Wirtschaftsspionage mit Echelon?
Der Streit, ob nun die NSA europäische Unternehmen ausspioniert oder nicht, verschleiert für Campell nur den eigentlichen Skandal, dass alle Geheimdienste elektronisch auch Privatpersonen und Organisationen belauschen
Der Ex-CIA-Direktor James Woolsey hatte letzte Woche noch einmal in einem Wall Street Artikel eine Attacke gegen die Aufgeregtheit der Europäer über Echelon und die mit dem Lauschsystem möglicherweise betriebene Wirtschaftsspionage geschrieben und dabei betont, dass amerikanische Geheimdienste "nur" im Falle von Bestechung europäische Unternehmen belauschen, aber diese Informationen nicht US-Unternehmen zukommen lassen, zumal die es wegen der technischen und wirtschaftlichen Überlegenheit sowieso nicht nötig hätten, im Wettbewerb auf Geheimnisse zurückzugreifen (Warum wir unsere Alliierten ausspionieren). Duncan Campbell, Autor des STOA-Berichts an das Europäische Parlaments, der für die Unruhe gesorgt hatte, sagt, dass Woolsey zwar Recht habe, aber doch nicht ganz.
Der transatlantische Streit, wer wen warum abhört, geht weiter. Woolsey hatte Campbell vorgeworfen, keinerlei Belege dafür vorgelegt zu haben, dass die NSA mit Echelon tatsächlich Wirtschaftsspionage betrieben hat. Seine beiden Beispiele würden lediglich belegen, dass es sich dabei um Bestechungsvorgänge gehandelt habe. Und hier würden die amerikanischen Geheimdienste tatsächlich europäischen Unternehmen belauschen. Ansonsten aber sollten sich die Europäer beruhigen und ihre Wirtschaft liberalisieren, damit sie innovativer wird und nicht mehr auf Bestechung angewiesen ist.
Campbell räumte gegenüber Security Focus ein, Woolsey habe zwar "nicht unrecht", dass die amerikanischen Geheimdienste keine Wirtschaftsgeheimnisse für amerikanische Unternehmen besorgen, aber ganz so stimme dies auch wieder nicht: "Die amerikanischen Geheimdienste handeln nicht im Auftrag von US-Unternehmen, sondern von der Regierung. Aber die Weitergabe von Informationen geht über Kanäle zu Behörden wie dem Wirtschaftsministerium oder dem Weißen Haus. Diese Politiker und Regierungsangestellten treffen die Entscheidung, ob Informationen über Unternehmen auch außerhalb der Regierung weiter gegeben werden. Es gibt einen offiziellen Kanal zur Weitergabe von Geheimdienstinformationen an Unternehmen, aber nur als Folge von politischen Entscheidungen, die auf einer Fall-zu-Fall-Grundlage gefällt werden." Campbell verweist auf Zeitungsartikel, die berichtet haben, dass das Wirtschaftsministerium solche Informationen an bestimmte Leiter von Wirtschaftsunternehmen weiter geben.
Das alles bleibt auf dieser Ebene natürlich weiterhin nebulös, solange es keine wirklichen Belege gibt. Doch jetzt hat sich auch James Bamford, Autor eines Buches über die NSA, in die Diskussion eingemischt. Auch wenn er der Meinung ist, dass die NSA stärker kontrolliert werden müsste, stärkt er dennoch die Position von Woolsey, dass der Geheimdienst keine Informationen an die US-Wirtschaft weiterreicht: "Die NSA ist eine äußerst geheime Organisation. Selbst wenn man in der Regierung oder in einem anderen Geheimdienst arbeitet, wird man kaum Informationen von der NSA erhalten." Die NSA sei vor allem mit aktuellen politischen Problemen beschäftigt, also etwa wo sich Usama Bin Laden aufhalte, aber nicht mit der Beschaffung von Informationen über europäische Unternehmen.
Campbell ist allerdings der Meinung, dass der Streit, ob nun die NSA Wirtschaftsspionage betreibe oder nicht, das wirkliche Problem in den Hintergrund schiebe, das die europäischen und amerikanischen Bürger gleichermaßen betrifft, nämlich "das gigantische Ausmaß des Eindringens in die Privatsphäre durch elektronische Geheimdienste, gleich ob es sich um amerikanische, britische oder andere Geheimdienste handelt. Ich stimme sicherlich der Behauptung zu, dass die Franzosen das auf dieselbe schamlose Weise machen, wie dies Mr. Woolsey gemacht hatte, als er für den CIA gearbeitet hat."
Dänische Journalisten des Ekstra Bladets sagen, sie hätten Belege dafür gefunden, dass die NSA mit Echelon nicht nur Leute wie Saddam Hussein, Osama Bin Laden, Milosevich oder andere "Bösewichter" belauschen, sondern auch Hacker, NGOs oder Organisationen wie das Rote Kreuz auf das Korn nehmen. Auf einer Diaserie, die bei einem internen Vortrag über die "Our Changing World" von einem Offizier der 544th Intelligence Group des Luftwaffengeheimdienstes gezeigt worden seien, der nach den kürzlich veröffentlichten Dokumenten einen Echelon-Lauschposten betreibt, seien diese Ziele mit der rhetorischen Frage "Freund oder Feind?" als neue Ziele hervorgehoben worden. In der sich verändernden Welt, so der Text zu dem Dia, gibt es "viele Fische in vielen unvertrauten Gewässern. Sie sind mobil und vielfältig, und die Technik hat sie voranschreiten lassen." Ob das auch wirklich heißt, dass NGOs oder das Rote Kreuz belauscht werden, wie die Journalisten unterstellen, lässt sich daraus natürlich nicht ableiten. Das aber die Webseiten mit den Dias mittlerweile gesperrt sind - "Forbidden Page" - , von denen die dänischen Zeitung die Links angegeben hat, eist zumindest darauf hin, dass sie für die Öffentlichkeit nicht vorgesehen waren, und lässt auch vermuten, dass an der Behauptung der Journalisten doch etwas dran sein könnte. Immerhin hat Ekstra Bladet das betreffende Dia kopiert und ins Netz gestellt.