Wirtschaftskrieg des Westens: Riskantes Spiel mit vielen Kräften

Seite 2: Wirtschaftspolitik und Sanktionen

Wie Putin den Überfall auf die Ukraine auch deuten mag, fest steht, dass er aus seiner Sicht auf die Aggressionen der Nato reagiert hat, also auf die seiner US-amerikanischen Freunde. Auch die Möglichkeit im Nahen Osten Fuß zu fassen und somit wieder zum Gesprächspartner auf Augenhöhe zu werden, hat er dem chaotischen Vorgehen der USA und ihrer Verbündeten in Syrien zu verdanken.

Dass Putins Großmachtansprüche von so vielen in der russischen Bevölkerung geteilt werden, hat auch mit der Rolle der kapitalistischen Demokratien während der Öffnung der Sowjetunion zu tun. Für viele Menschen in den ehemaligen Ostblock-Staaten waren die Neunzigerjahre und die Öffnung der Märkte eine Katastrophe, laut bpb waren die Konsequenzen besonders in Russland stark zu spüren:

Dort brach im Laufe jenes Jahrzehnts das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (gemessen in Kaufkraftparität, also nicht zum Wechselkurs, sondern in der tatsächlichen Kaufkraft, bezogen auf einen Warenkorb) um etwa ein Drittel ein. Erst 2006 erreichte es wieder den Wert von 1990. Der monatliche Durchschnittslohn lag 1999 bei umgerechnet 62 Euro. Nach Angaben der russischen Statistik lebten 1999 knapp 30 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, nach Berechnungen der Weltbank sogar über 40 Prozent. Die durchschnittliche Lebenserwartung der russischen Bevölkerung sank im Laufe der 1990er-Jahre von 68 auf 65 Jahre.

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Aus diesem Wahnsinn sind die Oligarchen hervorgegangen, die wir jetzt sanktionieren, und Putin setzte sich später an ihre Spitze. Das letzte Mal also, als der Westen für eine wirtschaftliche Katastrophe in Russland mitverantwortlich war, ebnete er auch Putins Weg an die Macht.

Andere Beispiele, die zeigen, dass US-amerikanische Sanktionen oft eher zur Stärkung autokratischer Regime geführt haben, sind der Iran und Kuba. Ob Sanktionen also zu einem Regimewechsel führen können, ist definitiv anzuzweifeln, und wenn die Bevölkerung leidet, könnten sich antiwestliche Sentiments noch vertiefen.

Wir sollten nicht vergessen, dass, auch wenn manche der Omnipotenz der Vereinigten Staaten vielleicht gerade wehmütig nachtrauern, es Länder im Nahen Osten gibt, die einen anderen Blickwinkel auf den Rückzug der Hegemonialmacht haben. Diese haben nach der militärischen Überlegenheit der USA nun auch deren finanzielle Allmacht erfahren.

Präsident Biden entschied erst kürzlich: "unter Berufung auf Notstandsbefugnisse, die gesamten sieben Milliarden Dollar an Vermögenswerten, die die afghanische Zentralbank in New York aufbewahrte, zu konsolidieren und einzufrieren" (New York Times).

Auch diese Konflikte waren unbegründet, und auch dort wurden Länder in Schutt und Asche gelegt - bis großen Teilen der Bevölkerung nichts anderes übrigblieb, als ihr Land zu verlassen. Die Flüchtlinge kamen auch damals an unsere Grenzen, nur waren sie nicht weiß und aus dem Nachbarland, und die Empathie vieler Europäer deshalb schnell erschöpft.

Bleibt nur zu hoffen, dass die Empathie dieses Mal länger hält, zumindest länger als die russische Wirtschaft und damit vielleicht auch länger als der verdammte Krieg.