"Zensur ist nie vollständig – das gibt zumindest Hoffnung"

Hannes Hofbauer über neue Möglichkeiten der Zensur, Diskurshegemonie und Medienkonkurrenz.

Seit der Corona-Krise häufen sich Klagen und die Kritik an einer Verengung der Meinungskorridore in den öffentlichen Medien. Einer der schärfsten Kritiker ist Hannes Hofbauer, der in seinem aktuellen Buch Zensur. Publikationsverbote im Spiegel der Geschichte. Vom kirchlichen Index zur YouTube-Löschung neue technische Möglichkeiten der Zensur herausstellt und dem Staat "Zensurbemühungen" vorwirft. Telepolis sprach mit dem Autor.

Herr Hofbauer, was sind Ihrer Auffassung nach Zensurinstrumente der Gegenwart?

Hannes Hofbauer: Voraussetzung für eine neue Zensurpraxis im Internet, und diese greift aktuell auch im deutschen Sprachraum um sich, sind die beiden monopolartig agierenden kalifornischen Medienkonzerne Meta/Facebook/Instagram/WhatsApp und Alphabet/Google/YouTube. Sie dominieren auch das deutsche Geschehen in den sogenannten sozialen Medien.

Mit dem seit Oktober 2017 in Kraft getretenem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hat der deutsche Staat die kalifornischen Riesen dazu verpflichtet, ihre Netzwerke von "Hasskriminalität" und "Falschmeldungen" zu säubern, widrigenfalls hohe Geldstraße drohen.

Nach anfänglichem Protest fügten sich die Messengerdienste, Videoplattformen und andere; sie waren ja solch eine Praxis bereits aus Ländern wie der Türkei gewohnt, wo sie auch nur unter Einhaltung von Zensurvorgaben (Stichwort z.B. Kurdenfrage) am Markt bleiben konnten.

Hasskriminalität und Fake News sind freilich keine klar definierten juristischen Tatbestände, weshalb damit viel erfasst werden kann, was dem US-Konzern oder dem deutschen Staat missfällt. Das NetzDG ist damit zum großen Einfallstor für Publikationsverbote im digitalen Raum geworden.

Mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz hat der deutsche Staat zudem eine Aufgabe, die normalerweise Gerichten zustünde, privatisiert und an US-Konzerne übergeben. Und diese agieren als Ankläger und Richter in einer Organisation – völlig konträr zur Grundlage unseres Rechtssystems, in dem Ankläger und Richter niemals dieselbe Person sein dürfen.

Doch damit nicht genug, hat Berlin mit dem Medienstaatsvertrag seit November 2020 ein direktes staatliches Kontrollinstrument für Internetpublikationen geschaffen. Dort steht in Paragraf 19, dass jedes im Internet verfügbare Portal, das eine gewisse Verbreitung hat und politische Informationen enthält, "auf Inhalt, Herkunft und Wahrheit zu prüfen" ist. Ein Schritt zum Orwell'schen Wahrheitsministerium ist damit getan.

Dieses Gesetz könnte man auch als "Lex RTdeutsch" bezeichnen. Gegen die Plattform kam es bereits – mit Erfolg – zum Einsatz. Das Betrübliche an der Sache ist die Rezeption in anderen Medien. Es erfolgte kein Aufschrei von journalistischer Seite, im Gegenteil: Der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes Frank Überall unterstützte das behördliche Vorgehen gegen RT Deutsch (vgl. dazu: "RT Deutsch ist kein journalistisches Informationsmedium").

Mitte der 1950er-Jahre war das noch anders gewesen. Auch damals wollte sich der Staat die Macht herausnehmen, was publiziert werden darf und was nicht. Die damaligen Verleger leisteten dagegen Widerstand und gründeten den Presserat, eine sich selbst kontrollierende Vereinigung, und wehrten damit staatliche Zensur-Begehren ab.

Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der Zensur in der Vergangenheit und der im digitalen Zeitalter?

Hannes Hofbauer: Grundsätzlich ist Zensur ein Herrschaftsinstrument zur Aufrechterhaltung der bestehenden Diskurshegemonie bzw. zur Abwehr einer diese gefährdenden Gegenöffentlichkeit.

Das trieb in der späten Neuzeit die katholische Kirche an, später dann den absolutistischen Staat und heute eine Allianz von Medienmonopolen und Staat bzw. der Europäischen Union. Die EU hat dem deutschen Netzwerkdurchsetzungsgesetz nacheifernd im Oktober 2018 einen "Verhaltenskodex gegen Desinformation" aufgelegt, was immer auch als Desinformation betrachtet wird.

Quer über die Zeiten hinweg ist auch zu bemerken, dass Publikationsverbote immer dann zum Einsatz kommen, wenn die Herrschaft schwächelt. Dann versucht sie, mittels Zensur, diese Schwäche zu kompensieren. Dass das nicht immer gelingt, belegt die historische Evidenz.

"Die heutigen Zensurmaßnahmen finden überwiegend im digitalen Raum statt."

Und was ist der Unterschied?

Hannes Hofbauer: Der große Unterschied zwischen einst und jetzt besteht freilich im Technischen. Die heutigen Zensurmaßnahmen finden überwiegend im digitalen Raum statt. Diesen wollen Brüssel und Berlin möglichst kontrollieren. Dabei geht es zurzeit um zwei wesentliche inhaltliche Diskussionsräume: die Kritik an den Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19 und die russische Sicht auf den Ukraine-Konflikt und das bereits seit 2014.

Bei beiden Themen herrscht Alarmstimmung unter den Eliten. Der Vertrauensverlust in die traditionellen Medien hat nämlich dazu geführt, dass Portale wie RT Deutsch, Rubikon, die Nachdenkseiten u.a. zum Teil enorme Reichweiten erlangt haben und die Internetauftritte von Tagesschau, Spiegel oder Bild mitunter in den Schatten stellen konnten.

Das hat auch eine Studie der unabhängigen, US-amerikanischen Screening-Initiative "Avaaz" festgestellt. Nicht zuletzt diese Erkenntnis haben YouTube und Facebook dazu bewogen, ab Mitte 2021 verstärkt zu löschen und zu blockieren. Es hieß dann beispielsweise bei YouTube in weißer Schrift auf schwarzem Bildschirm: "Verstoß gegen die Gemeinschaftsrichtlinien" oder "gegen die Richtlinien zu medizinischer Fehlinformation zu Covid-19".

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