Wo Spaß und Leichtsinn herrschen

StudiVZ - der Tanker im Fischteich

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Ob nun 50 oder 100 Millionen Euro bezahlt wurde - die Übernahme des Studentenportals StudiVZ durch die Verlagsgruppe Georg von Holtzbrinck scheint das Millionen-Roulette im Web 2.0 zu eröffnen. Mit vollen Taschen wollen sich vor allem Medienkonzerne ihren Teil am Aufmerksamkeitsgeschäft sichern.

Allen Fehlern zum Trotz: Der Erfolg von StudiVZ ist beeindruckend. Von Studenten gegründet konnte das Berliner Startup-Unternehmen in nur einem Jahr eine Million Accounts gewinnen. Dabei erscheinen die Möglichkeiten der Studentenseite nicht einmal besonders aufregend. Erschien das Portal in den Anfangszeiten nur wie eine Eins-zu-Eins-Kopie des US-Vorbilds Facebook, hat die Berliner Firma nur wenige eigenständige Funktionen eingebaut, zum Beispiel kann jeder Nutzer bei den allgegenwärtigen Partybildern hinzufügen, wer denn auf dem Foto zu sehen ist.

Möglichkeiten akademischer Arbeit fehlen völlig, StudiVZ ist zum Flirten und "Gruscheln" geschaffen worden - nicht um miteinander Hausarbeiten zu schreiben oder gar Fachliteratur zu recherchieren. Hier herrscht der Spaß und der Leichtsinn. Dennoch erfreut sich die Studentenbörse offenbar großer Beliebtheit.

Wettbewerbsvorteil: Beliebtheit

Das ist auch der große Vorteil des StudiVZ vor den Konkurrenten: Die pure Masse macht den Marktführer besonders attraktiv. Eine Kontaktbörse ist nur nützlich, wenn sich die Zielgruppe hier versammelt. Viel beschriebener Vorteil der Studentenbörse: Die Akademiker können mal eben auf die Schnelle ihre Kommilitonen unverbindlich beschnüffeln, sie können mit ihnen direkt kommunizieren ohne erst Telefonnummer und Emailadresse auszutauschen.

Die Expansionsstrategie von StudiVZ verzichtete zunächst auf klassische Werbung. Stattdessen warb das Unternehmen so genannte Campus Captains an - unbezahlte Hilfskräfte, die die Botschaft der Plattform von Studenten für Studenten unter die jungen Akademiker brachten und auch als Supportkräfte vor Ort tätig sind. Ob sie weiterhin umsonst zuarbeiten wollen oder nicht auch die eine oder andere Vergünstigung erhalten wollen, bleibt abzuwarten.

Einige der CampusCaptains zeigen sich wenig erfreut, wurde ihnen doch noch vor Wochen versichert, dass das Unternehmen nie ganz verkauft würde. Doch viel Widerstand hat studiVZ von dieser Seite nicht zu befürchten. Zwar haben einige der ehrenamtlichen Helfer eine Protestgruppe gegründet, doch sie versichern, schon bald wieder wie gewohnt weiter arbeiten zu wollen.

Blogger gegen New Economy

Gegenwind bekam Studivz vor allem aus der Blogosphäre. Zuerst waren Videos bekannt geworden, bei denen Studivz-Mitgründer Ehssan Dariani auf der Straße und auf einer Toilette Frauen belästigt, dann wurde sogar eine geschmacklose Geburtstagseinladung bekannt, bei der sich Dariani auf der Titelseite des Nazi-Blattes "Völkischen Beobachter" feiern ließ.

Darauf folgte ein Skandal nach dem anderen: von der Existenz von vermeintlichen Stalking-Gruppen bis hin zu immer neuen Sicherheitslücken, die die Versprechungen der Unternehmensgründer verantwortlich mit den Daten der Nutzer umzugehen. Doch mit großer Anstrengung gelang des dem Unternehmen sich aus dem Skandalstrudel freizurudern: Die Plattform wurde überarbeitet, Sicherheitslücken gestopft, ein Verhaltenskodex für Mitglieder in Angriff genommen.

Der Blogger Don Alphonso brüstet sich damit, den Übernahmewert mit seinen Enthüllungen wesentlich gesenkt zu haben. Ob die Blogosphäre aber wirklich Einfluss auf den Kaufpreis hatte, wissen letztendlich nur die Verhandlungspartner selbst. Dass ein Startup-Unternehmen mit unerfahrenen Managern nach einem solch rapiden Wachstum Probleme bekommt, ist kaum verwunderlich: So hat Youtube noch immer mit Urheberrechtsproblemen zu kämpfen und MySpace wurde einer breiten Öffentlichkeit als Tummelplatz für Pädophile bekannt.

Nachhaltig bremsen konnten die Skandale das Wachstum der Communities nicht: Wie ein Tanker in voller Fahrt verfolgten die Plattformen weiter ihren Kurs - auch bei StudiVZ scheint dies so zu sein. Jedenfalls hat das Unternehmen nach eigenen Angaben immer noch über eine Million Accounts im deutschsprachigen Raum - die Massenabwanderung wäre demnach also ausgeblieben. Erst wenn die komplette Zielgruppe abgedeckt ist, scheint sich der Markt zu konsolidieren. Da mögen sich die Konkurrenten noch so sehr über die Schwächen des Marktführers mokieren - gegen den Marktführer haben sie kaum eine Chance.

Dabei kommt StudiVZ zu Gute, dass die Angebote besonders abgeschottet sind. Selbst wenn ich bei einem Konkurrenten angemeldet bin, kann ich sämtliche Videos auf der Videoplattform ansehen. Anders bei der Kontaktbörse: Wer keinen eigenen Account hat, bleibt ausgeschlossen und bekommt auf der Webseite höchstens ein paar Unternehmensinformationen zu lesen.

Wo geht es hin?

Gebetsmühlenhaft sprechen die StudiVZ-Gründer davon, die Services für ihre Mitglieder weiter ausbauen zu wollen. Doch ausgebaut werden nun wohl erst einmal die Werbemöglichkeiten. Schon jetzt prangt auf jeder Portalseite ein Werbebanner - der allerdings bisher nur auf einen Artikel über eine StudiVZ-Veranstaltung verweist. Wenn die neuen Anteilseigner das Unternehmen profitabel machen wollen, werden hier demnächst zahlungskräftige Unternehmen um die Kunden werben.