Wissenschaftler sollen die Informationen über das menschliche Genom frei zur Verfügung stellen

Die gemeinsame Erklärung von Blair und Clinton ist symbolische Politik at its best or worst

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Nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen dem öffentlich finanzierten internationalen Human Genome Project und Celera, einem Unternehmen, das mit neuesten Sequenzierungsmaschinen und einem anderen Verfahren angekündigt hat, noch in diesem Jahr das menschliche Genom vollständig zu sequenzieren, sind der britische Premierminister Tony Blair und der amerikanische Präsident Bill Clinton offenbar unter Druck geraten. Seit letztem Jahr liefen nämlich bereits Gespräche zwischen beiden Regierungen, um zu verhindern, dass die sequenzierten Daten des menschlichen Genoms patentiert und damit der Öffentlichkeit entzogen werden könnten.

Das Human Genome Projekt und Celera stehen in einem Wettkampf um die Entzifferung des gesamten menschlichen Genoms (Wer gewinnt den Wettlauf?). Das Unternehmen hat erst im Januar behauptet, die Sequenzierung des menschlichen Genoms bereits zu 90 Prozent realisiert zu haben, wodurch das von Steuergeldern getragene Human Genome Project weit zurückgefallen wäre. Allerdings benötigt Celera, das mit einem anderen Verfahren arbeitet, zur Vervollständigung der Analyse auch die Daten der am HGP beteiligten Institute, die sich verpflichtet haben, die sequenzierten Daten innerhalb von 24 Stunden nach ihrer Entdeckung zu veröffentlichen. Letztes Jahr hatten Celera und das HGP hinsichtlich des Genoms der Fruchtfliege trotz aller Konkurrenz zu einer Kooperation gefunden, die zu beiderseitigem Nutzen auch auf das menschliche Genom Anwendung finden sollte. Doch nachdem Celera angekündigt hatte, man wolle sich für vier Jahre ein exklusives Lizenzrecht für die gemeinsame Datenbank sichern und überdies daraus sich ergebende Anwendungen wie DNA-Chips lizenzieren, kam es zu einem Konflikt, der damit endete, dass vom HGP die Verhandlungen als gescheitert betrachtet wurden. Man warf Celera vor, ein faktisches Monopol über das menschliche Genom anzustreben (Patentierung des menschlichen Genoms).

Celera steht freilich wieder in einem scharfen Wettlauf mit anderen Unternehmen, um sich möglichst schnell möglichst viele Gene über Patente anzueignen. Jetzt werden nämlich die Grundlagen für die künftige Position an einem Markt gelegt, der gewaltige Gewinne zumindest zu versprechen scheint. Und der Besitz von Patenten an menschlichen Genen stellt in der Biotechnologie gewissermaßen das El Dorado dar. Celera hat bereits 6500 Patentanträge auf menschliche Gene gestellt und angekündigt, weitere Patente zu beanspruchen. Aber auch Unternehmen wie Human Genome Sciences oder Incyte, beides ebenfalls amerikanische Firmen, haben jeweils über 6000 Patentanträge eingereicht, Incyte konnte bereits über 170 Patente einheimsen, die vom amerikanischen Patentamt ohne Schwierigkeiten vergeben werden. Und Hysec hat etwa mit dem kürzlich erfolgten Start von Gene Solutions nur noch einmal deutlich gemacht, was eine Patentierbarkeit der menschlichen Gene bedeutet. Auf der Website werden wie bei anderen biotechnischen Unternehmen genetische Informationen gegen Gebühren an interessierte Pharmahersteller oder Wissenschaftler verkauft. Und das schließt Wissenschaftler und Forschungsinstitutionen, besonders wenn sie aus armen Ländern stammen, womöglich vom Zugang und damit auch von der Forschung aus.

Im Wettlauf um den ersten Platz, der auch über die Aktienwerte entscheidet, meldet jedes Unternehmen gerne, man sei den anderen voraus. So etwa Roy Whitfield, CEO von Incyte im Januar: ""We have sequenced, patented, and broadly licensed more genes than anyone else in this first critical phase of the genomics revolution. An estimated 95% of the genes in the human genome are represented in our LifeSeq Gold database with a corresponding physical clone for each gene. As we forge new frontiers, we remain committed to providing broadened access to the scientific community."

Wer aber möglicherweise erwartet hat, dass die beiden Regierungschefs der Länder, die den größten Anteil am internationalen Projekt des HGP stellen, wirklich die Veröffentlichung der gesamten Daten sicherstellen und die Patentierung der menschlichen Gene verhindern, wird enttäuscht sein. Die gemeinsame, heute veröffentlichte Erklärung hat eher symbolische Bedeutung, in der Realität sind zumindest vorläufig keine Änderungen zu erwarten. Man hat auch den Eindruck, die beiden Regierungschefs wenden sich mit ihrer Erklärung nicht direkt gegen die Patentierung des menschlichen Erbguts, sondern wollen nur die an der Entzifferung beteiligten Institute zusammenhalten, so dass zumindest sie weiterhin die Ergebnisse veröffentlichen und selbst keine Gene patentieren.

Zunächst beschwört die Erklärung die Bedeutung des internationalen Projekts, das eines der wichtigsten wissenschaftlichen Unternehmen überhaupt sei, und beschönigt den Rückfall hinter Celera, indem dem GPG bescheinigt wird, man sei schneller als ursprünglich geplant vorangekommen. Die vollständige Sequenzierung des menschlichen Genoms verspreche eine größere Einsicht in die Ursachen von menschlichen Krankheiten und diene als Fundament für die Entwicklung einer "neuen Generation von wirksamen Behandlungen, Präventivmaßnahmen und Heilverfahren." Dabei sind, wie sich erst unlängst in den USA herausstellte, die Erfolge der Gentherapie bislang eher bescheiden.

"Um das ganze Versprechen dieser Forschung zu realisieren", so heißt es weiter, "sollten die fundamentalen Rohdaten des menschlichen Genoms, wozu die DNA-Sequenzen und ihre Varianten gehören, allen Wissenschaftlern auf der ganzen Welt frei zur Verfügung stehen." Man wird bemerken, dass von "sollen", nicht von "müssen" gesprochen wird. Nur ein "ungehinderter Zugang" könne zu den Entdeckungen führen, die allen Menschen zugute kommen und die "Lebensqualität der Menschheit" erhöhen. Recht unvermittelt kommt dann aber der Satz: "Der Schutz des geistigen Eigentums für genbasierte Erfindungen wird auch eine wichtige Rolle spielen, um die Entwicklung von wichtigen neuen medizinischen Produkten zu motivieren."

Wie nun der Konflikt zwischen einer ungehinderten öffentlichen Zugänglichkeit und der Patentierung gelöst werden könnte, verraten die Regierungschefs allerdings nicht. Übrig bleibt ein von vorne herein wirkungsloser Appell an die Privatwirtschaft, die sich von der Moral wohl nicht daran hindern lassen wird, sich die vielversprechenden Schätze weiterhin zu sichern, womöglich auch unter Zuhilfenahme der veröffentlichten Daten des HGP: "Wir begrüßen die Entscheidung der Wissenschaftler, die am Human Genome Project arbeiten, die fundamentalen Rohinformationen über die DNA-Sequenz und ihre Varianten schnell der Veröffentlichung zugänglich zu machen, und wir fordern andere Wissenschaftler auf der Welt auf, diese Praxis zu übernehmen."

Mike Dexter, Direktor des Wellcome Trust, der in Großbritannien vorwiegend das HPG und vor allem Sanger Centre finanziert, äußerte sich zwar zufrieden über die Erklärung, die helfen werde, dass "diese globale Ressource voll ausgeschöpft und dass die Informationen so aufbereitet werden können, das wirkliche medizinische Forschritte erzielt werden". Seine Hoffnung aber, andere Wissenschaftler würden jetzt auch sicherstellen. dass "diese wichtige genetische Ressource ein Besitz der Menschheit ist", wurde gleich von William Haseltine, dem Leiter von Human Genome Sciences widersprochen. Der nämlich sagte gegenüber BBC News, er verstehe die Erklärung der Regierungschefs "als eine Bestätigung der Bedeutung von Patenten, die die natürlichen Funktionen und den medizinischen Nutzen menschlicher Gene beschreiben." Patente seien für die Entwicklung von Medikamenten "absolut erforderlich". Und schließlich sei ein Patent ein die Veröffentlichung regelnder Vertrag zwischen einem Erfinder und der Gesellschaft: "Der Erfinder lehrt der Gesellschaft das Geheimnis seiner Erfindung und wird dafür durch eine begrenzte Zeit belohnt, exklusiv Produkte, die auf dieser Erfindung basieren, herzustellen und zu verkaufen."

Schon im Vorfeld versicherte Haseltine volle Unterstützung gegenüber Clintons Ablehnung von "breiten Patenten am genetischen Code": "The President is dead right in opposing broad patents of the human genetic code. That would be an abuse of the patent process -- locking up commercial rights without placing correspondingly valuable knowledge in the public domain. The beauty of patents is their implicit quid pro quo," he added. "To get a temporary right to commercially exploit a discovery, you have to disclose it to the world as well as its potential utility. That is how progress has occurred in genomics. But, allowing broad patents on the genetic code without the revelation of specific possible applications would only obstruct that progress for the life of the patent. Researching and patenting 'specific discoveries and developments' with a 'clear and definable benefit,' is exactly what HGS' research and patent programs are about. Every step we take in the laboratory and in the patent office is a step directly toward curing disease. We are not in the business of speculating on genetic information."

Auch Celera hat sich beeilt, mit der Erklärung von Clinton und Blair voll und ganz übereinzustimmen: "Celera begrüßt die Erklärung. Die Mission des Unternehmens stimmt völlig mit den Zielen überein, sicher zu stellen, dass die Wissenschaftler der ganzen Welt einen Zugang zu diesen wichtigen Informationen haben, um Fortschritte und Entdeckungen für die Verbesserung der menschlichen Gesundheit zu ermöglichen. Seit der Ankündigung der Bildung von Celera haben wir uns deutlich verpflichtet, dass wir zum Abschluss der Sequenzierung des menschlichen Genoms diese in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlichen und Wissenschaftlern kostenlos zur Verfügung stellen wollen." Da fragt man sich dann schon, wie es zum Konflikt zwischen dem HGP und Celera gekommen ist, in dem es gerade um diese Frage gegangen ist. Man wird allerdings bemerken, dass nicht gesagt wird, was der Zugang zunächst kosten und wann die Veröffentlichung geschehen wird.

Die entscheidende Frage bleibt dabei aber offen, ob nicht Gene, selbst wenn ihre Funktionen durch irgendwelche Verfahren beschrieben werden, nicht doch nur eine Entdeckung und keine Erfindung sind. Dazu aber haben sich die beiden Regierungschefs nicht geäußert, die beide auch daran interessiert sein werden, ihren jeweiligen Standort zu sichern, indem sie die biotechnologischen Unternehmen nicht verprellen. Wahrscheinlich würde aber sowieso jede politische Maßnahme, sollte sie denn wirklich gewollt werden, angesichts des Tempos der wissenschaftlichen Forschung zu spät greifen. Die Politik im Sinne von Blair und Clinton ist dann aber eigentlich doch nicht nur so symbolisch, wie die Erklärung und ihr Appell verstanden werden könnten, denn sie begünstigt die weiter erfolgende Absteckung der entscheidenden Claims in diesem Jahrhundert.

The potential for commercial development of genomics research also presents U.S. industry with a wealth of opportunities, and sales of DNA-based products and technologies in the biotechnology industry are projected to exceed $45 billion by 2009.

Presseerklärung des Weißen Hauses

Gleichwohl kam es an der Börse trotz der lediglich symbolischen Aussage der Erklärung zu Reaktionen. Ähnlich wie bei den Internetfirmen sind die Gewinnaussichten vieler Biotech-Firmen Zukunftsoptionen, weswegen die Investoren sie auch nur schwer wirklich bewerten können und schnell auf Unsicherheiten reagieren. Obwohl die beiden Regierungschefs keinerlei politische Eingriffe angekündigt haben und vom Weißen Haus schnell die Meldung kam, dass man nicht die Biotech-Branche schädigen wolle, sind die Biotech-Kurse nach Bekanntwerden der Erklärung stark abgesackt. Natürlich hat es besonders die Unternehmen erwischt, die wie Celera oder Human Genome Sciences auf die Analyse des Genoms setzen. Bis zu 20 Prozent haben ihre Aktien an Wert verloren.

Roy Whitfield von Incyte, deren Aktien um 28 Prozent zurückgingen, meinte, die Investoren hätten die Erklärung wohl falsch verstanden. Patentiert könne sowieso nicht das Genom werden, sondern nur einzelne Gensequenzen,. die gerade einmal 3 Prozent des Genoms ausmachen. Tatsächlich versicherte Rachel Levinson, vom Office of Science and Technology Policy des Weißen Hauses, dass sie sehr besorgt über die Reaktionen an der Börse sei, da sich durch die Erklärung nichts am bestehenden Patenrecht ändern werde.