Zinswende oder Krisenwende?

Welches Kalkül verleitet die US-Notenbank dazu, kurz nach der Wahl Trumps die Leitzinsen zu erhöhen?

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Die Wahl des Rechtspopulisten Donald Trump zum amerikanischen Präsidenten fällt mit einem tiefgreifenden Umbruch der globalen Währungspolitik zusammen. Nach rund acht Jahren einer historisch beispiellosen Nullzinspolitik, die von massiven Gelddruckprogrammen (Quantitative Easing) begleitet wurde, geht die amerikanische Notenbank nun dazu über, die Ära der Nullzinsen hinter sich zu lassen.

Die Fed hob den Leitzins Mitte Dezember um 0,25 Prozentpunkte an, sodass der Tagesgeldsatz nun zwischen 0,5 und 0,75 Prozent pendelt. Für das kommende Jahr prognostizierten die US-Notenbanker gar drei weitere Leitzinserhöhungen, die mit guten konjunkturellen Aussichten und leicht angestiegenen Inflationserwartungen in den USA begründet wurden.

Und es sind gerade diese drei angekündigten Zinserhöhungen, die im Widerspruch zu der Wirtschaftspolitik zu stehen scheinen, die der designierte US-Präsident ankündigte. Derzeit befinden sich die Finanzmärkte in den USA in einer Aufwärtsbewegung, in einer Trump-Blase, bei der die extremen Steuergeschenke und Ausgabenerhöhungen unter dem Rechtspopulisten antizipiert werden. Das Kapital feiert bereits jetzt die "wirtschaftsfreundliche" Politik, die Trump ankündigte.

Trump will massive Steuerkürzungen, von denen vor allem die Superreichen der USA profitieren würden (zu dieser Oligarchenklasse zählt ein Großteil seines Kabinetts) mit Deregulierungen und einem umfassenden Investitionsprogramm in die marode US-Infrastruktur koppeln.

Diese Trump-Blase werde nun durch die Zinspolitik der Fed "bedroht", meldete das amerikanische Newsportal Politico. Janet Yellen, die Chefin der Fed, habe angedeutet, Trumps Pläne für Steuergeschenke und Mehrausgaben "im Auge zu behalten" und die Zinsen schneller anzuheben, falls die Republikaner anfangen sollten, der Ökonomie "massiv Geld zufließen zu lassen".

Machtkampf zwischen Trump und der Fed?

Schon Anfang Dezember berichtete Fortune, dass sich in der Fed die "Sorgen" bezüglich der kommenden Trump-Administration mehrten, die eine zu "aggressive" Politik bei Steuergeschenken und Ausgabenerhöhungen verfolgen könnte. Zum einen sei die gegenwärtige Führung der Fed stark von keynesianischen Theorien beeinflusst, schrieb das Wall Street Journal, sodass die Euphorie der Finanzmärkte bezüglich der angekündigten Wirtschaftspolitik Trumps - die vermittels Steuersenkungen und neoliberaler Deregulierung die Wirtschaft beleben will - nicht auf die Führungsgremien der Notenbank "überspringen" wolle.

Doch scheinen es vor allem Diskrepanzen bei der Einschätzung des aktuellen konjunkturellen Timings zu sein, die zu den ersten Verstimmungen zwischen den Notenbankern und dem designierten Präsidenten führten. Janet Yellen habe anlässlich der jüngsten Leitzinserhöhung erklärt, dass die aggressiven Pläne Trumps zur Unzeit kämen, meldete die Website Business Insider. Die geplanten schuldenfinanzierten Konjunkturmaßnahmen seien zu groß dimensioniert, und sie kämen zu spät im gegenwärtigen Konjunkturzyklus, was die Inflationstendenzen beschleunigen würde.

Deswegen könnte die Fed selber zu aggressiven Zinserhöhungen greifen, um diesen drohenden Inflationstendenzen zu begegnen. Ein Machtkampf zwischen Trump und der Fed zeichne sich ab, warnte Business Insider schon Anfang Dezember. Wenn die Fed die Zinsen rapide ansteigen ließe, würde dies von Trump als ein "Versuch betrachtet, seinen Plan zu unterminieren", da er im Wahlkampf "sehr feindselig" gegenüber der Fed agierte. Dies würde zu einem "Showdown zwischen dem Präsidenten und der Zentralbank" führen, den die Finanzmärkte "nicht gut aufnähmen" würden.

Dabei ist dieser von der Presse regelrecht herbeigeschriebene Machtkampf nicht zwangsläufig. Im Gegenteil: die Interessen des Präsidenten und der Notenbank könnten noch in Übereinstimmung gebracht werden.

Zinserhöhungen zur Wiedergewinnung von geldpolitischem Handlungsraum

Die Zinserhöhungen wurden von der Fed schon vor zwei Jahren angekündigt, aber aufgrund der immer wieder dadurch ausgelösten Finanzmarktverwerfungen hinausgeschoben (Süchtig nach regelmäßigen Liquiditätsspritzen). Der Hinweis Yellens, dass man sich nach neun Jahren (!) Nullzinsen sehr spät im Konjunkturzyklus befinde, sodass nun eine Zinserhöhung überfällig sei, scheint eher den systemischen Kern Problems zu treffen.

Die Zinsen sollen möglichst schnell möglichst weit steigen, um geldpolitischen Handlungsspielraum zu gewinnen, sobald der nächste Konjunktureinbruch oder Krisenschub einsetzt. Derzeit verfügt die Geldpolitik - nach einer knappen Dekade extrem expansiver Geldpolitik - über keinerlei Manövrierraum, um auf wirtschaftliche Verwerfungen zu reagieren. Dieser schon länger geplante Anlauf der Notenbank, Handlungsspielraum zu gewinnen, fällt nun mir der Wahl Trumps zusammen.

Zur Erinnerung: Die extrem expansive Nullzinspolitik der vergangenen zehn Jahre hat maßgeblich zur Stabilisierung des Weltfinanzsystems nach dessen drohender Kernschmelze 2008 beigetragen, indem sie eine gigantische Liquiditätsblase entfachte (Anatomie einer Liquiditätsblase). Die Gelddruckerei ließ die Preise auf den Finanzmärkten explodieren, was den gespenstischen Finanzboom in den vergangenen Jahren erklärt, der stabilisierend auf die gesamte Weltwirtschaft wirkte.

Mittels der gigantischen Geldschwemme, an der in den vergangenen zehn Jahren die Notenbanken aller Zentren des Weltsystems mitwirkten, konnte die globalisierte Weltwirtschaft ein letztes Mal vor den Zerfall bewahrt werden. Die vorläufige Verhinderung des Crashs nach dem Zusammenbruch der Immobilienblasen 2008, die durch das Aufpumpen der Liquiditätsblase durch die Notenbanken erreicht wurde, hatte aber ihren Preis. Denn diese Gelddruckerei kann nicht ad infinitum fortgesetzt werden, ohne einen inflationären Schub zu erzeugen, oder einen erneuten, noch größeren Crash zu provozieren. Alle Blasen müssen irgendwann platzen.

Deswegen macht die amerikanische Notenbank nun mit ihrer Drohung ernst, die Krisenfolgen auf die Semiperipherie des kapitalistischen Weltsystems abzuwälzen Dies ist im Endeffekt das, was die Leitzinserhöhung bewirken soll.

Das Ziel der geldpolitischen Manöver der US-Notenbank ist China

Auch hier lohnt ein kurzer Blick zurück: 2008, nach dem Platzen der Immobilienblasen war die globale Krisenpolitik aller Konkurrenz zum Trotz von einer gewissen geldpolitischen Kooperation geprägt. Man war sich in allen Wirtschaftszentren einigermaßen einig, dass Konjunkturmaßnahmen und expansive Geldpolitik notwendig waren, um einen Zerfall des hochgradig verflochtenen kapitalistischen Weltsystems zu verhindern.

Aufgrund der verheerenden Erfahrungen, die in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts mit protektionistischer Politik gesammelt worden waren, entschied man sich, die Globalisierung nicht durch Handelsbeschränkungen zu gefährden. Krisenkonkurrenz fand in dieser krisengebeutelten, aber immer noch globalisierten Weltwirtschaft vor allem durch Abwertung statt: durch Währungsabwertungen oder innere Abwertungen - also durch Austerität (hier vor allem in der Bundesrepublik und dem Europa Schäubles).

Dieser fragile globale Konsens scheint vor allem aufgrund der zunehmenden Instabilität der chinesischen Schuldentürme aufzubrechen. Mit der nun vollzogenen Zinswende setzt die amerikanische Notenbank darauf, massive Kapitalzuflüsse in die USA zu initiieren. Diese Zuflüsse sollen den Boom auf den amerikanischen Finanzmärkten am Leben halten, obwohl die Geldpolitik ihre Zügel immer weiter anziehen wird. Anschwellende Kapitalzuflüsse in die Vereinigten Staaten sind - bei der angepeilten Politik der fortgesetzten Geldverknappung - nur dann möglich, wenn andere Regionen Kapitalabflüsse verzeichnen.

Und genau dies ist der Sinn und Zweck der ganzen Übung. Das Manöver der Fed erinnert an die Schuldenkrise der sogenannten "Dritten Welt" in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts, als die Vereinigten Staaten in Reaktion auf die Krisenperiode der Stagflation ab 1980 Leitzinsen massiv erhöhten, um die Inflation einzudämmen (Volcker-Schock). Die große Zinswende der 1980er Jahre ließ die Kapitalzuflüsse in die USA explodieren; sie legte überdies die Grundlage für den kometenhaften Aufstieg des Finanzsektors, wie auch der Verschuldungsorgie der vergangenen drei Dekaden - und sie hat zum sozioökonomischen Zusammenbruch in weiten Teilen der Peripherie des kapitalistischen Weltsystems beigetragen.

Das Ziel der gegenwärtigen geldpolitischen Manöver der amerikanischen Notenbank ist hingegen China, das mit den Folgen einer nach 2008 rasch expandierenden Verschuldungsdynamik, sowie der heiß gelaufenen Spekulationsblasen auf den chinesischen Immobilien- und Aktienmärkten zu kämpfen hat. Das Reich der Mitte ist inzwischen nicht mehr der größte Auslandsschuldner der Vereinigten Staaten, da Japan nun diese Position übernommen hat. Die in US-Dollar angelegten Währungsreserven der Volksrepublik schwinden rapide, weil die Führung der Volksrepublik seit Monaten verzweifelt bemüht ist, die überhitzten Aktien und Wertpapiermärkte des Landes zu stabilisieren - und gegen zunehmende Kapitalabflüsse vorzugehen. Allein binnen der vergangenen zwei Jahre sind die Währungsreserven Chinas von rund 4 Billionen US-Dollar auf ca. 3 Billionen zusammengeschmolzen.

Die Zinserhöhung durch die amerikanische Notenbank werde die angeschlagene chinesische Wirtschaft weiter unter Druck setzten, meldete Forbes. Bereits jetzt habe Peking Kapitalverkehrskontrollen einführen müssen, um der aufhaltenden Kapitalflucht zu begegnen. Zudem sei die chinesische Geldpolitik durch die berüchtigten quantitativen Lockerungen bemüht, die Wirtschaft des Landes zu stützen. Die damit einhergehende Niedrigzinspolitik in China werde nun von der Zinswende der Fed konterkariert, sodass weiterer Druck zur Kapitalflucht aus der Volksrepublik aufgebaut wird.

Die chinesische Geldpolitik sei durch die Voll eingeleitete Zinswende der USA in eine Sackgasse geführt worden, schlussfolgerte der Nachrichtensender CNBC. Die höheren Zinsen in den USA nötigten Peking dazu, ebenfalls nachzuziehen, doch zugleich müsste China seine expansive Geldpolitik fortsetzen und das Zinsniveau möglichst niedrig halten, um die Wirtschaft weiter zu stützen. Entweder werde Peking die Zinsen anheben oder die massive Abwertung seiner Währung hinnehmen.

Die Angst vor der Währungsabwertung resultiert vor allem aus der Transformation der chinesischen Wirtschaft nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008, als die extremen Überschüsse der Werkstatt der Welt sukzessive abgebaut wurden, um einem investitions- und kreditgetriebenen Konjunkturmodellplatz zu machen, in dessen Gefolge sich die besagten Spekulationsblasen ausbilden. Die hohe Schuldenlast, unter der inzwischen China leidet, verleitet immer mehr Mitglieder der chinesischen Mittelklasse dazu, ihr erspartes in der Weltleitwährung US-Dollar zu Bunkern, um so dem abwertungsbedingt drohenden Wertverlust vorzubeugen.

Trump sucht die Annäherung mit Russland, um den hegemonialen Aufstieg Chinas zu verhindern

Dieser Leitzinserhöhung soll somit einen ähnlichen Effekt wie in den achtziger Jahren auslösen: Die Zentren des kapitalistischen Weltsystems würde sich auf die Kosten der Peripherie sanieren, die die Krisenfolgen zu tragen hätten. Und genau hier treffen sich die Interessen von Donald Trump und der amerikanischen Notenbank.

Trump sucht auf geopolitischer Ebene die Annäherung mit Russland, um den hegemonialen Aufstieg Chinas verhindern zu können. In gewisser Weise versucht der Rechtspopulist, die antisowjetische Strategie Nixons - des einzigen Mannes in Washington, der nach China gehen konnte - mit vertauschten Rollen zu kopieren. Die Leitzinserhöhung der Fed würde diese geopolitische Strategie wirtschafts- und geldpolitisch flankieren.

Dies bedeutet aber auch, dass der globale geldpolitische Konsens innerhalb der Funktionseliten, wonach die Globalisierung allen Krisenschüben zum Trotz aufrechtzuerhalten sei, zerbrochen ist. Auch geldpolitisch lautet nun die Devise: "Rette sich. wer kann."

Die einzelnen Akteure versuchen nun auch mittels der Geldpolitik, die Krise auf andere abzuwälzen. Somit zeichnet sich eine Rückkehr zu Protektionismus und dem damit einhergehenden sozioökonomischen Verwerfungen ab, wie sie die frühen 30er Jahre des 20. Jahrhunderts charakterisierten. Denn selbstverständlich ist eine bloße Wiederholung der Manöver der 80er Jahren nicht mehr möglich, da die Schwellenländer heutzutage ein sehr viel höheres wirtschaftliches Gewicht mitbringen als die Dritte-Welt-Staaten, die in den achtziger Jahren in die Schuldenfalle tappten. Das China des Jahres 2017 ist nicht das Mexiko des Jahres 1982. Zudem ist die Schuldenlast in den Zentren - gerade in Relation zum Bruttoinlandsprodukt - sehr viel höher als vor 30 Jahren.

Fazit: Die sich überall abzeichnenden protektionistischen Tendenzen, die in den rechtspopulistischen Parteien beiderseits des Atlantiks ihr politisches Sprachrohr gefunden haben, werden selbstverständlich nicht zu einer Wirtschaftserholung beitragen, sondern die bestehenden Krisentendenzen noch weiter verschärfen.

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