sie das Heft heute noch einmal neu konzipieren könnten? "Wired" wurde ja oft gescholten, dass es zu unkritisch über die neuen Technologien berichten würde. Es kam das Schlagwort auf von der "Kalifornischen Ideologie", die "Wired" verbreiten würde.
Metcalfe: Ich glaube, man muss optimistisch in die Zukunft schauen. Wir sind während des Kalten Krieges aufgewachsen. Unsere Kommilitonen im College sprachen alle davon, niemals Kinder zu bekommen und alle warteten darauf, dass jemand den Knopf für die Raketen drückt. Zum Glück ist das heute wieder anders. Es ist einfach wichtig, kritisch optimistisch zu sein, sonst verkriecht man sich im Zynismus. Auch die Unternehmenskultur wird viel besser, wenn eine optimistisch Grundhaltung überall zu spüren ist. Alles, was wir heute starten würden, wäre daher von derselben Idee durchtränkt, dass es möglich ist die Welt zu verbessern und dass Individuen eine Rolle dabei spielen.
Es war für uns eine eindrückliche Erfahrung, aus Nordeuropa über die Ostküste an die Westküste zu kommen. Bei jedem Schritt unterwegs veränderten sich die Umstände. Da war Nordeuropa mit den dunklen Wolken und dem langen Winter. Dann kamen wir nach New York und Boston. Der Stand der Dinge war nicht gut, damals in 1991. Die Wirtschaft war kaputt, es war die Zeit des Golfkriegs. Die Leute hatten viel damit zu tun, ihre Jobs zu behalten. Und als wir dann über den Kontinent hinüber nach Kalifornien zogen, änderte sich alles von Schwarz nach Weiß. Die Sonne schien und die Leute sagten uns: ‚Hey, ihr habt eine tolle Idee.' Mit einem Mal gab es da Menschen, die glaubten, dass wir "Wired" zum Laufen bringen könnten. Und bisher hatten uns alle bei jedem Schritt nur gesagt, dass es nicht klappen würde. Dieses Denken war absolut entscheidend für uns, um weiterzumachen.
Mitte der Neunziger gab es auch Pläne für eine deutsche Ausgabe von "Wired" zusammen mit dem Spiegel-Verlag. Warum ist daraus nie etwas geworden?
Metcalfe: Deutschland war Teil eines größeren Plans. Es ging darum, einen globalen Pool an Redaktionsbeiträgen zu gründen. Das hätte sicher dabei geholfen, "Wired" weniger amerikanisch und vielleicht auch weniger idealistisch zu machen. Dem Magazin wäre das sehr zugute gekommen - solange das Ganze mit einem Spritzer unserer "Wired"-Perspektive versehen worden wäre. Doch unsere Partner hier in Deutschland stellten ihre eigene Pläne in den Vordergrund, sodass wir alles wieder abbliesen. Dabei hatten wir schon Büros in Berlin-Mitte gemietet - in einer Zeit, in der noch keiner von der Medienstadt Berlin sprach.
Welche neuen Projekte planen Sie im Moment?
Metcalfe: Auf diese Frage warte ich schon die ganze Zeit [lacht]. Ich bin es so leid, über "Wired" zu sprechen. Wir bekamen ja wunderbarerweise zwei Kinder, als wir aus der Firma ausschieden. Das hat uns sehr geholfen, uns zu entgiften. Wir arbeiteten ja wie Sklaven die ganze lange Zeit über. Und ich fand endlich Gelegenheit, mir drei neue Projekte zu suchen, an denen ich momentan arbeite. Zwei davon sind im Non-Profit-Bereich angesiedelt, das eine ist eine kommerzielle Sache. Und zwar ist das eine Organisation namens Ground Zero, die ihre Heimat im Silicon Valley hat. Es geht darum, Ressourcen zur Verfügung zu stellen, mit denen die Magie gefördert wird, die aus der Interaktion zwischen Kunst und Technologie entsteht. Da die üblichen Mäzene - Regierungen und Konzerne - momentan kaum Geld haben, hilft die Organisation bei der Suche von kreativen Talenten und bringt Techniker und Kreative zusammen. Wir helfen ihnen zum Beispiel bei der Vorbereitung von Ausstellungen und hoffen, mit dem Projekt auch die Kultur im Silicon Valley zu bereichern. Im Moment geht es da ja nur ums Marketing und ums Ingenieurwesen. Die Leute arbeiten obsessiv und kümmern sich nicht um die Kultur. Der erste von uns eingeladene Künstler ist Bill Viola, der eine spirituelle Reise durch eine vielschichtige Welt kreiert.
Und die beiden anderen Sachen?
Metcalfe: Die zweite Organisation versucht, die so genannte digitale Kluft zu überbrücken. Sie heißt One-Economy.com Ziel ist es, die 35 Millionen Amerikaner, die momentan im subventionierten Wohnungsbau leben und nur zum Teil ans Internet angeschlossen sind, als einen Markt mit guten Erlösmöglichkeiten darzustellen. Bisher werden sie ja gar nicht als kaufkräftige Kundschaft gesehen. Und während gewisse Unternehmen dann ihre Marketingmöglichkeiten ausweiten, engagieren sie sich gleichzeitig für diese Gemeinschaften. Es ist ein Ansatz, der sich mit dem Gedanken an den freien Markt der traditionellen Philanthropie annähert. Wir haben schon einige Pioniere der New Economy für die Sache gewonnen.
Ex'pressions ist der Name des dritten Projekts. Es ist eine "New Media School" in der Bay Area, die sich von der klassischen Kunsterziehung weit gehend verabschiedet. Die Idee der Schule ist, dass Inhalteproduktion, das Management von digitalem Audio und Video sowie des Webmediums die tatsächlich vermarktbaren Fähigkeiten des 21. Jahrhunderts sind. Die Schule macht es möglich, innerhalb von 14 Monaten einen Abschluss zu erreichen, der auf Universitätsniveau liegt.