Zu viel Hass

Versinkt Deutschland im völkischen Diskurs?

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wenn gesellschaftliche Milieus punktuell zusammenwachsen und der rechte Rand beginnt, allmählich in die bürgerliche Mitte zu diffundieren, spätestens dann sollten in allen demokratischen Parteien die Alarmglocken schrillen.

Die AfD gelangt im Osten Deutschlands immer weiter in den Bereich der Komfortzone. Sie ist schon weit über den Status einer politischen "Quantité négligeable" hinausgewachsen. Wahlergebnisse wie etwa zuletzt in Thüringen unterscheiden sich demzufolge nicht grundlegend von den Trends in Frankreich, Österreich oder Ungarn. Man musste kein Feinhöriger sein, um Hasstiraden und rassistische Anspielungen im thüringischen Wahlkampf auch jenseits der Landesgrenzen wahrzunehmen.

Grenzen zwischen Verstehen und Akzeptieren

Viele jener Menschen, die in Thüringen - aber nicht nur dort - ihre soziopolitische Frustration herausbrüllten, schienen dies im vollen Unrechtsbewusstsein zu tun. Einige der älteren unter ihnen wirkten so, als hätten sie die Rolle der DDR-Genossen nur vorübergehend gegeben. Doch die tief sitzende und mit Verzweiflung samt Perspektivlosigkeit vermischte Wut über teils leere Versprechungen und dreiste Ankündigungen der etablierten Parteien - das und vieles mehr - führt zu Ausbrüchen von Hass, im Extremfall gefolgt von Gewalt.

Dennoch muss zwischen dem Verstehen von Hass und dem Akzeptieren desselben eine klare Grenze gezogen werden. Auf der einen Seite steht die Nachvollziehbarkeit, dass Situationen subjektiv empfundener Ungerechtigkeit oder Benachteiligung bestimmte Affektdispositionen verstärken können. Auf der anderen Seite der Grenzlinie steht jedoch das humanistische Gebot, Hasssprache kategorisch zu verurteilen. Einmal eingeschlagen führt der Weg des Hasses kaum jemals mehr zu konstruktiven Lösungen zurück. Hassreden sind verbalisierte Ressentiments, die weit jenseits der Grenze der guten Sitten liegen. Dennoch finden sie immer häufigere, drastischere Anwendung, auch solche, in der tragischerweise die Tat das Wort überschreitet.

Rechte Populisten, gekommen um zu bleiben

Dass Deutschland, als eine der stärksten Volkswirtschaften der Welt, es innerhalb von 30 Jahren nach der Wende nicht geschafft hat, einen christlich-sozial oder sozialdemokratisch gefärbten "Marshallplan" für die östlichen Bundesländer zu verwirklichen, ist bestürzend. Das Aufstehen der Freiheit, welches der Autor dieses Beitrags in Berlin kurz miterleben durfte, war wie ein langer verheißungsvoller Sonnenaufgang. Jetzt, am Ende des Abschwungs, in der konjunkturellen Talsohle sind sie da, die rechten Populisten und fahren reiche Ernte ein. Bei Wahlen, das wissen, leben und lieben die Populisten, werden die Stimmen weder gewertet noch gewichtet, sondern nur gezählt.

Zwischen rechten Parteien, die gerade noch innerhalb des Verfassungsbogens stehen und weit außerhalb stehenden rechtsextremen Gruppierungen existieren vielgestaltige Verbindungen: persönliche, informelle, historische und ideologische Bindungen, sogar emotionale Verbundenheit. Die vermeintlich starren Verfassungsbarrieren sind flüssig und biegsam, sie haben offene Grenzen. Und wie entlang aller noch so hermetischen Mauern, gibt es zwischen den Milieus stets Verbindungsleute und auf beiden Seiten Grenzgänger. Menschen, die diesseits und jenseits des ideologischen Limes beheimatet sind, Bewohner zweier Welten. Diese sind keine Einzelfälle. Wie einen sprachlichen Akzent, wie Begriffe aus dem Nachbarland tragen jene die Bezeichnungen über die Sprachgrenzen, sodass der Jargon des Rechtsextremismus, Lehnwörtern gleich, in die herkömmliche Sprache der Gesellschaft und Politik infiltriert wird.

"Volkstod": Gegenhaltung wäre gefragt

Dass personenreiche Aufmärsche Rechter in Deutschland mit verbalradikalen Deklarationen von Hass und Gewalt überhaupt durchführbar sind, lässt darauf schließen, dass vor allem in den östlichen Bundesländern größere soziale Umgebungen existieren, die diese Phänomene bereits stillschweigend tolerieren. Doch völkisch-nationale Texte sind nicht volksvereinend, sondern volksvergiftend. Das sollte die jüngere politische Geschichte, von Südamerika über Afrika und Asien bis hinein in das Zentrum Mitteleuropas, ausreichend bewiesen haben.

"Volkstod" oder "Bevölkerungsaustausch" zu befürchten wendet sich, ganz nebenbei bemerkt, auch gegen die in den meisten demokratischen Verfassungen verankerte Gleichberechtigung und Würde von Menschen. Und dennoch wird mit der rhetorisch infiltrierten Forderung nach möglichst homogenen Volksgemeinschaften Wählerfang betrieben, von Frankreich bis Italien und von Deutschland bis Österreich und Ungarn.

Verbalradikalismus und Radikalisierung

Und was Donald Trump "vollbrachte", beherrschen die Rechtsparteien Deutschlands schon längst. Dem sogenannten kleinen Mann in den rust-belts, den Millionen der economic-have-nots und left-behinds als Milliardär einzureden "I am your voice", sucht zwar seinesgleichen, wird aber seit vielen Jahren auch hierzulande in diversen Abwandlungen kommuniziert. Das ist nicht Überzeugungsarbeit, das ist Überredung.

Den seit Jahrzehnten unter immer stärkeren Druck geratenen Menschen mitzuteilen, man sei für sie da, man vergesse sie nicht, funktioniert in den USA wie im Osten Deutschlands, damals wie heute, Xenophobie inklusive. Zu viele Anhänger des Rechtspopulismus verwechseln überdies Hass mit politischer Haltung. Manche sind sogar stolz darauf.

Populisten tolerieren zwar zumeist die Demokratie, aber sie unterstützen diese nicht vollinhaltlich, sie akzeptieren demokratische Entscheidungsprozesse, aber sie tendieren zu illiberalen Haltungen, von Exklusion über Diskriminierung bis hin zu offenem Rassismus. Dass sie sich vielfach als Opfer der Medien inszenieren, auch in diesem Punkt unterscheiden sich die europäischen Rechtspopulisten nicht strukturell von den nord- und südamerikanischen.

Präventions-Milliarde

Das von der Bundesregierung beschlossene Maßnahmenpaket gegen Hass im Netz, ist tendenziell ausgewogen und nicht nur reaktiv, scheint aber auch der eigenen Selbstvergewisserung und Beruhigung zu dienen. Selbst bei der begrüßenswerten Verschärfung des Waffenrechts bleibt der Vater des Gedankens ein gesetzlich-repressiver Ansatz.

Ein höheres Gewicht auf Prävention zu legen und junge Menschen frühzeitig humanistisch und politisch zu bilden, wäre hingegen wünschenswert gewesen. Einmal radikalisiert oder ins Darknet abgetaucht, muss man diese mit mäßiger Erfolgsaussicht und hohem Aufwand deradikalisieren. Volkswirtschaftlich billiger und gesellschaftlich wirksamer wäre es daher, Bildung zu finanzieren; nicht halbherzig, sondern mit substanziellen Investitionen.

Ohne den Kalauer von den läppischen Mehrkosten des Berliner Flughafens zu bemühen, sollte noch weitaus mehr Geld in die Prävention gesteckt werden. Mehr als die kolportierten 115 Millionen, die jährlich wie ein Tropfen auf dem heißen Stein verdampfen. Eine Milliarde pro Legislaturperiode könnte bundesweit zusätzlich in die politisch-humanistische Bildung von jungen Menschen zwischen 15 und 25 Jahren investiert werden. Damit es erst gar nicht so weit kommt, dass sich dumpf-rassistische Stereotype in unwissenden Heranwachsenden festsetzen und diese dann von rechten Parteien und Gruppierungen wie reife Früchte gepflückt werden.

Social Media als Massenverbreitungswaffen

Auch in den politischen Wahlkämpfen per Social Media geht es weniger um aufrichtige politische Anliegen zum Wohle der Bevölkerung, als um brachiale Mobilisierung und um Fundraising. Social Media sind zudem auch das elektronische Megafon brüllender Supremacists und Hater. Diesen wird vermutlich, trotz anderslautender Konzernziele, auch künftig genügend Raum zur Verbreitung von Verbalradikalismus und Hassrede eingeräumt werden, denn das unternehmerische Ziel der Social Media-Konzerne ist nicht das soziale, kultivierte Miteinander von Menschen, sondern Gewinn.

Doch das Gebrüll am "digitalen Stammtisch" ist das Gegenteil einer mit ruhiger Stimme differenziert geführten Diskussion. Gebrüll ist der Tonfall des Polit-Basars, zu dem die Populisten aller Couleur den politischen Diskurs zu transformieren versuchen. Verstärkte Aufklärung und Prävention lohnten sich zukünftig.

Um ihre illiberalen Positionen ausleben zu können, ist Populisten die kulturell, rechtlich und historisch andersartige Form der US-Meinungsfreiheit, die den Social Media zugrunde liegt, ein höchst willkommener Deckmantel. Abnehmer und Sprachopfer des populistischen Diskurses bleibt die Masse im Sinne Elias Canettis. Diese zeichnet sich nicht durch differenzierte Argumentation aus, sondern - im Fußballstadion, bei Wahlkampf-Conventions oder bei Demonstrationen - durch Gebrüll, Jubel und Unmutskundgebungen. Masse, das ist pure Emotion. Die Masse achtet ihre populistischen Führer nicht, sie liebt diese.

Politik und Pop-Kultur werden mithilfe der Social Media sogar zu einer Art Celebrity-Hybrid amalgamiert und mittels Kurzbotschaften direkt in die Venen der Masse gepumpt. Es gibt im Populismus keine shades of grey mehr, nur Schwarz und Weiss, nur Freund und Feind. Daher existiert auch kein "guter" Populismus. Denn Populismus gründet niemals auf Überzeugung, sondern immer auf Überredung, er ist gelebte Dichotomie.

Paul Sailer-Wlasits (geb. 1964) ist Sprachphilosoph und Politikwissenschaftler in Wien. Zuletzt erschienene Monografien zum Thema Sprache und Gewalt: "Verbalradikalismus" (2012) und "Minimale Moral" (2016).

4

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.