Zehn Störfaktoren der freien Wissenschaft
Seite 2: 2. (Staatliche) Drittmittelvergabe
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Wenn es um die Unabhängigkeit der Wissenschaft geht, darf das Thema Drittmittel, also die Forschungsfinanzierung abseits des regulären Universitätsbudgets, nicht fehlen. 2020 machten Drittmittel rund 52 Prozent der 'Forschungsausgaben in Deutschland aus.
"Heute kann so gut wie niemand mehr ohne Drittmittel forschen", sagt Christian Kreiß. "Das ist so wichtig geworden, dass bei vielen Stellen mittlerweile sogar explizit ‚Erfahrung im Erwerb von Drittmitteln‘ ausgeschrieben wird."
Besonders betroffen sind Disziplinen mit teuren Forschungsmitteln: die Kosten für gewisse spezialisierte Elektronenmikroskope etwa gehen in die Hunderttausende.
Widmen wir uns zunächst den Zuwendungen aus öffentlicher Hand, das heißt solchen der EU, des Bildungsministeriums BMBF, des Wirtschaftsministeriums BMWK oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG, die mit einem Anteil von 30,2 Prozent (Stand: 2020) die größte Drittmittelquelle darstellt.
Tatsächlich seien die Vergabekriterien zumindest der DFG "sehr clean", sagt Kreiß, also streng wissenschaftlich. Daran wurden allerdings schon 2011 in der FAZ Zweifel angemeldet (Titel: "Die freie Wissenschaft ist bedroht").
Die Vorwürfe um "Intransparenz" und "Selbstbedienung" erhärteten sich im Juni 2020 durch einen Artikel im Manager Magazin, der sich dem Förderprojekt "Nationales Netzwerk der Universitätsmedizin" widmete und die Doppelrolle der Charité als Koordinator und Profiteur von Fördermitteln kritisch beleuchtete.
Ähnliche Vorwürfe wurden damals auch bei der EU-finanzierten Himalaya-Prognose laut.
Laut Sandra Kostner vom Netzwerk Wissenschaftsfreiheit ist die Angewiesenheit auf Drittmittel das Ergebnis der "neoliberal inspirierten Hochschulreformen" der frühen 2000er Jahre (sog. Hochschulrahmenreform). "Daraus haben sich klare Lenkungsmöglichkeiten ergeben", sagt die Migrationsforscherin.
Wenn Sie in Ihrer Forschung anstößige Thesen aufstellen, werden sie es schwer haben, Drittmittel einzuwerben. Das Risiko gehen die wenigsten ein, zumal wenn sie noch die Verantwortung für ein ganzes Team tragen oder nur befristet angestellt sind.
Sandra Kostner
Gleichzeitig veranlasse die Aussicht auf Fördergelder Kollegen dazu, ihren Forschungsgegenstand entsprechend anzupassen und dem "Sog der Förderung" zu folgen, wie es im FAZ-Artikel von 2011 heißt. Im Falle von öffentlichen Fördergeldern gerät die Wissenschaft dadurch in das gefährliche Fahrwasser, mit ihrer Forschung politische Zwecke zu legitimieren. Doch dazu später mehr.