Zeitenwende für Russland

Sorgenfalten, als Russlands Wehrminister Schoigu (l.) nach dem Stand der Mobilisierung fragte. Foto: Verteidigungsministerium der Russischen Föderation / Savitskiy Vadim

Die Außenpolitik Moskaus ist durch den Einmarsch in die Ukraine ungewollt in eine defensive Phase geraten. Experten sahen dies voraus. Der Kreml kann unabhängig vom militärischen Ausgang nicht gewinnen.

Die jüngst stark beanspruchte, aber auch umstrittene Bezeichnung "Zeitenwende" für die Epoche nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine trifft auch beim Thema Außen- und Geopolitik besser auf Russland zu als auf Mitteleuropa. Dort hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) den Begriff unmittelbar nach der Invasion eingeführt.

Die Jahre vor dieser Invasion waren bereits geprägt von außenpolitischen Spannungen zwischen dem nach Dominanz strebenden Westen und Russland, das versuchte, sich im eurasischen Raum als beherrschende Macht zu behaupten.

Die immer wieder postulierte "Kooperation" mit den westlichen "Partnern" war nach dem von einer prowestlichen Regierung angestoßenen Georgien-Krieg schon brüchig geworden, bis man das Wort "Partnerschaft" kaum noch ohne ironischen Unterton aussprechen konnte.

Der Euromaidan-Umsturz in der Ukraine entzweite dann endgültig die Sichtweisen, als Russland sich zu einer Annexion der Krim mit ihrer mehrheitlich russischen Bevölkerung im Recht sah und auch im Donbass verdeckt militärisch zugunsten von separatistischen Rebellen eingriff.

Die Anspannung am Vorabend wich dem Entsetzen

Doch man redete noch miteinander. Auch wenn der Konflikt in der Ukraine am Ende völlig festgefahren war, da weder der Westen Kiew zu einer einvernehmlichen Lösung drängte, noch Moskau seine separatistischen Vasallen im Donbass unter Druck setzte – und beide Parteien brüchige Waffenstillstände auch durch Beschuss auf Zivilisten brachen.

In dieser Situation kamen 2021 erste Meldungen auf, dass Russland einen Angriff auf das Nachbarland vorbereite. Dass westliche Kräfte, die eine einvernehmliche Lösung des Konflikts mit Russland anstrebten, die Angriffsabsicht bis zum Ende bestritten, hängt ihnen bis heute im internen Diskurs negativ nach.

Am Vorabend der russischen Invasion waren auch in Russland selbst zahlreiche Experten der Geo- und Sicherheitspolitik gegen eine solche militärische Eskalation, bis hin zu Beratern der russischen Regierung aus den Reihen des Waldaj-Clubs oder des Russischen Rates für Internationale Beziehungen.

Sie sahen die auch von westlicher Politik herbeigeführte schwierige geopolitische Lage Russlands, glaubten jedoch nicht daran, dass ein offener Angriff diese verbessern würde.

Dabei dachten sie alle, der militärische Sieg in der Ukraine sei leicht zu erringen – ihre Argumente gegen ein solches Vorgehen beinhalteten eher die zu erwartende internationale Isolation des eigenen Landes und die Kosten des Wiederaufbaus einer zerstörten Ukraine und eines Besatzungsregimes gegenüber einer feindseligen Bevölkerung.

Denn es war in Moskau bekannt, dass kaum Ukrainer Putins 2021 verkündete Vision von einem "dreieinigen" russischen Volk aus Russen, Ukrainern und Weißrussen teilten – nicht einmal im russlandfreundlicheren Osten des Landes, wo viele Menschen vor dem Krieg noch eine gewisse Distanz zur Kiewer Regierung hielten.

Deren erbitterte Gegner waren jedoch selten außerhalb des Rebellengebietes, wohin sich offene Unterstützer eines prorussischen Kurses zurückgezogen hatten.

Als der Angriffskrieg dann auf Befehl aus dem Kreml gestartet wurde, kam es für Russland militärisch schlechter, als es sich Experten oder auch die eigentlichen Befehlshaber der Invasion jemals ausgemalt hatten: Eine schnelle Besetzung von Kiew scheiterte, im Spätsommer und Herbst kam es sogar zu Rückeroberungen von bereits russisch besetzten Gebieten bei Charkow und Cherson, die die Herrschenden in Moskau zu einer Mobilmachung veranlassten, womit sie selbst zu Kriegsbeginn nicht gerechnet hatten.

Negative Kriegsauswirkungen abseits des Militärischen

Doch der militärische Misserfolg an sich ist nicht die einzige negative Auswirkung der Invasion, die es berechtigt macht, von einer Zeitenwende für die russische Außenpolitik zu sprechen.

Eines ihrer wichtigsten Ziele war immer die Eindämmung der Nato gewesen, die nach einer weltweiten Vorherrschaft strebt. Nicht zuletzt deswegen war man ja auch in die Ukraine einmarschiert, bevor sich diese dem westlichen Bündnis anschließen konnte – ein Schreckgespenst für Militärstrategen in Moskau angesichts der langen gemeinsamen Grenze.

Nun wandten sich in einem Gefühl realer Bedrohung durch Russland mit Schweden und Finnland noch neue Staaten dem Nato-Bündnis zu und brachten es an einer neuen Grenzlinie direkt an das russische Staatsgebiet heran. Die Nato-Präsenz im Baltikum wurde verstärkt, ebenfalls gleich hinter der Grenze zu Russland.

Ebenfalls als Reaktion auf die russische Aggression änderte sich auch die Grundstimmung in der Europäischen Union. Viele Länder betrachteten Russland nach seiner Invasion endgültig als Feind, lieferten Waffen an den angegriffenen Kriegsgegner. Mit Sanktionen hatte man in Moskau angesichts der eigenen Invasion mit Sicherheit gerechnet, doch von der Welle von Ukraine-Solidarität in ganz Europa war man wohl überrascht.

Die Mächtigen in Russland reagierten darauf, dass sie den Westen anstelle der Ukraine zum Hauptgegner im Krieg erklärten und gerne betonten, dass Russland außerhalb der westlichen Welt in keinem Fall isoliert sei. Tatsächlich schlossen sich vielen Sanktionen nichtwestliche Staaten nicht an. Aber das russische Ansehen in der Welt bröckelte – nicht nur in Ländern des Nato-Bündnisses.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.