Zehn Tipps für eine linke Wahlniederlage
Seite 2: Selbstkritik? – Fehlanzeige
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Anders als sein Vetter, Giorgos Tsipras, sieht Alexis Tsipras den Grund für die Niederlage bei allen anderen, nur nicht bei seiner Partei. Er übernimmt verbal die Verantwortung, will aber für sich keine personellen Konsequenzen ziehen.
Er hatte zu keinem Zeitpunkt ein klares Programm, beklagt sich aber, dass keine der anderen Parteien eine Koalition mit ihm als realistisch einstufte. Dabei strotzte der Wahlkampf und das Oppositionsverhalten von Syriza nur so von Fehlern. Zehn davon sind:
1. Leugnen der linken Identität
2012 trat Syriza unter dem Namen "Syriza – Koalition der radikalen Linken" an. Der Ausdruck "radikal" ist im Griechischen nicht negativ konnotiert. Tsipras wollte sich zum Zentrum öffnen, erlangte Beobachterstatus bei den europäischen Sozialdemokraten.
Die Partei trat nun als "Syriza – Fortschrittskoalition" an. Im Streben nach Distanzierung von der linken Vergangenheit ging Tsipras so weit, sich öffentlich mit der Pasok zu streiten, wer der wahre Erbe des Pasok-Gründers und begnadeten sozialdemokratischen Populisten Andreas Papandreou sei.
Dass die Wähler dann lieber das Original, die Pasok, wählten, dürfte eigentlich niemanden ernsthaft überraschen.
2. Flüchtlingsfeindlichkeit
Zu den fundamentalen Themen linker Parteien zählen die Menschenrechte. Bereits frühzeitig bemühte sich Tsipras, die Wähler davon zu überzeugen, dass seine Flüchtlingspolitik dem konservativen Credo der "Festung Europa" entsprechen würde.
Syriza befürwortet den Ausbau des Grenzzauns und nimmt die Push-Backs auf dem Meer billigend in Kauf. Das kam bei linken Wählern nicht gut an. Den rechten Wählern, nach denen Tsipras schielte, missfiel, dass Syriza die Befürwortung des Grenzzauns zwischenzeitlich immer wieder kurz in Zweifel zog, um die linken Wähler nicht vollständig zu verprellen.
3. Rekrutierung rechter Politiker
Die Nea Dimokratia hatte unter ihrem Premier Kostas Karamanlis von 2004 bis 2009 das Land in die Pleite geführt. Tsipras rekrutierte einen von Karamanlis engsten Vertrauten, den früheren Regierungssprecher Evangelos Antonaros als Parlamentskandidaten.
Dies blieb kein Einzelfall. So trat in Kilkis im April die Abgeordnete und Zentralratsmitglied Irini Agathopoulou ihre Parlamentskandidatur aus Protest zurück, weil Tsipras in ihrem Wahlkreis einen einst zum rechten Flügel der Pasok gehörenden Kandidaten auf die Wahlliste von Kilkis setzte. Mit Pavlos Tonikidis als Mitkandidaten wollte Agathopoulou aus Gewissensgründen und wegen ihrer linken Ideologie nicht in einem Atemzug genannt werden.
4. Querfrontaufbau während der Pandemie
Während der Pandemie biederte sich Syriza rechten Corona-Kritikern an, machte aber auch das nicht mit letzter Konsequenz. Gleichzeitig wurde die Regierung für ihre Coronapolitik und die Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten kritisiert, aber zugleich angeprangert, dass es zu viele Corona-Tote gäbe.
Es fehlte bei der Kritik der Ansatz, das – auch von Syriza – kaputtgesparte Gesundheitssystem als entscheidenden Faktor für die im europäischen Vergleich hohe Übersterblichkeit zu erfassen. Das hätte Selbstkritik erfordert.
Es ist bezeichnend, dass sich Tsipras mit Professorin Athina Linou eine Virologin ins Kandidatenteam holte, die ernsthaft behauptete, der Coronavirus könne wegen des göttlichen Segens nicht während der Heiligen Messe übertragen werden.
5. Als Atheist den Segen bei homo- und transfeindlichen Bischöfen suchen
Der Bischof von Piräus Seraphim ist für seine rassistischen Ansichten, seine neofaschistischen Reden und seine Verurteilung homosexueller und Transmenschen bekannt. Tsipras, der sich selbst als Atheisten bezeichnet, hatte nichts Besseres zu tun, als vor den Wahlen einen Fototermin mit Seraphim zu buchen.