Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Vermieter

Bild: Jan Clotworthy/DWE

Was hilft besser gegen die Wohnungsnot: die Koalitionsvereinbarungen oder Enteignungen?

In manchen New Yorker Wohntürmen sehen die Apartments aus, als wären sie Showrooms. Die Innenarchitekten haben an gediegensten Materialien wie Marmor, Edelmetall und Glas nicht gespart. Alles ist da, nur eines fehlt in den Schaufenstern: Menschen. Und in der Tat würden Bewohner bei dieser Pittoreske stören. Sie sind Zehntausende von Kilometern entfernt und statten nur selten ihrer Kemenate eine Visite ab.

Die Luxus-Wohnungen sind Kapitalanlagen für ein betuchtes internationales Publikum. Dagegen wirken deutsche Großstädte wie Posemuckel, aber die internationalen Finanzschürfer haben auch sie entdeckt. Wie in New York, wenn auch aus anderen Gründen, sind den Anlegern leere Wohnungen lieber. Lieber ohne als mit Mietern.

Für die Frage bezahlbaren Wohnens spielen Hochhäuser keine Rolle, sagte der neue Berliner Bausenator Andreas Geisel dem Tagesspiegel.1 Das sei für ihn keine dringliche Frage. Gleichwohl will er immer höher hinaus. Es ist etwas frivol, die Hochhäuser aus der Spirale ständig steigender Mieten und Grundstückspreise argumentativ herausnehmen zu wollen.

Wenn etwa am Alexanderplatz im Zentrum Berlins Cluster von Hochhäusern bzw. Wohntürmen errichtet werden, darunter solche, die hermetisch vom Sozialleben der Stadt abgeschnitten sind, breiten sich, mathematisch gesprochen, Preissteigerungswellen in konzentrischen Ringen in Richtung der Peripherie aus.

Von den gehobenen Segmenten geht ein Druck auf die jeweils einfacheren Lagen aus. Das ist der Kern der Gentrifizierung. Dieser Verdrängungsprozess ist schon seit der Jahrtausendwende im Gange. Mieter, die der Armutsgrenze entgegenschleudern, müssen ebenso aus dem Zentrum heraus wie das Künstlervölkchen, das für die Lebendigkeit der Innenstädte einstand.

Leere bringt mehr Gewinn als Fülle. Wurden die Berliner Mietshäuser der Gründerzeit nach dem deutsch-französischen Krieg noch von lokalen Handwerkern errichtet, die dann auch selbst in ihrem Haus wohnten, fließt heute internationales Kapital in die Stadt und steigert die Nachfrage nach Immobilien. "Baugenehmigungen werden manchmal nur beantragt, um die Grundstücke teurer verkaufen zu können", weiß auch der Senator.

Der Wohnungsmarkt ist von der Grundstücksspekulation dominiert. Aus Grundstücken als solchen lässt sich durch Verkauf mehr herausholen als aus alten oder gammeligen Häusern. Es ist ein sukzessiver Prozess aus An- und Verkauf.

Der Gewinn ist nicht durch eine reale Wertschöpfung generiert, sondern durch den Selbstlauf des Spekulationsmarktes und durch den Verlass auf künftige Mieten oder Grundstückspreissteigerungen ad infinitum. Die Bodenwertsteigerungen sind leistungslos. Ob die Blase platzt, interessiert die Spekulanten in der Gegenwart nicht groß.

Katrin Schmidberger, die wohnungspolitische Sprecherin der Berliner Grünen, fasst es anschaulich: "Eine leere Wohnung bringt dreimal so viel ein wie eine mit Mieter." Auf die Folgen für die Stadtentwicklung weist der Stadtplaner Norbert Rheinländer hin: Die Grundstücksspekulation ergibt keine Stadt.

Auf der einen Seite verfestigen sich Cluster aus Verslumung und Verödung. Auf der anderen Seite werden Gated communities aus Luxussanierung und Neubauten im gehobenen Standard geschaffen. Dazwischen werden die Stadtbewohner räumlich und sozial segregiert.

Der Berg kreist und gebiert eine Kommission

57,6 Prozent2 der wahlberechtigten Berliner:innen stimmten im Volksentscheid vom 26. Sept. 2021 für die Enteignung großer Wohnungsbauunternehmen, die über mehr als 3.000 Wohnungen verfügen. In Reaktion darauf hat die neue alte Berliner Regierungskoalition die Einsetzung einer Expertenkommission beschlossen, die ein Jahr Zeit hat, die Verfassungskonformität zu prüfen und Empfehlungen zur Umsetzung auszusprechen.

Beim Stichwort "Enteignung" denkt heute niemand mehr an das Kommunistische Manifest: "Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Kommunismus." Aber subkutan wird die Gespensterangst noch bei manchem Mietshausbesitzer nachwirken.

Die Angst macht sich heute in milderer Form geltend, als Vernebelung, die die Begriffe Vergesellschaftung, Kommunalisierung und Verstaatlichung umgibt. Sie werden abwechselnd in diesem Zusammenhang gebraucht. Sie sollten präziser reflektiert werden.

Von Verstaatlichung zu reden, wäre bestenfalls ein Ausrutscher, da es an den Staatssozialismus der DDR gemahnt. Kommunalisierung greift hingegen die Gesetze des kapitalistischen Marktes nicht an, sondern bewegt sich, zugunsten der Mieter freilich, innerhalb dieser Gesetze mit eigenen Geldkreisläufen. Begriffe wie Refinanzierung gelten hier immer noch. In Wien klappt das seit langem und in größerem Umfang.

Vergesellschaftung schließlich ist der Begriff, der den Initiatoren des Volksentscheides am nächsten liegt. Aber wer denkt da nicht an die Münchener Räterepublik und Anarchismus, der, ob niedergeknüppelt oder nicht, per definitionem nur eine kurze, spontane Erhebung sein kann? Das Grundgesetz spricht zwar von der Möglichkeit der Vergesellschaftung, hält sich aber aus einer Auslegung heraus. Was die Initiative real anstrebt, scheint eher auf Kommunalisierung hinauszulaufen.

Der Berliner Senat schert sich weniger um Begriffsdefinitionen, sondern liefert ein Lehrstück, wie man auf sozialdemokratische Weise mit Volksbewegungen umgeht. Er stellt zur Enteignungsfrage eine Expertenkommission zusammen, die wie der Berg kreist und eine Maus gebiert. So viel Prophezeiung sei gewagt.

Die Indizien sprechen dafür. In geplant einem Jahr, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit sich anderen Dingen zugewandt haben wird, kommen Eckpunkte und Empfehlungen auf den Tisch, die dann noch weitere Prozeduren durchlaufen müssen, bis es zu einem Gesetz kommen könnte. Das riecht doch sehr nach Hinhaltetaktik.

Der Stadtforscher Andrej Holm legt jedoch das Augenmerk auf den Weg und nicht auf die Entscheidung. Auch wenn diese auf das nächste Jahr aufgeschoben ist, "sei zu begrüßen, dass die Diskussion zur Umsetzung des Volksentscheides in einer Kommission mit öffentlicher Berichtspflicht und nicht in den Hinterzimmern einer Verwaltung stattfinden wird".

Die Rechtssicherheit einer Umsetzung des Volksentscheids muss bereits im Vorfeld gründlich geprüft werden. Hinzu kommt die Frage der Entschädigung für die "enteigneten" Unternehmen.

Rouzbeh Taheri, ein Sprecher der Initiative "Deutsche Wohnen & Co. enteignen", macht andererseits auf den politischen Faktor des Hinhaltens aufmerksam. Wenn es in der Politik um Konsensfindung geht, aber einer der institutionell Beteiligten das Ziel nicht teilt, gibt es tausend Mechanismen, wodurch er oder sie die Kommission zum Stillstand bringen kann, ohne dass er sich offen ausspricht.

Wer im konkreten Anwendungsfall des Volksentscheids der Bremser ist, wird mit einem Blick auf die Geschichte der SPD klar. Sie erfüllt wieder einmal ihre historische Mission.

Taheri wendet die Mittel/Ziel-Logik in der Umkehrung auf seine Initiative an, wenn er sagt: Wir müssen agieren, auch wenn die Chancen schlecht stehen. Gerade dieses Handeln ist realistisch. Wer von vorneherein aufgibt, weil er das Risiko des Scheiterns fürchtet, erreicht gar nichts.

Für den Augenblick fordert die Enteignungsinitiative, die Expertenkommission proportional zum Anteil der Ja-Stimmen des Volksentscheids mit Mitgliedern aus den eigenen Reihen zu besetzen. Auf einer Veranstaltung der Bündnisse, die an der Initiative beteiligt sind, waren sich die Beteiligten einig, dass der Druck von außen aufrechterhalten bleiben muss.

Sollte die Umsetzungsprozedur per Expertenkommission stecken bleiben, winkt die Initiative schon einmal mit einem neuen Volksentscheid, der von vorneherein ein ausgearbeitetes Gesetz zum Gegenstand hätte.

Die Wohnungsfrage ist eine soziale Frage

"Eine hohe städtebauliche Qualität ist mit innovativen Konzepten zu verknüpfen." So geschrieben im Berliner Koalitionsvertrag, wo auch steht, mit dem Volksentscheid solle "respektvoll umgegangen" werden. Als Laie wird man bei der Lektüre der Koalitionsvereinbarungen auf Bundes- und auf Berliner Landesebene rammdösig. Ein butterweiches Gesäusel schlägt einem entgegen.

Hat diese Verlautbarungsrhetorik Methode? Braucht man ein Fachwörterbuch, um die harten Fakten freizulegen, oder gibt es gar keine? Sind die Aussagen geeignet, eine schleichende Erosion des Mieterschutzes zu übertünchen? Der Roll-back hat schon begonnen. Der (Berliner) Mietendeckel und das Vorkaufsrecht sind gerichtlich einkassiert, und die Mietpreisbremse ist löcherig.

Mehrfach steht in den Koalitionsverträgen, man wolle Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit "beenden". Hätte man nur geschrieben: lindern. Dann würde nicht der Verdacht entstehen, hier wird etwas auf dem Papier dekretiert, was in der Realität immer nur annäherungsweise erzielt werden kann, es sei denn, man beseitigt Obdachlosigkeit mit Gewalt, und das hieße: Nach der Vertreibung aus den Wohnungen folgt die Vertreibung von der Straße. An anderen Stellen lesen sich die Verträge differenzierter zum Problem, aber es kommt eben auf die Wortwahl an.

Wo die Aussagen nüchterner sind, lassen die Verträge punktuell ein Bewusstsein der wohnungswirtschaftlichen Defizite sowie Perspektiven einer Entspannung erkennen. Wohngemeinnützigkeit sei auf den Weg zu bringen, um eine dauerhafte Sozialbindung zu erzeugen.

Pro Jahr sollen auf Bundesebene 400.000 Wohnungen erstellt werden, davon 100.000 im Sozialen Wohnungsbau. Da fangen die Schwierigkeiten wieder an. Diese Bauleistung ist unrealistisch. Der Mangel war schon in der Vergangenheit angelegt. In den letzten Jahren wog der Neubau an Sozialwohnungen die Zahl der Wohnungen, die aus der Sozialbindungen fielen, nicht auf.

Die Befristung der Sozialbindung führt nach Andrej Holm "zu der absurden Situation, dass ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, wenn alle Kredite der Finanzierung mit Hilfe der staatlichen Förderung zurückgezahlt sind, das Ende der Bindungen gelegt wird. Also zu einem Zeitpunkt, wenn eine Bewirtschaftung auch ohne hohe Mieten möglich wäre, weil eben keine Erstellungskosten mehr refinanziert werden müssen." Das läuft auf eine Wirtschaftsförderung für private Unternehmen hinaus.

Auch kommunale Wohnungsbaugesellschaften und genossenschaftlich organisierte Unternehmen leiden an den hohen Grundstückspreisen. Im Berliner Koalitionsvertrag wird der Vorschlag gemacht, landeseigene Grundstücke nicht zu veräußern, sondern im Erbbaurecht für maximal 99 Jahre zu vergeben.

Bei der Vergabe könnten auch kleinere Baugruppen zum Zuge kommen, für die Berlin mittlerweile ein attraktiver Ort ist, um kreative Wohnformen zu erproben. Zur Organisation des Vergabe-Verfahrens sollte ein Flächenmanagement eingerichtet werden.

Wie schnell die Schönwetterstimmung, die von der Rhetorik der Koalitionsverträge verbreitet wird, verfliegen kann, wird an der Neubesetzung des Postens der Senatsbaudirektorin im Dezember vorigen Jahres sinnfällig.

Die berufene Architektin, Petra Kahlfeldt, macht sich sowohl für die Rekonstruktion der Stadt nach historischem Muster als auch für die Privatisierung öffentlicher Flächen stark. Die Tendenz geht, zudem belegt durch die bisherige Berufsbiographie der Architektin, gegen einen gemeinwohlorientierten Wohnungsbau. Die SPD war bei dieser Personalie federführend. Wird der Koalitionsvertrag bereits in seinem Inneren ausgehöhlt?

Zusammengefasst: Die horrenden Grundstückspreise schlagen über die Baukosten auf die Mieten und den Wohnungsmarkt insgesamt durch. Es ist illusorisch, diese kausale Kette allein durch Wohnungsneubau im Vertrauen darauf aufbrechen zu wollen, dass der Markt aus Angebot und Nachfrage es schon richten wird. Beispiel Hamburg: Trotz Rekordzahlen beim Wohnungsbau sind die Mieten in jüngster Zeit so stark gestiegen wie seit 20 Jahren nicht.

Wohnen heute birgt Risiken und Nebenwirkungen. Es kann arm machen. Auf die wichtigste Ursache und deren Behebung verweist eine Stimme aus dem Umkreis der Mieterbewegung: "Unser Kiez ist keine Aktie."

Ein Interview mit dem Stadtforscher Andrej Holm erscheint auf unserer Partnerseite Krass & Konkret.