Wladimir Putin - der neue George Soros?
In Weißrussland wächst die Sorge vor einer "bunten Revolution" während der kommenden Präsidentschaftswahl - organisiert vom Kreml
Im Osten nichts Neues? Mitte Juni erklärte Präsident Alexander Lukaschenko, dass die belarussischen Sicherheitskräfte eine Verschwörung vereitelt hätten, die nichts weniger als die Entfachung einer Revolution in dem osteuropäischen Land zum Ziel hatte. Lukaschenko führte aus, dass sowohl die "Marionetten" dieser Verschwörung, wie auch "ihre Drahtzieher im Ausland" demaskiert worden seien.
Bislang waren solche polemischen Kommentare osteuropäischer Regenten an den Westen gerichtet, der im 21. Jahrhundert eine Reihe "bunter Revolutionen" in etlichen postsowjetischen Ländern, wie etwa der Ukraine, unterstützte. In Reaktion auf diese Umstürze und Umsturzversuche bildete sich insbesondere in der Neuen Rechten eine antisemitische Legende heraus, wonach der jüdische Milliardär und Finanzspekulant George Soros diese "bunten Revolutionen" organisierte und hinter den Kulissen die Strippen ziehen würde.
Doch diesmal richtete Lukaschenko seine warnenden Worte gen Osten an den Kreml. Der "Regimechange" in Belarus soll demnach von Russland betrieben werden. In der Rolle des Strippenziehers würde sich somit der russische Präsident Wladimir Putin wiederfinden. Die Präsidentschaftswahlen in Belarus, die am 9. August stattfinden werden, sollten zum Sturz Lukaschenkos führen. Seitens des Kremls wurden die Anschuldigungen Lukaschenkos dementiert: "Der Kreml hat keine Kandidaten für die Wahlen in Weißrussland", erklärte Kremlsprecher Dmitrij Peskow.
Gazprom-Banker als Widersacher Lukaschenkos
Im Zusammenhang mit diesen an Russland gerichteten Vorwürfen scheinen Ermittlungen gegen Topmanager der Belgazprombank in Minsk zu stehen. Mitte Juni begann ein Prozess gegen 15 führende Angestellte des Finanzinstituts, das sich im Besitz des russischen Staatskonzerns Gazprom befinden. Den Bankern wird Betrug und Geldwäsche vorgeworfen, es seien mehr als hundert wertvolle Bilder, die diese außer Landes schaffen wollten, sowie 20 Millionen US-Dollar beschlagnahmt worden.
Der Hintergrund: Das Finanzinstitut, das sich de facto im Besitz der russischen Staatsoligarchie befindet, wurde bis zum Mai dieses Jahres von dem Banker Wiktor Babariko geführt, der nun politische Ambitionen entwickelte und bei den Wahlen gegen Lukaschenko antreten wollte. Babariko entwickelte sich im Wahlkampf tatsächlich zu einem aussichtsreichen Widersacher Lukaschenkos, der schon seit einem Vierteljahrhundert die Geschicke des osteuropäischen Landes leitet. Lukaschenko konnte in den chaotischen 1990er Jahren die Republik Belarus tatsächlich ökonomisch und sozial stabilisieren, er ist aber aufgrund zunehmender wirtschaftlicher Stagnationstendenzen und seines Missmanagements während der Corona-Epidemie auch innenpolitisch stark unter Druck geraten.
Babariko sprach in Reaktion auf den Prozess gegen seine ehemaligen Mitarbeiter von einer Raubkampagne, die potenzielle Gegner Lukaschenkos einschüchtern solle. Bei einem Interview mit dem Radiosender Echo Moskaus - ebenfalls im Besitz von Gazprom - bestritt der Banker, eine "Marionette" Putins zu sein.
Der Präsident der Republik Belarus - im Westen gerne als der "letzte Diktator Europas" tituliert - erklärte wiederum, dass die Ermittlungen gegen die Gazprom-Bank schon seit 2016 liefen und Babariko gerade deswegen in den Wahlkampf gezogen sei, um sich der Verfolgung wegen Wirtschaftsverbrechen zu entziehen.
Inzwischen befindet sich Babariko ebenfalls in Haft. Neben dem Banker wurde auch sein Sohn festgesetzt, der als Wahlkampfmanager seines Vaters agierte. Die Vorwürfe der belarussischen Justiz lauten auf Unterschlagung von Geldern, Zeugenbeeinflussung, und widerrechtliche Tätigkeit.
Dabei scheint der gut vernetzte Gazprom-Mann durchaus Chancen auf einen Wahlsieg gehabt zu haben. Rund 430.000 Wahlberechtigte haben die Kampagne Babarikos mit ihrer Unterschrift unterstützt, obwohl nur 100.000 Unterschriften für seine Kandidatur notwendig gewesen wären. Nach seiner Verhaftung gab es Proteste in Minsk, bei denen etliche Demonstranten kurzfristig verhaftet wurden. Damit scheint Lukaschenko der bewährten Strategie zu folgen, einfach alle aussichtsreichen Gegenkandidaten vor dem Urnengang aus dem Wahlkampf entfernen zu lassen, um einen ungefährdeten Wahlsieg gegen chancenlose Statisten erringen zu können.
Sowohl die Europäische Union wie die Vereinigten Staaten kritisierten die Verhaftung Babarikos, doch handelte es sich dabei um "verhältnismäßig routinierte Reaktionen", wie die Süddeutsche Zeitung bemerkte, was damit zu haben könne, dass "sich in den vergangenen Jahren das Verhältnis zwischen dem Westen und Weißrussland deutlich verbessert" habe. Lukaschenko habe die Annexion der Krim durch Putin nicht anerkannt, zudem bemühe sich Brüssel um eine "engere Anbindung mehrerer ehemaliger Sowjetrepubliken an die EU im Rahmen der Östlichen Partnerschaft". Infolgedessen scheint man im Westen gewillt zu sein, die routinierte demokratische Rhetorik in Grenzen zu halten.
Der geopolitische Balanceakt zwischen Russland und dem Westen
Die zunehmenden Spannungen zwischen Russland und Belarus resultieren aber in erster Linie nicht aus geopolitischen Differenzen, sondern aus dem zunehmenden Streit um das liebe Geld. Ein wichtiger Konjunkturfaktor der Republik Belarus bestand aus den Lieferungen von billigen fossilen Energieträgern aus Russland, die weit unter dem Weltmarktpreis gekauft werden konnten. Dieses Öl wurde in den Raffinerien des Landes verarbeitet und mit Gewinn auf dem Weltmarkt verkauft. Schätzungen gehen davon aus, dass 10-20 Prozent des belorussischen Bruttoinlandsprodukts auf diese Weise generiert wurden.
Diese Subventionierung der belorussischen Wirtschaft gründete in der anfangs von Lukaschenko forcierte Idee einer Union beider Staaten. In den Wirren der 90er Jahre, als der Alkoholkranke Boris Jelzin Russland an den Rand des sozioökonomischen Zusammenbruchs taumeln ließ, spekulierte Lukaschenko auf eine führende Rolle in einer solchen Union. Nach der Konsolidierung der Macht durch Putin wurde dem ehemaligen Kolchosendirektor aber sehr schnell klar, dass er in solch einer Union keine führende Rolle innehätte.
Im Kreml wiederum hält man an den Plänen für eine Union weiterhin fest - und macht die Lieferung verbilligter Energieträger von weiteren Integrationsschritten abhängig. Putin setzt somit die übliche Ölwaffe ein, um Belarus ökonomisch unter Druck zu setzen. Da Lukaschenko keine weiteren Integrationsschritte unternehmen wolle, müsse Belarus halt Weltmarktpreise für Öl zahlen, so der russische Standpunkt. Russland hat folglich die Preise deutlich erhört und die Lieferungen massiv gekürzt.
Lukaschenko wiederum bemüht sich, durch einen geopolitischen Balanceakt zwischen Ost und West die Unabhängigkeit seines Landes zu bewahren. Die zunehmenden Spannungen mit Russland sollen mittels einer Westannäherung kompensiert werden. Im Februar weilte US-Außenminister Mike Pompeo in Minsk, um einen Deal zu vereinbaren, bei dem die Ausfälle russischen Erdöls durch US-amerikanische Lieferungen kompensiert werden. Inzwischen werden rund 580-000 Barrel US-Öl in Belarus verarbeitet, womit zumindest kurzfristig die russische Ölwaffe entschärft werden konnte.
Russland und Belarus befänden sich in der schwersten Krise seit dem Zerfall der Sowjetion, erklärte ein belarusischer Analyst gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg. Die Grundlagen der alten Beziehung zwischen Minsk und Moskau seien dabei zu zerfallen, warnte ein ehemaliger Kreml-Berater, wobei sich in Moskau der Eindruck verfestige, dass Lukaschenko dabei "von außen ermutigt" werde. Moskau könne es sich aber nicht leisten, Belarus zu verlieren, da es viel zu wichtig sei.
Diese schwere geopolitische Krise zwischen Minsk und Moskau dürfte somit den Hintergrund der amateurhaften Bemühungen des Kremls bilden, westliche Interventionsstrategien zu kopieren und einen Gazprom-Mann als Gegenkandidaten zu Lukaschenko aufzubauen.
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