Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Vermieter
Seite 2: Die Wohnungsfrage ist eine soziale Frage
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"Eine hohe städtebauliche Qualität ist mit innovativen Konzepten zu verknüpfen." So geschrieben im Berliner Koalitionsvertrag, wo auch steht, mit dem Volksentscheid solle "respektvoll umgegangen" werden. Als Laie wird man bei der Lektüre der Koalitionsvereinbarungen auf Bundes- und auf Berliner Landesebene rammdösig. Ein butterweiches Gesäusel schlägt einem entgegen.
Hat diese Verlautbarungsrhetorik Methode? Braucht man ein Fachwörterbuch, um die harten Fakten freizulegen, oder gibt es gar keine? Sind die Aussagen geeignet, eine schleichende Erosion des Mieterschutzes zu übertünchen? Der Roll-back hat schon begonnen. Der (Berliner) Mietendeckel und das Vorkaufsrecht sind gerichtlich einkassiert, und die Mietpreisbremse ist löcherig.
Mehrfach steht in den Koalitionsverträgen, man wolle Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit "beenden". Hätte man nur geschrieben: lindern. Dann würde nicht der Verdacht entstehen, hier wird etwas auf dem Papier dekretiert, was in der Realität immer nur annäherungsweise erzielt werden kann, es sei denn, man beseitigt Obdachlosigkeit mit Gewalt, und das hieße: Nach der Vertreibung aus den Wohnungen folgt die Vertreibung von der Straße. An anderen Stellen lesen sich die Verträge differenzierter zum Problem, aber es kommt eben auf die Wortwahl an.
Wo die Aussagen nüchterner sind, lassen die Verträge punktuell ein Bewusstsein der wohnungswirtschaftlichen Defizite sowie Perspektiven einer Entspannung erkennen. Wohngemeinnützigkeit sei auf den Weg zu bringen, um eine dauerhafte Sozialbindung zu erzeugen.
Pro Jahr sollen auf Bundesebene 400.000 Wohnungen erstellt werden, davon 100.000 im Sozialen Wohnungsbau. Da fangen die Schwierigkeiten wieder an. Diese Bauleistung ist unrealistisch. Der Mangel war schon in der Vergangenheit angelegt. In den letzten Jahren wog der Neubau an Sozialwohnungen die Zahl der Wohnungen, die aus der Sozialbindungen fielen, nicht auf.
Die Befristung der Sozialbindung führt nach Andrej Holm "zu der absurden Situation, dass ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wenn alle Kredite der Finanzierung mit Hilfe der staatlichen Förderung zurückgezahlt sind, das Ende der Bindungen gelegt wird. Also zu einem Zeitpunkt, wenn eine Bewirtschaftung auch ohne hohe Mieten möglich wäre, weil eben keine Erstellungskosten mehr refinanziert werden müssen." Das läuft auf eine Wirtschaftsförderung für private Unternehmen hinaus.
Auch kommunale Wohnungsbaugesellschaften und genossenschaftlich organisierte Unternehmen leiden an den hohen Grundstückspreisen. Im Berliner Koalitionsvertrag wird der Vorschlag gemacht, landeseigene Grundstücke nicht zu veräußern, sondern im Erbbaurecht für maximal 99 Jahre zu vergeben.
Bei der Vergabe könnten auch kleinere Baugruppen zum Zuge kommen, für die Berlin mittlerweile ein attraktiver Ort ist, um kreative Wohnformen zu erproben. Zur Organisation des Vergabe-Verfahrens sollte ein Flächenmanagement eingerichtet werden.
Wie schnell die Schönwetterstimmung, die von der Rhetorik der Koalitionsverträge verbreitet wird, verfliegen kann, wird an der Neubesetzung des Postens der Senatsbaudirektorin im Dezember vorigen Jahres sinnfällig.
Die berufene Architektin, Petra Kahlfeldt, macht sich sowohl für die Rekonstruktion der Stadt nach historischem Muster als auch für die Privatisierung öffentlicher Flächen stark. Die Tendenz geht, zudem belegt durch die bisherige Berufsbiographie der Architektin, gegen einen gemeinwohlorientierten Wohnungsbau. Die SPD war bei dieser Personalie federführend. Wird der Koalitionsvertrag bereits in seinem Inneren ausgehöhlt?
Zusammengefasst: Die horrenden Grundstückspreise schlagen über die Baukosten auf die Mieten und den Wohnungsmarkt insgesamt durch. Es ist illusorisch, diese kausale Kette allein durch Wohnungsneubau im Vertrauen darauf aufbrechen zu wollen, dass der Markt aus Angebot und Nachfrage es schon richten wird. Beispiel Hamburg: Trotz Rekordzahlen beim Wohnungsbau sind die Mieten in jüngster Zeit so stark gestiegen wie seit 20 Jahren nicht.
Wohnen heute birgt Risiken und Nebenwirkungen. Es kann arm machen. Auf die wichtigste Ursache und deren Behebung verweist eine Stimme aus dem Umkreis der Mieterbewegung: "Unser Kiez ist keine Aktie."
Ein Interview mit dem Stadtforscher Andrej Holm erscheint auf unserer Partnerseite Krass & Konkret.