Wolfgang Tillmans gewinnt Turner-Preis
Rückständige Kunstdebatte in England um Legitimation moderner Kunst
Der in London lebende deutsche Fotograf Wolfgang Tillmans wurde gestern Nacht zum diesjährigen Gewinner des Turner-Preises erklärt, dem prestigeträchtigsten, jährlich vergebenem Kunstpreis in Großbritannien.
Tillmans war zunächst vor allem durch seine Fotos für Mode- und Zeitgeistmagazine bekannt geworden, bevor seine Abbildungen von Techno-Ravern von der Kunstwelt als wichtiges "Zeitportrait" kanonisiert wurden. Seine Sujets haben sich inzwischen längst gewandelt und Tillmans zählte seit Mitte der neunziger Jahre zu einem Fixstarter in Museums-Ausstellungen.
Auch die Jury in London begründete die Entscheidung für Tillmans mit seinen Bezügen zur "zeitgenössischen" Kultur, während er es zugleich verstünde, konventionelle Ästhetiken in Frage zu stellen. Tillmans Erfolg bestätigt nur, was schon seit Jahren zu beobachten ist, dass die Kunstwelt gerne auf Clubculture-Referenzen zurückgreift, um sich als hip, offen für das Neue und von Relevanz für die Gegenwart zu beweisen. Damit sollte aber nichts über die Qualität der Arbeit des Künstler gesagt sein, sondern über das erbärmliche Niveau der Debatte vor allem in England.
Rund um den Turner-Preis entflammt mit schöner Regelmäßigkeit alljährlich eine Debatte darüber, ob bestimmte Richtungen der modernen Kunst überhaupt "Kunst" seien. Die Front der Gegner reicht von der Skandalpresse bis hin zu Künstlern, die Malen und Zeichnen als die einzigen legitimen Ausdrucksformen betrachten ("The Stuckists" - Die Steckengebliebenen, nennen sich selbstironisch einige Vertreter dieser Schule). Sir Nicholas Serota, Direktor der Tate-Gallerie und Jury-Vorsitzender am Turner-Preis-Panel, konterte am vergangenen Sonntag live im Fernsehen, als er erklärte, dass die moderne Kunst - einschließlich neuer Medien und Konzeptkunst - keineswegs einfach wieder verschwinden würde. Die Kunst werde sich nicht plötzlich "besinnen" und "die Uhren zurückdrehen".
In Kontext dieser hängengebliebenen Kunstdebatte erscheint Herr Serota geradzu ultraprogressiv. Doch die Aufladung der Kunst mit dem "Zeitgenössischem", wie es von Serota und anderen betrieben wird, ist ein verbrauchter Trick. Bezüge zur Jugend- und Konsumkultur sollen zum X-ten Mal eine zunehmend unkritische und anämische Kunstszene regenerieren. Doch solche längst fälligen Abrechnungen zwischen tatsächlicher Jugendkultur und ihrer musealen Repräsentation finden im derzeitigen Klima nicht statt.