Zivilisatorischer Pazifismus
Seite 3: Zusammenhänge: Krieg und Klimakrise
- Zivilisatorischer Pazifismus
- Ein neuer Name, aber keine neue Betrachtungsweise
- Zusammenhänge: Krieg und Klimakrise
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"Zivilisatorischer Pazifismus" ist kein friedenspolitischer Nebenschauplatz und auch keine Strategie zur Werbung von pazifistischem Nachwuchs (Argumentationshilfe für Stände der Friedensbewegung), sondern ein grundlegender Ansatz – unter Einschluss von "Atompazifismus" und "Ökopazifismus". Er zielt darauf, die weltweite menschliche Gemeinschaft im 21. Jahrhundert überhaupt erst zu befähigen, eine "Kooperation für das Leben" zu werden und den vom homo sapiens verursachten Katastrophen gegenzusteuern.
Radikal in Frage zu stellen ist nun das mit dem destruktiven Zivilisationskurs verbundene Wissenschafts- und Forschungsparadigma. Die imperiale Zivilisation bringt Beherrschungswissenschaften hervor, die dem erfolgreichsten Vorteile sichern und in ihren Werkstätten ultimative Technologien des Massenmordes entwickeln.
In den nächsten Jahrzehnten werden aufgrund des Klimawandels weitere Konfliktherde entstehen und zig Millionen Klimaflüchtlinge tödlich bedroht sein. Kriege um Wasser werden den Kreis der gewalttätigen Ressourcensicherung dominieren.
Wider die mannigfachen Verwerfungen infolge der Erderwärmung wären völlig neuartige Ökonomien, Forschungen, Technologien und Produktionen im Dienste der Erhaltung oder Mehrung des Lebens angesagt. Derweil ziehen es die Mächtigen aber vor, ungezählte Milliarden in eine neue Atomwaffengeneration zu investieren – was in sich schon von der Bereitschaft zeugt, Menschen in Massen zu ermorden und zumindest Teile der Erdoberfläche gezielt unbewohnbar zu machen.
Der "Zivilisatorische Pazifismus" ist an dieser Stelle zu 100 Prozent intolerant und bezeichnet das, was aus dem Irrenhaus der Zivilisation kommt, auch als Wahnsinn. Er spricht dem als rational geltenden Nuklearwaffen-Komplex jegliche Verbindung mit einem sinnvollen Verständnis von Vernunft ab.
In seinen Augen sind ausnahmslose alle Akteure, die sich an Entwicklung, Produktion oder Finanzierung der Nuklearwaffentechnologie beteiligen und ein Recht zu Atombombenbesitz oder Atombombenteilhabe beanspruchen, disqualifiziert für eine Politik, die ihrer Verantwortung vor gegenwärtigen und künftigen Generationen gerecht wird. In den Parlamenten sollten die Oppositionellen, die das Leben lieben, nicht aufhören, die Haber, Teilhaber und Kollaborateure der Bombe laut beim Namen zu nennen und den Aberwitz zu verlästern.
Die Zusammenhänge von Krieg und Klima betreffen die Richtung der maßgeblichen Forschungen, die Zweige der Produktionen und schließlich die Budgets für öffentliche Ausgaben. Jeder kann wissen, wie dringend wir Laboratorien, Industrien und Hervorbringungen zum Schutz des menschlichen Lebens brauchen. Gemästet werden jedoch Militärforschung und Rüstungskonzerne, also die Totmach-Industrien.
Die begrenzten Ressourcen fließen an erster Stelle in die Militärapparate. Sie fehlen dann zwangsläufig in den Kassen der Klimaschutzpolitik. Hier fallen Entscheidungen. Kein noch so schmerzliches ökologisches Opfer für den Kriegsgötzen erscheint den vielen unverantwortlichen Entscheidungsträgern zu groß.
Die Rüstungsproduktionen, Rüstungsexporte sowie der Unterhalt der militärischen Infrastrukturen (samt Wartung, Übungen etc.) tragen in beträchtlichem Umfang zur Steigerung der Erderwärmung bei, auch wenn die Waffen noch gar nicht zum Einsatz gekommen sind. Wo die Schlachten dann beginnen, gibt es für das Werk der Umweltzerstörung keine Grenze mehr. Das Militär ist Spitzenreiter der Destruktion.
Die Beendigung des Krieges gegen die Natur – d.h. gegen die Grundlagen des Lebens auf der Erde – stünde unter freien, vernünftigen Diskursbedingungen seit mehr als einem halben Jahrhundert als "T.O.P. 1" auf der Tagesordnung. Die wirkliche Priorität besteht indessen darin, das Programm Krieg und die mit ihm verbundenen astronomischen Profite fortzuschreiben in alle Ewigkeit.
Herausforderungen wider die Vergeblichkeit – "Transzendenz"
Als Erkennungszeichen für den Zivilisatorischen Pazifismus bietet sich das älteste Symbol der "Campaign for Nuclear Disarmament" an, welches auch als stilisierte Darstellung des Menschen gedeutet werden kann und dann zur Frage führt: "Scheitert der homo sapiens?"
Frohnaturen kommentieren die Atombombe trotz Hiroshima und Nagasaki – trotz der Leiden der militär-experimentell Verstrahlten, der Erstschlagoptionen, der fehlbaren Warnsysteme und einer neuartigen nuklearen Waffengeneration – mit Artikel 3 des Rheinischen Grundgesetzes: "Et hätt noch emmer joot jejange." (Bislang ist doch noch immer alles gutgegangen. – Erfahrungsgrundlage ist hierbei eine winzige Zeitspanne der menschlichen Geschichte.)
Junge Häuslebauer mit Kinderwunsch winken bei Fridays for future ab: "Überspanntes, hysterisches Endzeit-Gehabe!" Der Kulturredakteur lamentiert ebenfalls über altbackene "apokalyptische Zwangsvorstellungen", denn er schreibt gerade einen anspruchsvollen Essay und will dann zur Belohnung ungestört einen exquisiten Rotwein genießen.
Der Wissenschaftler im vorgerückten Alter möchte derweil sein seit Jahrzehnten bearbeitetes Forschungsvorhaben zu einem Abschluss bringen; denn es kann ja gar nicht sein, dass die Vorstellung einer generationenübergreifenden Kultur-, Kommunikations- und Forschungsgemeinschaft durch eine alsbaldige Katastrophe oder Auslöschung jeglicher Geschichte als naive Illusion entlarvt wird…
Alle diese Verhaltensweisen sind menschlich, sehr menschlich. Jeder von uns ist zu zerbrechlich für die Katastrophe und geneigt, lähmende Prognosen zu Kommendem zu meiden. Wer Tag für Tag, Stunde um Stunde den "zivilisatorischen Ernstfall" erwägt, fällt zwangsläufig in ein Grundgefühl der Vergeblichkeit. Angst und Fatalismus bleiben zurück, sie machen gefügig.
Gibt es eine Weise, "das Fürchten zu lernen" (Günther Anders), die nicht handlungsunfähig macht? Wie könnten wir uns – einander – zu einem klaren Sehen des Weltgeschehens befreien – ohne falschen Trost, aber nicht ohne Beistand? In Abgründe sollte nur schauen, wer Stärkung erfahren hat. Leibhaftige Begegnungs- und Beziehungsräume – jenseits der digitalen Kommunikationsflut – sind schon deshalb unverzichtbar.
Es gab Epochen, in denen das Leben als Geschenk galt, nicht als etwas, das eingekauft werden muss. Zu den Herausforderungen unter dem Vorzeichen des "Zivilisatorischen Pazifismus" gehört die Beleuchtung jener Jahrtausende einer patriarchal gelenkten Geschichte, die mit einer aggressiven Ökonomie, der Heilslehre des Militärischen und zuletzt einem Vernichtungskrieg gegen die natürlichen Grundlagen aller Lebewesen auf der Erde einhergeht.
Kriegs- und Hochrüstungskomplexe sind keine ewigen Naturtatsachen, sondern relativ junge Phänomene der menschlichen Zivilisationsgeschichte. Es gab eine Zeit ohne sie – und eine "Zukunft ohne Barbarei" ist nur als Zustand vorstellbar, in dem sie wieder abgeschafft worden sind.
Wie nun kann das Lebensdienliche im öffentlichen Gefüge zur Sprache kommen und schließlich Hegemonie (Vordringlichkeit) erlangen? Ethische Überlegungen sind gewiss nichts Falsches, aber durch Moralpredigten werden wir den "Ernstfall der Zivilisation" kaum abwenden können. Sich dem Erbe der Aufklärung verpflichtet fühlen, bleibt ebenfalls ehrenwert. Doch es fehlt summa summarum gewiss nicht an Faktenwissen über Klimawandel und Kriegsapparatur.
Es bleibt weiterhin nötig, das Publikum zu informieren z.B. über die astronomischen globalen Gesamtkosten der letzten Kriegsintervention in Afghanistan, die zwei Jahrzehnte lang währte und neben Leichenbergen als "Erfolg" nur verbuchen kann, das Leben für sehr viele Millionen Menschen zum Schlimmeren gewendet zu haben. Für eine Hegemonie des Lebensdienlichen brauchen wir aber noch mehr als solche Aufklärung, nämlich wirkmächtige Bilder – kein Pentagon-Kino, sondern: "One human family"!
Wenn ich als Theologe an dieser Stelle mehr "religiöse Musikalität" in einer Revolte für das Leben ersehne, so möchte ich nicht missverstanden werden. Jene institutionalisierte "Religion", die jede beliebige Apparatur mit den Versprechungen einer hohlen Jenseitigkeit und einer kapitalismuskonformen Anwendungspastoral stützen kann, pulverisiert sich hierzulande.
Linker "Laizismus" bezieht sich somit auf Kämpfe von gestern. Die biblische Überlieferungsgemeinschaft, aus der ich komme, zielt auf Religionskritik (nicht auf die Konstruktion eines höchsten Wesens oder esoterische Spekulationen). Es geht um einen Aufstand gegen den Tod, um den Sturz der falschen, allmächtig scheinenden Götter des Weltgeschehens.
"Transzendenz" bedeutet in diesem Zusammenhang, die seelische Leere der Gefügigen zu durchbrechen und somit auch jenen toten Denkraum, der die Welt in einen überaus traurigen Ort verwandelt. Wer sich als Mensch auch den noch nicht Geborenen – den künftigen Generationen, denen er nie begegnen wird – verbunden fühlt, gehört bereits zu den Zeuginnen und Zeugen des "Transzendierens".
Die rasante Militarisierung vollzieht sich unter der Losung "Für die Freiheit", während sie in Wirklichkeit in freiheitsfeindliche, autoritäre Verhältnisse hineinführt. Das Wissen um die Kraft von Nonviolence bleibt weiterhin ausgeschlossen vom kommerziellen Massen-Entertainment, denn es betrifft die einzige Form des gemeinschaftlichen Widerstandes, die den Mächtigen und Besitzenden Angst einflößt.
Nonviolence ist keine Passivität, sondern höchste Aktivität: ein Widerstand, der dem Räderwerk des Todes in die Speichen greift, jedoch niemals fremdes Blut vergießt. Die Revolte gilt dem Leben und auch der menschlichen Würde. Falsche Propheten, die das Geschäft der Konterrevolution betreiben, sind leicht zu erkennen. Sie fordern Menschenopfer.
Ausführungen zum "Zivilisatorischen Ernstfall" hat der Verfasser schon früher in einem kleinen Aufsatz und einem theologischen Essay vorgelegt; ebenso einen Text zum Imago der "Einen Menschheit"