Zeitenwende für Russland

Seite 2: Misstrauen bei früheren Partnern

Auch in Mittelasien reagierten bisherige Partner Moskaus angesichts des russischen Angriffskrieges verwundert bis vorsichtig misstrauisch gegenüber der Kreml-Politik. Zu viel klang an den markigen Worten, die das Russische Außenministerium nach Kriegsbeginn absetzte, nach dem Wunsch einer Wiederherstellung der Sowjetunion oder des Russischen Reiches und das war ein Weg, den kein unabhängiger mittelasiatischer Staat beschreiten wollte.

So gingen die Kasachen als mächtigste mittelasiatische Nation recht schnell auf Distanz zum russischen Feldzug und hielten sich neutral.

Andere Staaten wiederum witterten angesichts der längerfristigen Auslastung der russischen Armee mit Tod und Zerstörung in der Ukraine Morgenluft, was ihre eigenen Interessen anging, wenn sie den Moskauer Plänen widersprachen. Aserbaidschan ließ den mit russischer Hilfe mehrfach eingefrorenen Karabach-Konflikt wieder aufleben und griff militärisch an, um umstrittene Gebiete zu erobern.

Der Gegner Armenien, der sich auf Moskauer Unterstützung verlassen hatte – vor Ort sind auch russische Friedenstruppen – zeigte sich enttäuscht, da tatsächlich eine mächtige russische Reaktion ausblieb.

Als nur beschwichtigende Worte in den Kaukasus flossen, verstärkte das auch die Vorsicht anderer russlandfreundlicher Staaten, die spürten, dass sie im Ernstfall aktuell nicht mit echter Hilfe des Kreml rechnen konnten. Die mit Aserbaidschan verbündete Türkei sprang in die Lücke und baut ihren regionalen Einfluss auf russische Kosten aus.

Auch ein Grenzkonflikt zwischen anderen mittelasiatischen Staaten flackerte auf – niemand hatte mehr Angst davor, dass das dem Kreml vielleicht in seinem "Hinterhof" nicht gefallen könnte.

Soll der Kreml denken, was er will, dachten sich wohl die betreffenden Staatschefs. Der kirgisische Präsident ließ den sonst selbst notorisch verspäteten Putin auf einem Gipfeltreffen auch einmal demonstrativ warten, ebenso wie der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan, der ansonsten den Kriegsgewinnler und Vermittler zwischen dem Westen und Russland gibt.

Freunde beteiligen sich nur, soweit sie müssen

Selbst treue Verbündete Moskaus ließen es an Begeisterung für die neue Kriegspolitik nach der Zeitenwende im Februar fehlen. Belarus Staatschef Lukaschenko, vom Kreml weitgehend abhängig, bemüht sich im Konflikt oberflächlich den "Neutralen" zu geben, obwohl er nicht die Macht hat zu verhindern, dass die russische Armee sein Land als Ausgangsbasis für die eigene Invasion nutzt.

Seine Bevölkerung ist derweil zu 90 Prozent gegen eine eigene Beteiligung am russischen Krieg gegen Kiew. Offene Stellungnahmen zum Moskauer Traum vom dreieinigen russischen Volk (inklusive Belarus) vermeidet Lukaschenko ebenfalls.

Katastrophal verändert hat sich das Russland-Bild jedoch vor allem in der angegriffenen Ukraine – zählt man die von Russland annektierte Krim und den Rebellengebiete im Donbass nicht dazu. Dabei ist nicht der Westen des Landes gemeint, in dem schon traditionell eine russlandkritische Einstellung vorherrscht.

Der Osten des Landes ist es aber, der durch den Krieg weitgehend entvölkert und viele Städte zerstört sind. Den Bewohnern ist natürlich klar, dass die russische Invasion hier die Ursache ist. So kam es zu einer deutlichen Entfremdung des größten Teils der vorher noch "russlandfreundlicheren" Ostukrainer vom Nachbarland.

Den Zerstörer der eigenen Heimat, dem Hauptschuldigen am Tod vieler Nachbarn und Freunde, dem Grund für eine Flucht vieler mag auch keiner, der dieselbe Sprache spricht.

Kollaborateure werden knapp

Sollte Russland die weitgehend entvölkerten Landstriche im Osten der Ukraine militärisch halten können, müsste sie sich wohl selbst um den Aufbau einer neuen, prorussischen Bevölkerung kümmern. Etwa durch einen Import aus Russland, wie er schon bei der Besatzungsverwaltung in den besetzten Gebieten durch eine zu geringe Zahl an Kollaborateuren notwendig ist.

Wer einst in den Kriegsgebieten als Einheimischer lebte, steht zum größten Teil nicht mehr dafür zur Verfügung. Große Teile der Bevölkerung in den russisch besetzten Gebieten sind schon lange geflohen und gerade in eine russische Zukunft werden viele nicht zurückkehren.

Selbst bei den komplett abhängigen Moskauer Kleinverbündeten gibt es aktuell Bruchstellen. Das fast nur von Russland anerkannte Südossetien beteiligte sich zunächst an der Invasion. Seine Truppen kehrten aber sehr rasch wieder zurück und berichteten von unfähigen russischen Kommandanten und schlechter Ausrüstung.

Die Motivation, Russland bei seiner Eroberung zu helfen, ist auf einem Tiefpunkt. An weiteren Bündnispartnern verblieben für Russland nur der Iran und Nordkorea – aufgrund deren eigenen Pariastatus auf der internationalen Bühne.

Andere traditionelle Freunde Russlands hielten sich auffällig zurück, China unterstützte das Land nur insoweit, als es Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen nicht gefährdete. So wird es Russland nicht in den Rücken fallen, aber auch keine zu offene Unterstützung irgendwelcher Feldzüge betreiben. Indien kaufte zum Sonderpreis einiges Öl, das der Westen dem Invasoren nun nicht mehr abnahm. Doch von der Liefermenge gleicht das die Absatzverluste in Europa nicht aus.

Russland verliert unabhängig vom militärischen Ausgang

Mit jedem Mehr an Radikalität in der außenpolitischen Wortwahl Moskaus wird diese Vorsicht der Verbündeten auf dem weltweiten Parkett ebenso größer als die offene Gegnerschaft des Westens und dessen Bereitschaft, selbst in Form von Waffenlieferungen Öl ins Feuer eines lodernden Krieges zu schütten.

Doch selbst ohne weitere Rückzüge ist das außenpolitische Ansehen Russlands infolge der Invasion beklagenswert. Zwar gibt es keine weltweite "Isolation", wie westliche Politikstrategen immer wieder behaupten, da zum eigenen Vorteil nichtwestliche Staaten weiter Kontakt mit Moskau pflegen.

Aber doch spürbar ist eine Schwächung des machtpolitischen Einflusses, sowohl in der Region als auch darüber hinaus. Sollte der Feldzug in der Ukraine scheitern, möchte niemand gemeinsam mit Russland untergehen. Sollte der militärische Kraftakt gegen Kiew und den unterstützenden Westen gelingen, will dennoch kein anderer Nachbar von Russland das nächste Ziel Moskauer Revisionspläne sein.

Die russische Regierung hat es schon länger sträflich versäumt, hier für die Nachbarn ein attraktiver Partner zu sein. Mit dieser Regierung kooperiert man, wenn man muss, es gewachsene Beziehungen sind. Aber nicht, weil man es möchte. Sollte im nichtwestlichen Ausland noch Vertrauen in die Moskauer Regierung existiert haben, so ist dieses nach 2022 Geschichte.

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