Zukunft der EU: Militärische Großmacht oder globale Friedenskraft?
Seite 2: Europäische Entwicklungsperspektiven und Sicherheitskonzepte
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Die sich weiter entwickelnde Institution des Europäischen Parlaments könnte des Weiteren insbesondere hinsichtlich ihres Wahlverfahrens und der Sitzverteilung ein Vorbild für ein demokratisches Weltparlament sein – so wie dies die Kampagne für ein demokratisches Parlament bei der Uno (UNPA-Kampagne) bereits vorsieht.11
Wenn dann auch noch das Einstimmigkeitsprinzip im Rat der Europäischen Union aufgegeben würde, könnte auch hier ein Vorbild für ein globales Regierungskonzept im Rahmen der UN entwickelt werden.
Das friedenspolitische Bündnis "Sicherheit neu denken" entwickelt im Rahmen eines Positivszenarios bis zum Jahr 2040 alternativ zur militärischen Hochrüstung der EU ein Konzept, das aus fünf Säulen der Sicherheitspolitik besteht: Gerechte Außenbeziehungen, Stärkung der nachhaltigen Entwicklung, Ausbau der internationalen Sicherheitsarchitektur, resiliente Demokratie und Rüstungskonversion.12
Es lassen sich mit dem Fokus auf Europa folgende zentrale Konzeptbausteine aus den fünf Säulen der Sicherheitspolitik der Friedensinitiative "Sicherheit neu denken" identifizieren:
- Der UN-Sicherheitsrat besteht aus Vertretern kontinentaler regionaler Sicherheitsräte, wie z.B. einem europäischen Sicherheitsrat.
- Die OSZE entwickelt sich zum sicherheitspolitischen Schlüsselorgan im europäischen Raum.
- Es besteht ein Vorrang ziviler Maßnahmen der Kriegsprävention und Sicherheitspolitik vor weltpolizeilichen oder gar militärischen Maßnahmen.
- Die Nato akzeptiert Aufwendungen für zivile Maßnahmen der Konfliktregulierung und der Entwicklungszusammenarbeit. Es findet ein schrittweiser Umbau der Nato zu einem Organ ziviler Sicherheitspolitik statt.
- Es wird ein Entwicklungsplan für den Nahen Osten und Afrika unter der Federführung der UN aufgestellt. Hierbei wird auch die Friedens- und Sicherheitsarchitektur in diesen Regionen gestärkt.
- Es werden weltweite Friedenseinsätze mit weltpolizeilichen Mitteln nur dann durchgeführt, wenn zivile Konfliktvermittlung nicht mehr hilft.
- Es werden Ausbildungsprogramme für die Bevölkerungen in resilienter Sicherheitspolitik durchgeführt. Hierdurch wird ein Aufbau der Fähigkeiten zu zivilem Widerstand im Falle autokratischer Selbstermächtigung oder eines Überfalls vorgenommen.
- Es erfolgt ein Aufbau einer zivilen Konfliktkultur in Staaten und Regionen. Es werden z.B. nationale und internationale Mediationszentren aufgebaut;
- Es wird ein Auf- und Ausbau des zivilen Friedensdienstes und unbewaffneter ziviler Friedenssicherung vorgenommen.
- Die Rüstungsindustrie wird weitgehend in eine Friedensindustrie umgewandelt und es erfolgt eine Transformation nationalen Militärs in Technische Hilfswerke.13
Dies sind konzeptionelle Elemente einer prioritär zivilen europäischen Sicherheitspolitik, die den hier vertretenden Sichtweisen sehr nahe kommen und die es zu unterstützen gilt.
Es wäre allerdings Ausdruck politischer Naivität zu glauben, dass eine transnationale Organisation wie die EU derzeit angesichts der russischen Aggression sowie weiterer militärisch hochgerüsteter Staaten einseitig abrüsten und nur auf zivile Friedenssicherung setzen sollte. Dies bedeutet somit im Zuge einer anzustrebenden Verringerung europäischer Militärausgaben eine Erhöhung der Anstrengungen europäischer Koordination und zentraler Steuerung der europäischen Militärpolitik. Die Überwindung des weitgehend isolierten Betreibens nationaler Rüstungs- und Militärpolitik würde erhebliche Synergie- und erhebliche Einspareffekte mit sich bringen, ohne weiter aufrüsten zu müssen.
Hierbei ist die Notwendigkeit zu betonen, unabhängiger von den USA zu werden, der in der Vergangenheit ebenfalls erhebliche Verstöße gegen die Menschenrechte international nachgewiesen werden können (z.B. Napalm- und Agent Orange-Einsatz in Vietnam oder der 2. Irakkrieg). Auch steht das nationalchauvinistische America first der USA sicherlich den friedenspolitischen Intentionen von "Sicherheit neu denken" entgegen. Auch eine verstärkte sicherheitspolitische Eigenständigkeit Europas gegenüber der US-dominierten Nato wäre zukünftig erforderlich – es sei denn, die Nato nähert sich – nach einer demokratischen Erneuerung Russlands – Russland erneut an.
Fazit
Die Europäische Sicherheitspolitik kann zu einer auch global vernetzten Friedenspolitik und einer demokratisch kontrollierten globalen Sicherheitsarchitektur führen, wenn sie sich von einer zu engen Bindung an die USA und die Nato löst, sich von ihrem neoliberalen Regime befreit, sich aus der Umklammerung des militärisch-ökonomischen Komplexes begibt, sich auch auf die Beseitigung des sozialen Gefälles innerhalb der EU und stärker auf die Entwicklungszusammenarbeit mit den EU-Nachbarstaaten bezieht.
Dort könnte sie zur Stabilisierung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Interesse der dortigen Bevölkerungsmehrheit im Sinne einer an sozialem Ausgleich, wirtschaftlichem Fortschritt, friedlichem Zusammenleben, an Verteilungsgerechtigkeit und an Nachhaltigkeit orientierten Politik beitragen.
EU-Sicherheitspolitik sollte daher nicht als Aufrüstungsprogramm und Kriegspolitik, sondern als Friedenspolitik verstanden werden, die primär auf synergetischer Sicherheitspolitik, multilateraler Verständigung und auf Diplomatie und Verhandlungsgeschick beruht.
Es ist nicht vertretbar, zwar (noch) innerhalb der EU Frieden zu halten, aber nach außen Waffen zu exportieren und fragwürdige Kriegseinsätze, wie z.B. die Aggression der Türkei gegen die Kurden in Syrien oder das völkerrechtswidrige Verhalten Saudi-Arabiens im Jemen, zu unterstützen, sich als Sozialunion auszugeben und letztlich bei einer Militärunion zu enden.14
Gern hätte ich hier weiterhin abschließend formuliert: Hierbei sollte Russland nicht als Feind im Rahmen einer sich verschärfenden internationalen Konfrontation angesehen werden, sondern, solange die Möglichkeit noch besteht, als ein Verhandlungspartner der EU, mit dem es auf diplomatischem Wege für die Weiterentwicklung beider Regionen sicherheitspolitisch, ökonomisch, kulturell und ökologisch zu kooperieren gilt. Diese Möglichkeit ist derzeit aber aufgrund der russischen Aggression in der Ukraine nur noch eingeschränkt vorhanden. Dennoch sollte die kooperative Perspektive zumindest langfristig handlungsleitend für die Politik der Europäischen Union sein.
Prof. Dr. Klaus Moegling war bis 2021 im Rahmen der politikwissenschaftlichen Ausbildung von Lehramtsstudenten an der Universität Kassel tätig. Mitarbeit in Friedens- und Umweltinitiativen. Er ist u.a. Autor des Buches "Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich." (Verlag Barbara Budrich, 3. erweiterte Auflage 2020). Englische Version im open access unter https://www.klaus-moegling.de.