Wo sind all die Indianer hin?
Von einigen, die auszogen, um Piraten zu werden
Es sah so aus, als ob die neue Partei ganz unpolitisch die Interessen der Jugend vertreten würde: Freie, kostenlose Musik legal für alle. Beispielsweise mit der berühmten Kulturflatrate, die einige Banausen allerdings schon wieder vorzugsweise unter Aufsicht von ARD und ZDF ordnungsgemäß von der GEZ einkassiert sehen wollten. Der Piratenbegriff ist dabei eigentlich durchaus positiv besetzt: Freibeuter des Wissens oder Piratensender, die an der restriktiven Fernmeldegesetzgebung vorbei heiße Musik von hoher See senden, freie Software, freie Lexika... – oder doch nur eine fade Party mit Freibier?
War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilstand Lampenputzer;
Ging im Revoluzzerschritt
Mit den Revoluzzern mit.
Und er schrie: 'Ich revolüzze!'
Und die Revoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam sich höchst gefährlich vor.
Doch die Revoluzzer schritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er sonst unverdrutzt
Alle Gaslaternen putzt.
Sie vom Boden zu entfernen,
Rupft man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaster aus,
Zwecks des Barrikadenbaus.
Das große Vorbild sitzt in Schweden: die Piratpartiet. Sie wurde anlässlich des Raids auf Pirate Bay gegründet und sieht sich als die „Grünen der Software“, die nicht die natürlichen, sondern die geistigen Resourcen des Landes vor der Ausbeutung durch die Industrie schützen wollen. Eine derartige Bewegung wäre zwar dringend nötig, allerdings hat die Piratenpartei beim Thema Urheberrecht den taktischen Nachteil, dass die Gegenseite den Begriff Pirat hier bereits selbst belegt hat, und zwar negativ. Wer sich in diesem Bereich also jetzt noch als Pirat bezeichnet, erreicht zwar durchaus die gewünschte Provokation, aber zieht sich gleichzeitig unnötigerweise auch einen Schuh an, der ihm gar nicht passt.
Trotzdem war das politische Programm der schwedischen Piratenpartei kein blinder Aktionismus, sondern durchaus gut durchdacht. Der Erfolg war enorm: innerhalb von weniger als 24 Stunden hatte man die 2000 zur Gründung einer schwedischen Partei notwendigen Unterschriften beisammen und nach kurzer Zeit auch mehr Mitglieder als die schwedischen Grünen. Das Presseecho war überwältigend. Auch im Rest der EU wurden nun nach schwedischem Vorbild Piratenparteien gegründet, zunächst in Österreich und vorletzten Sonntag schließlich auch in Deutschland.
Doch nun ist die schwedische Piratenpartei bei der Wahl am Sonntag kläglich eingegangen Sie hat nicht die 4% erreicht, die für einen Sitz im Parlament in Schweden erforderlich sind, und sie hat noch nicht einmal die 1% erreicht, die eine Beteiligung am Wahlunterstützungsfond sichern würden, mit dem dann auch zukünftige Wahlkämpfe finanziert werden könnten. Gerade einmal 0,62% der Wähler konnten sich für die Befreiung des Wissens erbarmen. Das Thema zog bei der Allgemeinheit halt doch nicht genug, der es völlig egal ist, ob Juristen und Konzerne einzelne Personen in Grund und Boden klagen oder historische Bücher und Filme verbrannt werden (Der Kulturinquisitor), solange sie selbst nicht betroffen sind.
Die deutsche Piratenpartei hat dagegen schwerste Organisationsprobleme. Man will zwar keine reine Spaßpartei sein wie die APPD, doch zu mehr reicht es anscheinend nicht. Die Publikumsstimmen reichen von "haben die Unfähigkeit und Desorganisation der Grünen nach 20 Jahren Parlament bereits innerhalb von acht Wochen ohne Parlament durchlaufen" bis zu "sind heute bereits so tot wie der CCC ohne Wau Holland und Andy Müller-Maguhn nach 25 Jahren". Auch Telepolis wurde zunächst aus dem inneren Kreis der deutschen Piratenpartei auf einen berichtenden Artikel angesprochen, doch kurz darauf ging das Kommando zurück und man wurde sogar gebeten, nie anderen Parteimitgliedern gegenüber zu erwähnen, woher der Tipp gekommen wäre, weil nicht einfach jedes Parteimitglied mit der Presse sprechen dürfe. Die Mitglieder, die etwas zu sagen hätten und die kein Redeverbot hätten, sollte man doch bitte über die Private Message-Funktion des Forums kontaktieren, E-Mail hätten die meisten nämlich nicht, oder ihre Kenntnis hätte zumindest den Informanten, der nun keiner mehr sein wollte, verraten.
Währenddessen stritt die Parteispitze weiter darüber, ob man Mitglieder nun am sinnvollsten über ein Wiki, über ein Forum oder doch lieber im Internet Relay Chat (IRC) rekrutieren und informieren könne, während einige Parteimitglieder erstaunt feststellten, dass die Mehrzahl der sich im Forum und IRC am lautstärksten äußernden und als Profi darstellenden Personen in der Altersgruppe von 12 bis 14 Jahren lagen.
Das politische Programm sollte zunächst per Wiki erstellt werden, später wurden stattdessen Posts im Forum bevorzugt. Das erste, was man auf konkrete Vorschläge jedoch als Antwort erhielt war, dass ein derartiger Post um Gotteswillen auf keinen Fall Webadressen enthalten durfte – wegen der Haftung für Links. Selbst vor Links auf Heise.de hatte man Angst – schließlich ist das ja eine ganz subversive Adresse, die bei der Musikindustrie seit langem in Verruf gekommen ist.
Es ist schon merkwürdig, wenn ausgerechnet die, die ausziehen, um Piraten sein zu wollen, mehr Angst vor Links haben als selbst mit Abmahnungen bereits im Zehnerpack gesegnete Blogger. Es ist auch merkwürdig, wenn der Webmaster einer Internet-Piratenpartei in diesem Fall nicht imstande ist, die automatische Verlinkung in seinem Forum durch HTML-Code abzuschalten. Nachdem auch andere Organisationen wie Stop1984 ihre erste Begeisterung über die neue Partei sehr schnell fallen ließen, erweckt diese den Eindruck, dass die frisch gebackenen Piraten gar nicht erst den schützenden Hafen verlassen werden, sondern bereits jetzt braune Hosen tragen.
Gegen die Freiheit der Meinung, Information und Kultur im Internet sind in Deutschland mittlerweile wahrlich mehr als genug Prozesse geführt worden und einschlägige reaktionäre Schimpfworte wie "Gutmenschen" sind wieder salonfähig geworden, obwohl sie dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten entstammen. Ebenso wird immer genau dann gesagt "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum!", wenn es konkret darum geht, mit Tricks eine krumme Wildwest-Gerichtsentscheidung durchzusetzen. Nur konsequent, dass die neuen alten Herren im Netz dessen bisherige Bewohner als "Netzindianer" beschimpfen, die folglich ebenso wie die amerikanische Urbevölkerung abzuknallen und auszurotten sind. Und das scheint mittlerweile gelungen zu sein, bei einer Piratenpartei, die mehr Angst vor der eigenen Courage hat als ihre Gegner und deren Mitglieder im Gegensatz zu jenen auch nie wagen würde, nachts nach einem Blick nach links und rechts auch mal bei Rot über die Kreuzung zu gehen…
Aber unser Revoluzzer Schrie:
'Ich bin der Lampenputzer
Diesen guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!
Wenn wir ihn' das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
Laßt die Lampen stehen, ich bitt!
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!'
Doch die Revoluzzer lachten,
Und die Gaslaternen krachten,
Und der Lampenputzer schlich
Fort und weinte bitterlich.
Dann ist er zu Haus geblieben
Und hat dort ein Buch geschrieben:
Nämlich wie man revoluzzt
Und dabei noch Lampen putzt.
Erich Mühsam - Der Revoluzzer