Zerstreuter Professor oder krimineller Biowaffenexperte?
US-Wissenschaftler befürchten, dass ihnen die Notstandsgesetzgebung unnötig Fesseln anlegt. Zwei heikle Fälle sind zur Zeit in der Diskussion
Das Institute of Medicine und die National Academies forderten im August ihre 1500 Mitglieder auf, in öffentlichen Briefen die Anklage gegen Thomas C. Butler zu geißeln. Dem 62jährigen Wissenschaftler, ein Experte auf dem Gebiet der Pest, werden Diebstahl, Unterschlagung und Betrug in 54 Fällen vorgeworfen. Nach der Vorverhandlung am 3.September kam er gegen Bürgschaft bis zum Gerichtstermin im November frei.
Die Sache beginnt als Thomas C. Butler seine Vorgesetzten an der Texas Tech University im Januar mit der Meldung schockt, ihm seien 30 Gefäße mit Yersinia pestis entwendet worden. Die Universitätsverwaltung folgt den Vorschriften des Patriot Act und informiert unverzüglich die staatlichen Behörden. Die Verantwortlichen von Homeland Security befürchten einen Anschlag mit den entwendeten Pestbakterien und mobilisieren 60 Spezialisten der Antiterror-Einheit. Fehlalarm. Butler wird von FBI-Agenten befragt, stürzt sich in Widersprüche und gesteht nach nächtlichem Verhör am Vormittag ein, er vermisse die Gefäße nicht wirklich, sondern habe sie irrtümlich vernichtet.
Diese falsche Einschätzung, so sollen die wissenschaftlichen Kollegen in offenen Briefen erklären, sei nicht kriminell, sondern die Schwäche des sprichwörtlich zerstreuten Professors. Mit diesem Argument wollen die Forscher vergessen machen, dass es sehr wohl ein Motiv für den vorgetäuschten Diebstahl gibt. Nach Sicherheitsbestimmungen, die seit Ende 2001 gelten, muss der Verbleib gefährlichen Materials dokumentiert, die Vernichtung zuvor angekündigt und dann unter Zeugen vorgenommen werden. Warum hat Thomas C. Butler nicht von vorneherein zugegeben, dass er das Material vernichtete? Nach eigenen Angaben hoffte er, mit der Verlustmeldung sei dem Papierkram Genüge getan.
Seine naive Einstellung führt zur Kettenreaktion. Thomas C. Butler muss zugeben, dass er seine Pestbakterien 1994 und nochmals 2002 aus Tansania heimlich mitbrachte. Nichts Ungewöhnliches, erklären seine wissenschaftlichen Freunde. Der persönliche Transport sei unter Mikrobiologen üblich und heiße VIP für "vials in pocket". Für die Öffentlichkeit eine erschreckende Vorstellung: auf dem Nachbarsitz ein Mikrobiologe, der Pestbakterien, Ebolaviren oder, wie Donald A. Henderson aus eigenem Tun zugibt, Pockenviren mal gerade so mitnimmt.
Wofür er die Pestbakterien gebraucht habe? Für Untersuchungen zur Sepsis, der generalsisierten lebensgefährlichen Bakterieninfektion, erklärt Thomas C. Butler. Die Antiterrorspezialisten bohren weiter und stoßen bei Durchsicht der Prüfunterlagen auf die Geldgeber, nämlich zwei Pharmafirmen ,Pharmacia, inzwischen zu Pfizer gehörig, und Chiron. Beide haben Butlers Studien mit über 300.000 US Dollar offiziell gesponsert. Allerdings kommen Aufzeichnungen zu Tage, wonach beide Arzneimittelhersteller dem Wissenschaftler weitere Beträge, "separate from and above the payments", zuschoben. Ärger und Suspendierung seitens der Universität, weil Butler die Zugaben nirgendwo in seinen Erklärungen über finanzielle Abhängigkeiten erwähnt. Ärger auch bei Vater Staat, denn der zerstreute Professor vergaß, die Zuwendungen zu versteuern.
Sollte die Staatsanwaltschaft mit der Meinung durchdringen, es handele sich nicht um Kavaliersdelikte, stehen Thomas C. Butler lebenslange Haft bevor, sowie Geldbuße und sonstige Forderungen in Höhe von 2-3 Millionen US Dollar.
Das Problem des militanten Forschers
Steven Hatfill ist der zweite Stein des Anstoßes, für den sich nach The Scientist die US-Wissenschaftler einsetzen sollen. Sein Name kam als "person of interest" nach dem amerikanischen Anthrax-Anschlag in die Schlagzeilen. Das FBI bemüht sich bisher vergeblich, Steven Hatfill die Verteilung der Anthraxsporen nachzuweisen. Seit einem Jahr wird er von FBI-Agenten auf Schritt und Tritt verfolgt. Steven Hatfill reagierte dagegen kürzlich mit einer Anklage gegen den Generalstaatsanwalt (vgl. Killerprotein gegen Milzbrand und Hatfill v. Ashcroft, August 26, 2003).
Das FBI stützt seine Theorie auf mehrere Begleitumstände: Hatfill verfasst vor dem Ereignis eine unvollständige Geschichte über einen Anthrax-Anschlag. Darin beginnt die Paralyse der USA mit smarten Anschlägen auf das Weiße Haus und, wie in der Wirklichkeit, auf Abgeordnete des Senats. Nicht lange vor dem Ereignis erkundigt er sich auf einer Dinnerparty auffällig über die damals noch wenig bekannte Antibiotikabehandlung mit Ciprobay. Und schließlich müssen der oder die Täter an die Anthraxsporen amerikanischer Produktion herankommen und hinreichend kundig sein, um die Pollen ohne eigenes Risiko in die Briefumschläge zu füllen.
Hatfill arbeitet im US-Biolabor, aus dem Sporen entwendet werden, und besitzt ganz besondere Fähigkeiten wie sein vielschillernder beruflicher Werdegang verrät. In St. Louis, Missouri, 1953 geboren, studiert Steven Hatfill zunächst Biologie, bevor es ihn nach Afrika und zur Medizin verschlägt. In den Jahren 1975-78 ist er Mitglied des berüchtigten rhodesischen Special Air Squadron (SAS). Bemerkenswert, dass er zugleich als Angehöriger des "U.S. Army Institute for Military Assistance" (Green Berets) geführt wird. Später wechselt er zum "South African Medical Corps" und schließt sich den "Selous Scouts" an, die von Südafrika aus Zimbabwe rekolonisieren wollen und ihre Tradition auf ihrer Webseite gar mit Hymne pflegen. Zurück aus Afrika steigt Steven Hatfill zum Biowaffenexperten auf, arbeitet im "U.S. Army Medical Research Institute for Infectious Diseases" (USAMRIID) und wechselt schließlich zur Scientific Applications International Corp., "the nation's largest employee-owned research and engineering company", wo er "U.S. Special Forces" im Umgang mit biologischen Waffen schult. Für den über das englische Oxford erworbenen medizinischen Doktortitel, mit dem sich Steven Hatfill schmückt, fehlen in Oxford allerdings die Belege.
Die wissenschaftlichen Freunde betonen, dass sich Steven Hatfill beruflich mit Viren und nicht mit Anthraxsporen beschäftigt. Auf der Webseite der "Selous Scouts" steht, dass während des Krieges ein Drittel der Rinder an "anthrax and tsetse" verendeten. Ferner finanzierte das Apartheid-Regime in Südafrika mit jährlich 10 Millionen US Dollar das geheime Biowaffenprogramm "Project Coast" (Chandré Gould und Marlene Burger, "Secrets and Lies: Wouter Basson and South Africa's Chemical and Biological Warfare Programme", Struik Publishers). Anthrax ist dabei noch der harmloseste Stoff.
Hatfills Name gerät allerdings aus politischen Gründen in die Öffentlichkeit. Nicholas Kristof vermutet in seinem Artikel in der New York Times, der vom FBI als Mr.Z bezeichnete Verdächtige habe etwas mit Rhodesien und Südafrika zu tun ("biggest anthrax outbreak among humans ever recorded, the one that sickened more than 10,000 Black farmers in Zimbabwe in 1978-80"), und Barbara Hatch Rosenberg, Direktorin des Chemical and Biological Program for the Federation of American Scientists, sekundiert: das FBI schweige, weil jener ominöse Mr.Z die US-Regierung kompromittieren könnte.
Zwei heiße Eisen mit gefährlicher Zukunft
Thomas C. Butler mag auf den ersten Blick als zerstreuter Professor durchgehen. Hinter der Fassade verbirgt sich indes eine unprofessionelle Lebensart, nämlich Unachtsamkeit gegenüber gefährlichen Stoffen und Profitgier.
Das Schicksal von Steven Hatfill hingegen wirft die Frage auf: wie sorgt der Staat für Spezialisten, deren Tun durch die Staatsräson erwünscht, ethisch hingegen geächtet ist? Hatfills Kenntnis im Umgang mit biologischen Vernichtungswaffen und seine militärische Erfahrung könnten in Rache umschlagen, wenn er sich getäuscht und gedemütigt fühlt. Das wiederum ist keineswegs nur ein Problem für Wissenschaftler in militärischen Diensten, sondern betrifft gleichermaßen abgehalfterte Scharfschützen und Geheimdienstagenten.