Zerrissen zwischen Schutz vor Kriminalität und Schutz der Privatsphäre
Eine amerikanische Befragung zeigt große Angst vor der Kriminalität im Internet
"Fear of Online Crime", eine Befragung des Projekts Pew Internet &American Life im Pew Research Center, ergab eine zweideutige Stimmung der Amerikaner zur Überwachung. Immer mehr Menschen wünschen sich, dass die Privatsphäre im Internet besser geschützt wird, und glauben nicht, dass den Behörden zu trauen ist, aber gleichzeitig haben die Meisten Angst vor der Internetkriminalität und befürworten das Abhören von Telefonanrufen und Emails.
Besonders deutlich kommt die gespaltene Meinung bei dem FBI-Lauschsystem Carnivore (Carnivore im FBI-Test) zum Abfangen von Emails zum Ausdruck, das große Unruhe hervorgerufen hat, einer Prüfung von Experten unterzogen wurde und inzwischen auch sicherheitshalber mit DCS1000 einen weniger auffälligen Namen erhalten hat. Fleischfresser klingt halt doch zu martialisch. Wer von diesem System überhaupt gehört hat, lehnt es zu 45 Prozent ab, weil es auch die Information über Sender und Empfänger, aber auch die Inhalte der Emails aller Unbeteiligten bei einem Provider mit überprüfen muss, oder findet es zu 45 Prozent gut, weil es dem FBI ein neues Mittel in die Hand gibt, Kriminelle zu erwischen.
Erstaunlich ist, wie stark offenbar die Angst davor ist, was alles "da draußen" im Internet passieren könnte. 43 Prozent der Befragten fürchten, dass das Internet von Kriminellen benutzt wird, um Verbrechen zu planen und auszuführen, 43 Prozent sind darüber sehr besorgt. Größere Befürchtungen hegen Frauen, Schwarze und Menschen mit niedrigerer Schulbildung. Überdies ist die Angst bei denen größer, die keine Internetbenutzer sind oder die erst seit kurzem das Internet benutzen. Das Neue und Unbekannte macht einfach Angst.
Fast geeint sind die Amerikaner in Bezug auf Kinderpornographie und Internet. 92 Prozent der Befragten gaben an, darüber besorgt zu sein, 80 Prozent sind sogar sehr besorgt. Dabei spielen Unterschiede wie Rasse, Alter oder Einkommen keine Rolle, nur Frauen zeigen hier mit 86 Prozent gegenüber 74 Prozent bei den Männern eine größere Furcht. Diese Kriminalitätsart scheinen die Amerikaner am meisten zu verabscheuen.
Angst vor Verbrechen sind meist allerdings kaum wirklich begründet, sondern Projektionen oder Furcht vor dem prinzipiell Möglichen. Nach der Kinderpornographie kommt an zweiter Stelle der Kreditkartenbetrug. Dazu sind die Zahlen ganz interessant. 87 Prozent befürchten Kreditkartenbetrug im Internet, 69 Prozent sind sehr besorgt. Auch hier äußern wieder mehr Frauen als Männer Ängste. Es gibt kleine Unterschiede zwischen den Rassen (Schwarze: 74 Prozent, Weiße: 68 Prozent), aber größere zwischen den Generationen. Je älter die Menschen sind, desto mehr Angst haben sie, betrogen zu werden.
Allerdings entspricht die Angst nicht der Wirklichkeit, wie der Bericht festhält. Aufgrund einer anderen Befragung im letzten Jahr hatte sich ergeben, dass 19 Prozent der Internetnutzer und 15 Prozent aller Amerikaner bislang Opfer eines Kreditkartenbetrugs geworden sind. 80 Prozent dieser Vorfälle hatten mit dem Internet nichts zu tun: "Nur 8 Prozent von denjenigen, die angaben, dass sie mit ihrer Kreditkarte betrogen worden sind, berichteten, dass der Dieb die Informationen bekommen haben könnte, weil sie der Kunde online gebraucht hat. Das bedeutet, dass weniger als 3 Prozent aller Internetnutzern die Kreditkarten online gestohlen worden sind." Wie man weiß, weiß man nicht viel über das tatsächliche Ausmaß, was natürlich die Ängste steigert. Der Bericht äußert die Befürchtung, dass das tatsächliche Risiko aber auch viel größer sein könnte, als der normale Verbraucher meint, da beispielsweise das FBI im März gemeldet habe, Cracker aus Russland und der Ukraine wären in 40 amerikanische Computersysteme eingedrungen und hätten mehr als 1 Million Kreditkartennummern stehlen können.
Anscheinend hat die gelegentlich weit übertriebene Berichterstattung und die entsprechende politische Zuwendung auf das Thema der Sicherung der nationalen Infrastruktur und der Abwehr des drohenden Infowar gewirkt. 82 Prozent der Amerikaner zeigen sich über den Online-Terrorismus besorgt. Größere Ängste liegen hier wiederum bei Nicht-Internetnutzern, Frauen, Schwarzen, Alten und Menschen mit niedriger Schulausbildung vor. Das ist auch die Schicht, die mehr Angst vor Betrug im Internet ganz allgemein hat. Allerdings gaben Furcht davor 80 Prozent an, sehr besorgt zeigen sich 75 Prozent aller Befragten, aber nur 47 Prozent der Internetbenutzer.
Die wahrscheinlich ernsthaftere Gefahr nehmen nur weniger wahr. Obgleich bereits 25 Prozent schon einmal unvorsichtigerweise ihren Computer mit einem Virus infiziert haben, sind "nur" 70 Prozent besorgt über bösartige Viren. Sehr besorgt sind hier allerdings - und wenig überraschend - mit 61 Prozent die Internetbenutzer mehr als die Nicht-Nutzer (48 Prozent). Doch auch die Hacker und Cracker spielen eine nicht unerhebliche Rolle bei der Gefahreneinschätzung, die vom Internet ausgeht. 78 Prozent fürchten, dass Hacker in Server der Behörden, 76 Prozent, dass sie in Server von Unternehmen eindringen könnten.
Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, dass 56 Prozent der Befragten befürworten, wenn das FBI oder andere Strafverfolgungsbehörden Telefonanrufe von Verdächtigen abhört. Bei Briefen finden das noch 55 Prozent für richtig und bei Emails 54 Prozent. Weiße, Frauen und Republikaner haben hier am wenigsten Bedenken. Trotz dieses Vertrauensbeweises sinkt erstaunlicherweise allgemein das Vertrauen in die staatlichen Behörden. Nur noch 31 Prozent setzen darauf, dass die Regierung meistens rechtzeitig das Richtige macht (im Unterschied zu 41 Prozent im Jahr 1988) , was auch heißt, dass 62 Prozent meinen, sie könnten der Regierung nur gelegentlich vertrauen (1988: 56 Prozent). Erstaunlicherweise sind junge Menschen, Amerikaner lateinamerikanischer Abstammung und solche mit höherer Ausbildung weniger skeptisch. Und dem neuen Präsident kommt zugute, dass mehr Anhänger der Republikaner der Regierung Vertrauen entgegenbringen als die der Demokraten.
Möglicherweise aus diesem Hintergrund des sinkenden Vertrauens in die Regierung, aber sicher auch, weil das Bewusstsein über die wachsenden Möglichkeiten der Datensammlung steigt, wollen doch gleichzeitig 62 Prozent der Befragten, dass neue Gesetze eingeführt werden, um die Bürger vor dem Belauschen der Behörden zu sichern. Offenbar stand bei dem Bericht das Sammeln persönlicher Daten seitens von Unternehmen nicht zur Debatte. Jedenfalls sind nur 14 Prozent der Meinung, dass die bestehenden Gesetze zur Überwachung von Telefongesprächen auch für die Überwachung der Online-Aktivitäten ausreichen. 75 Prozent der Internetbenutzer, also weit mehr als Nicht-Nutzer, fordern neue Gesetze, was auch wieder auf die entscheidende Rolle von Erfahrung und Wissen für die Beurteilung einer Situation hinweist. 24 Prozent der Befragten (36 Prozent der Nicht-Nutzer) gaben nämlich an, sie hätten dazu keine Meinung, weil sie nicht genügend über das Internet und/oder die Gesetzeslage Bescheid wüssten.
"Die Dichotomie in diesen Zahlen", so die Projektleiterin Susannah Fox gegenüber der Washington Post, "zeigt, dass es für den Kongress schwierig werden wird, eine Gesetzgebung zu schaffen, die von Internetnutzer, Internetindustrie und Strafverfolgung akzeptiert wird. Die Amerikaner suchen nach einer Antwort des Informationszeitalters zur alten Frage, wie man ihren Wunsch nach Schutz vor Kriminellen und ihren Wunsch in ein Gleichgewicht bringen soll, die Regierungsbehörden daran zu hindern, ihre Macht zu missbrauchen."
Bei dem Pew-Projekt gibt es auch noch eine ganz interessante Statistik über die Aktivitäten der amerikanischen Internetbenutzer. Täglich gehen danach 59 Millionen Amerikaner und 56 Prozent der Internetbenutzer online. Erster Zweck des Ganzen ist das Abrufen und Versenden von Emails (49 Prozent). Schon mit großem Abstand folgt dann das Surfen im Web (23 Prozent) oder das Lesen von Nachrichten (22 Prozent). Gerade einmal 13 Prozent suchen nach Informationen über Produkte oder Angebote, 5 Prozent kaufen etwas.
Für den Bericht wurden eine repräsentative Zufallsauswahl von 2096 US-Amerikanern (1198 Internetnutzer) ab 18 Jahren im Zeitraum zwischen 1.2. und 1.3. 2001 befragt.