Zeitenwende in eine autoritärer werdende Gesellschaft?
Seite 2: "Wir müssen gesellschaftlich dafür sorgen, dass das analoge Leben möglich ist"
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Noch mal zurück zum alten Kapitalismus und Marxismus. Man setzte auf die Arbeiterbewegung und die Aneignung der Produktionsmittel. Lässt sich dazu etwas in Analogie zum Datenkapitalismus sagen. Geht es darum, die Daten wieder zurückzuholen und sich anzueignen? Würde man damit zum eigenen Produzenten? Oder würden Sie sagen, da findet etwas prinzipiell anderes statt?
Andrea Komlosy: Das finde ich, ist eine sehr interessante Frage, aber ich gehe nicht so weit, dass ich mir überlege, wie man eine soziale Bewegung in diesem Datenkapitalismus organisieren könnte. Wahrscheinlich muss man auf der einen Seite individuell überlegen, wie man mit diesen Daten umgeht.
Viele Überlegungen gehen in die Richtung, dass wir keine Wahl haben, sondern dass wir praktisch um der Partizipation willen, die wir alle wollen, sehr viel in Kauf nehmen. Das haben wir mit dem Gesundheitspass deutlich gesehen. Es gab ja keinen Impfzwang, in Österreich ist er nicht umgesetzt worden, aber es gab einen indirekten Druck.
Selbst wenn man dem entgehen konnte, hat man sich ständig über seinen Impfstatus ausweisen müssen, um sich zu bewegen. Von den Corona-Maßnahmen wird diese Kontrolle der Bewegung und diese Möglichkeit, Menschen anhand ihrer Gesundheitsmerkmale zu steuern, am ehesten bleiben. Ich hoffe natürlich, dass das nicht so pauschal wird, dass wir nur mehr mit QR-Codes ins Kino, in eine Ausstellung gehen oder uns an der Gesellschaft beteiligen können.
Hier kommt die Politik ins Spiel, da wir das nicht nur individuell steuern können, sondern auch gesellschaftlich dafür sorgen müssen, dass das analoge Leben möglich ist.
Darüber hinaus kann man überlegen, wie man gewährleisten kann, dass die positiven Seiten und Möglichkeiten dieser Selbststeuerung sich nicht verselbstständigen im Sinne der Profitgenerierung, sondern im Sinne dessen, dass sie auch der Gesellschaft zugutekommen.
Aber da muss ich sagen, sehe ich nicht wirklich die Ansatzpunkte. Man müsste überlegen, wer die Träger sind. Aber gerade die Gewerkschaften, die Sozialdemokratie oder auch andere außerparlamentarische Linke sind in der Corona-Zeit dazu übergegangen, genau den Maßnahmen, die uns in diese Richtung treiben, einen Gesundheitsschutz zuzubilligen. Und das finde ich eigentlich einen großen Fehler im Denken.
Corona: Einübung in die Technologien
Man könnte sagen, dass die in China abgestrebte Steuerung des sozialen Verhaltens viel drastischer ist als die medizinische Überwachung. Wenn über Gesichtserkennung im öffentlichen Raum alle Individuen ausgemacht und ihnen bestimmte Dinge verschlossen werden können, wenn sie sich nicht konform verhalten haben, dann geht das doch weiter, wobei in China auch die Corona-Maßnahmen viel härter als hier angewendet wurden. Ich meine, dass das, was an staatskapitalistischer Überwachung möglich wäre und auch schon praktiziert wird, weiter über den medizinischen Bereich hinausgeht..
Andrea Komlosy: Ich will das auch nicht nur auf das Medizinische beschränken. Die Theorie mit den Leitsektoren sagt ja nicht, dass diese die die einzigen sind, sondern dass über die Leitsektoren bestimmte Mechanismen als allgemeine Prinzipien in die Gesellschaften katapultiert werden.
Ich würde schon sagen, dass wir in der Corona-Zeit, die jetzt schon ausgelaufen ist, uns dieser ganzen digitalen Techniken und Kommunikationstechniken bedienen mussten, um zu kommunizieren, während wir auf der anderen Seite bereit waren, um der Teilhabe willen unsere Gesundheitsdaten preiszugeben.
Das war ein bestimmter Moment, der Widerstände überwunden und eine Einübung in die Technologien mit sich gebracht hat, aber auch die Bereitschaft, die entsprechenden Daten mitzuliefern.
Verschwörungsstorys: Zu vordergründig und unterkomplex
Manche der sogenannten Verschwörungstheoretiker meinen ja, es sei eine abgekartete Sache irgendwelcher Eliten gewesen. Das würden Sie aber so nicht sagen?
Andrea Komlosy: Das würde ich so nicht sagen. Dafür ist der Kapitalismus einfach zu komplex, es sind zu viele unterschiedliche Interessen im Gange und es konkurrieren auch unterschiedliche Weltregionen. Über die geopolitische Seite haben wir noch nicht gesprochen.
Nein, also das ist zu vordergründig. Natürlich werden Politiker an entscheidenden Positionen vorgefiltert durch Thinktanks und sie müssen Connections haben, sonst kommen sie nicht in bestimmte Positionen. Das ist natürlich nicht erst seit der Corona-Zeit so.
Internationale Organisationen haben auch die Pandemie-Szenarien durchgespielt. Es gibt natürlich einige Analogien, aber ich würde jetzt nicht sagen, da ist irgendwas geübt und dann ausgeführt worden. Da sind einfach zu viele Dinge gleichzeitig im Gange.
Biopolitisches Selektieren
Eine Zeitenwende wird heute auch in Deutschland vom Bundeskanzler verkündet. Sie soll nach dem Anfang des Krieges in der Ukraine stattgefunden haben. Geopolitisch soll sich die Weltordnung neu konstituieren. Wie würden Sie das aus Ihrer Perspektive sehen? Corona ist fast kein Thema mehr, die Überwachung ist eingestellt worden. Im Augenblick herrscht eigentlich eher die Formierung durch den Krieg vor. Man steckt viel Geld in die Rüstung und baut Feindbilder auf. Natürlich spielt die Kybernetik hier auch eine Rolle beispielsweise in Form von Drohnen und anderen Waffensysteme, die dann automatisiert eingesetzt werden. Sehen Sie eine Verbindung beim Übergang von der Corona-Zeit zu der Kriegszeit?
Andrea Komlosy: Ich stimme nicht zu, dass die Überwachungsmaßnahmen, die sich in der Corona-Zeit etabliert haben, ganz vorüber sind. Sie sind natürlich nicht mehr so flächendeckend vorhanden, aber wenn Sie zum Beispiel in irgendeiner Weise mit dem Gesundheitsbereich zu tun haben, dann bleibt Ihnen auch als Studierender zum Beispiel an einer medizinischen Universität nichts übrig, als diese Impfungen machen zu lassen, die sich in der Zwischenzeit zu einem regelmäßigen, alle halbe Jahre zu erneuerndem Stich entwickelt haben, der aber vor der Erkrankung nicht schützt.
An bestimmten Universitäten werden zum Beispiel trotz Gleichstellungsbeauftragten Leute, die vollständig geimpft sind, bei gleicher Qualifikation bevorzugt. Es zieht ein biopolitisches Selektieren ein und wird in diesem Gesundheits- oder allgemein Ausweisdokument münden, mit dem dann von der wirtschaftlichen Seite, aber natürlich auch von der Seite staatlicher Kontrolle die Menschen bestimmt werden können.
Das sollte man im Auge haben und nicht so tun, als ob schon alles vorbei wäre. Die Frage, ob sich das mit dem Krieg verbindet, geht eigentlich über das Thema meines Buches hinaus. "Zeitenwende" ist ein allgemeiner Begriff, man kann ihn natürlich für einen Wandel im Verhältnis zu den USA, zur Nato, zur Aufrüstung und schlussendlich auch zur Absage an die Absage an die Atomkraft verstehen.
Ich verwende den Begriff in einem viel allgemeineren Sinn, in dem dieser Krieg keine Rolle spielt. Es ist schon klar, dass kybernetische Technologien natürlich auch im Krieg angewendet werden, aber damit beschäftige ich mich in dem Buch nicht.
Subtile Formen der Gängelung
Der Computer ist eigentlich von Anfang an eine Kriegstechnik. Das Militärische steht am Ursprung des kybernetischen Zeitalters.
Andrea Komlosy: Das ist richtig, aber wenn wir den Krieg jetzt anschauen, dann wird er doch sehr stark mit herkömmlichen Technologien geführt, die durch Digitalisierung verbessert sind. Manches ist auch sehr brutal auf dem Schlachtfeld.
Das heißt, dass die herkömmlichen Technologien eigentlich nicht so sehr Erfolge mit sich bringen, sondern die Möglichkeit der Überwachung und der Logistik. Vieles von dem, was wir im Zusammenhang mit Corona diskutiert haben, sind relativ subtile Formen der Gängelung des Einzelnen.
Im Krieg ist die Gängelung des einzelnen Einzelnen noch mal um einiges stärker und es gibt die Propaganda. Es ist natürlich ein Problem, dass auch nicht in den Krieg involvierte Seiten sich wie Deutschland oder sogar das neutrale Österreich als Kriegsparteien sehen und auf der Propagandaebene auch mitmachen. Da sehe ich schon eine gewisse Parallele.
Bei Corona sind die Kritiker mehr, als ich das jemals aus meiner kritischen Haltung als mündige Bürgerin kannte, mundtot gemacht worden und ähnliche Phänomene sehe ich jetzt bei all denen, die Friedenspolitik oder Verhandlungslösungen fordern.
Insofern könnte man sagen, gibt es schon einen allgemeinen Trend in Richtung einer autoritärer werdenden Gesellschaft, die den Diskurs abschafft oder zurückdrängt und durch durch gültige Wahrheiten ersetzt.
Der Beitrag entstand in Zusammenarbeit mit dem Overton-Magazin.