Zehn Jahre sprachlos
Technorezeption in Deutschland
Zehn Jahre Technorezeption in Deutschland und man möchte es kaum glauben: Techno und Sprachlosigkeit, das scheint zusammenzugehören wie Punk und Rebellion.
1. Language is a virus
Ohne Zweifel nimmt Sprache keinen bedeutenden Platz in der elektronischen Musik selber ein, trotzdem ist es nicht so, daß sie abwesend sein könnte: es ist nicht nur auf allen Platten Sprache - im minimalsten Falle die Bemerkungen, die in die Platte geritzt sind und Sprache, die in den Track gesampelt ist, sondern auch Informationen über Label, Pseudonym/Produzent und Tracktitel. Ohne Sprache wäre es weiter nicht möglich, daß elektronische Musik beispielsweise vertrieben, verkauft, eingeordnet, gefunden, besprochen und sonstwie kommuniziert werden könnte. Zumindest im deutschsprachigen Raum hat außerdem keine andere Musikrichtung mehr Zeitungen, die sich auf sie konzentrieren, mehr Artikel, die in Feuilletons und Lifestylblättern auftauchen oder mehr Bücher, die sich ihr widmen, hervorgebracht1.
Man muß sich also fragen, welchen Grund es dafür gibt, bei einer Musik wie Techno die Sprache als Mangel auf den Tisch zu legen. Nicht der Musik muß man sich dafür nähern, nicht dem dumpfen Grollen der Bassdrum, sondern dem Klappern der Tastaturen, um herauszufinden, wo so etwas gedacht wird, wo so etwas aufgeschrieben wird, wie man dazu kommt, so zu denken.
2. Das Ordnen des Diskurses
Werden wir noch genauer. Die Zuschreibung von Sprachlosigkeit auf Techno, auf elektronische Musik, taucht an zwei unterschiedlichen Stellen auf: im Mainstream-Journalismus und im Linken Diskurs. Im besten Falle zieht die Zuschreibung verschiedene Konnotationen2 mit sich:
In der Mainstream-Presse konnte man mit Sprachlosigkeit die Verwertbarkeit produzieren, die dem jeweiligen Medium am besten paßte. An die Stelle der anderen sozialen Praxis und der auffällig anwesenden Technologie setzte man "das Ritual" und schlug mit der Reduktion von Techno auf Stammeskultur zwei Fliegen mit einer Klappe. Techno als Bierzelt für Jugendliche: der neue Kult des Rausches, der Ekstase, des Umfallens3. Man winkte mit traditionellen Reizthemen: a) Sex, Drugs & Clubs. Stern näherte sich der Musik vor Jahren mit einem Aufmacher über Extasy. Oder b) mit Geld, Erfolg & Marketing. Spiegel berichtete von der Kaufkraft und malte ein Organigramm über die Ausstattung eines jeden Ravers. Die neue Musik war gerade eben so, wie man sie schlagzeilengerecht für seine Zielgruppe verpacken konnte. Die zugeschriebene Sprachlosigkeit gab einem in allem recht: Unintellektuelle Ritualisierte (übertreiben manchmal), die keine Probleme machen (tanzen) und denen man, weil sprachlos, auch noch verklickern kann, was sie kaufen sollen.
Von den verschiedenen Zeitungen, die sich im linken Diskurs verorten lassen, sah die Herangehensweise an Techno zunächst überwiegend positiv aus. Ausgerechnet die TAZ war 1988 eine der ersten, die "die neue Tanzmusik" als "Bekenntnisse eines Süchtigen"4
feierte und ihre soziale Praxis als "Ignoranz gegenüber antiquierten Werten wie 'handwerkliches Können' und 'geistiges Eigentum'" vorstellte. Bezeichnenderweise zieht sich die Tendenz einer positiven Berichterstattung solange durch die linke Presse, wie die Thematik nicht durch recherchierende Journalisten behandelt wird, sondern durch Schreiber, die mit der Musik arbeiten5. Die klassische Zuordnung "Du Band/Ich Journalist", die Einteilung in ein subjektives und objektives Wissen verschiebt sich. In den ersten Jahren ist Berichterstattung anders auch nicht möglich, eine zu große und vor allem von "außen" unübersichtliche Parallelwelt zur Popmusik hat sich gebildet. Erst in dem Moment, als bestimmte "Phänomene" einzeln außerhalb einer Techno-÷ffentlichkeit sichtbar werden, Marusha oder die beginnende Zusammenarbeit großer Veranstaltungen mit Markenartikeln wie bei Mayday oder Loveparade, kann die klassische Trennung wieder greifen, kann man über etwas schreiben, was man sieht, nicht unbedingt kennt. Das Schreiben über Techno verschiebt sich und damit auch die Rolle der Kritik. War es zunächst eine Kritik, die durch Techno der gesellschaftlichen Realität eine andere soziale Praxis entgegengestellt hat, ist es nun die Kritik bestimmter Tendenzen in Techno6.
3. Aufklärung
Warum setzt in diesem Moment die negative, kritische Berichterstattung über Techno in der linken Presse ein? Die jetzt beginnende Distanzierung von Techno ist zunächst mit dem verbunden, was gesehen wird. Man kann beobachten, welchen Teilen elektronischer Musik und der Praxis, die sich um sie herum gebildet hat, man Aufmerksamkeit schenkt. Die Kritik ist nicht möglich geworden, weil man besser und aus größerer Nähe hingeschaut hat. Die negative Kritik, die jetzt einsetzt, folgt der medialen Sichtbarkeit von Techno. Man sucht sich Großveranstaltungen wie Loveparade oder Chromapark als bestimmende, repräsentierende Bezugspunkte, über die man aufklärt7. Man hat auf die Spektakel der Marketingstrategen gehört und hat "Party" mit ihnen definiert: "Luxusliner, 'Airraves', Parties auf Goa und Ibiza, die Wüste wummert hinter Las Vegas"8. Anstelle sich weiter zu bemühen, die zu Beginn im Vordergrund stehende soziale Praxis zu verhandeln, reduziert man elektronische Musik auf Abtanzveranstaltungen9.
Man macht es sich jedoch zu einfach, wenn man der negativen Kritik an dieser Stelle vorwirft, nicht genau genug hingeguckt zu haben, den ständig steigenden Fluß an 12"es10, die kleinen Parties, das kontinuierliche Aufflackern illegaler Clubs, kurz, all die Orte sozialer kritischer Praxis übergangen zu haben. Vielmehr scheint es so zu sein, daß von der anderen Seite aus diese Orte nicht als kritische sichtbar sind, weil eine bestimmte kritische Sprachbegrifflichkeit abwesend ist:
"Wenn sich mit Techno, ausgehend von Acid, eine neue, nonnarrative nichtdiskursive Form des Pop-Prinzips durchgesetzt hat, so fordert die auf die Spitze getriebene Affirmation massig Widersprüche, welche die Clubkultur besonders anfällig für Verlogenheiten macht. Denn natürlich ist die angebliche Sprachlosigkeit bestens geeignet, falschverstandene Freiheiten, Sexismen und Dumpfheiten zu fördern und am Ende undiskutierbar zu machen."11
Techno, elektronischer Musik, Clubkultur wird in dieser Argumentation eine Sprachlosigkeit unterstellt, mit der a) die Abwesenheit einer linken Begrifflichkeit und b) folglich Positionslosigkeit gemeint ist. Die Relevanz sozialer Praxis wird im Zuge dieser Argumentation unsichtbar, indem hier das Ausüben kritischer Positionen auf sprachliche Markierung begrenzt, zumindest aber maßgeblich auf sie fundiert wird.
4. Das Performative rückwärts lesen
Man sollte sich hier die Mühe machen, zu überlegen, wie es zu der berblendung, mehr noch, der Analogie von Kritik und linker Sprachbegrifflichkeit kommen konnte. Anfang der Neunziger findet im Zuge der Political Correctness eine Politisierung der Sprache statt. Diese Politisierung fußt maßgeblich auf einer Politik des Performativen, die, unter Rückgriff auf John Langshaw Austins Sprachbegriff12, Sprache im Kampf um Anerkennung unterdrückter Identitäten als Handlungsmacht, als Weise der Welterzeugung definiert. Während der Diskussionen um die Relevanz der rassistischen und sexistischen Bezeichnungen ganzer Bevölkerungsfelder gerät das Monument "Sprache" selbst schnell in den Hintergrund. Die Begrifflichkeiten werden zu den einzigen Zeichen von Kritik erklärt. Sie markieren ihre Anwesenheit.
Man muß jedoch an dieser Stelle sehen, daß der Begriff von Sprache, mit dem die Political Correctness angetreten ist, mit dem die Politik des Performativen arbeitet, das Politische nicht allein in Begriffe legt13.Das Politische klebt nicht an ihnen, sondern an der Veränderung der kulturellen Koordinaten, in denen wir leben. Die Konventionen sind es, die im Zentrum des Angriffs stehen.
Während die Politik des Performativen Begrifflichkeiten verschiebt, um die Welt anders zu ordnen, bedient sich elektronische Musik der umgedrehten Vorgehensweise. Das Politische an Techno stellt der Welt eine andere soziale Praxis entgegen, einen eigenen sozialen Raum, in dem sich kulturelle Koordinaten anders anordnen und für den dann eine andere Sprache gefunden werden kann und muß14
. Die Abwesenheit einer klassischen kritischen Begrifflichkeit kann nicht mit der Abwesenheit des Politischen gleichgesetzt werden. Es ist immer noch das autonome Subjekt, das in der von 'Underground Resistance' hochgehaltenen Verbindung aus Mensch und Maschine verschwindet, das Werk, daß das sich in weitergleitenden 12" auflöst, der Club, der die Grenzen von Produzent und Konsument neu setzt. Es ist eine Verschiebung der Welt, die von einer anderen Seite her ansetzt, aber komplementär zur Politik des Performativen gedacht und in die Welt zurückverfolgt werden kann.
Man versucht im Moment aus Techno einen wohlerzogenen Diskurs zu machen, wieder Künstler- und Ausdruckskategorien in elektronische Musik einzuführen, versucht, die Normalität alias den Ausverkauf von Techno zu behaupten, um den Diskurs entweder in die hochkulturellen Werte einzugliedern oder in den Aufstieg und Fall einer klassischen Subkultur.
Wenn es nicht gelingt, umzudenken, anstelle negativer Entwicklungen in Techno diese andere Dimension des Politischen sichtbar zu machen, sichtbar zu machen, was tagtäglich praktiziert wird: daß junge Menschen Musik produzieren, Clubs gründen und Parties veranstalten, weil es ihnen ermöglicht, ihre eigene Welt zu entwerfen und die Regeln da draußen anders zu wiederholen, werden nicht die kritischen Dimensionen elektronischer Musik verschwinden, wohl aber die der linken Theorie. Radikalität ist eine Frage anderer Wiederholungen.
Mercedes Bunz ist Mitherausgeberin der Zeitschrift de:bug.