Zum Treiben ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland
Viele Fragen - wenig Antworten
Das Fragerecht gehört zu den wichtigsten Kontrollinstrumenten der Abgeordneten in den jeweiligen Parlamenten. Besonders im Bundestag kommt ihm große Bedeutung zu. Doch erstaunlich wenige Abgeordnete haben mit kontinuierlichen Fragen Politik gemacht. Dabei eignet sich das Fragerecht vorzüglich, um unbequeme Themen immer wieder zu problematisieren. Und mit Fragen lässt sich auch Politik machen.
Das tat beispielsweise der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Karl-Heinz Hansen mit seinen Anfragen über Jahre hin über die damals noch ausstehende Übernahme des in US-amerikanischen Besitz befindlichen NS-Document-Centers durch das Bundesarchiv.
Ein weiteres Beispiel sind die über Jahre hin vom damaligen FDP Bundestagsabgeordneten Jörg van Essen gestellten Fragen nach der Zahl der Telefonüberwachungen. Die Grünen erreichten mit vielen hundert Einzelfragen zum Rüstungsexport, dass die Bundesregierung dem Bundestag jährlich einen Rüstungsexport-Bericht vorlegen muss. Auch der Grüne Hans-Christian Ströbele setzte sein Fragerecht konsequent und zielführend insbesondere im Bereich Nachrichtendienste ein.
Nun fragt die Linke Martina Renner nach den "Aktivitäten ausländischer Geheimdienste in Deutschland seit 2015". Ausgehend von den Veröffentlichungen auf der Basis der Dokumente von Edward Snowden im Sommer 2013 und anschließend durch die Arbeit des 1. Untersuchungsausschusses in der 18. Wahlperiode (NSA-UA) und die damit einhergehende intensive Debatte über die Aktivitäten ausländischer Geheimdienste in Deutschland , wie etwa die bekannt gewordene Bespitzelung türkischer und kurdischer Oppositioneller durch den türkischen Geheimdienst, fragten Martina Renner und die Fraktion der Linken:
"1. In wie vielen Fällen haben Stellen des Bundes seit 2015 Hinweise auf nachrichtendienstliche Tätigkeit ausländischer Geheimdienste in Deutschland erhalten (bitte nach Jahren und beteiligten Stellen des Bundes auflisten)?"
Sie erhielt kaum inhaltliche Antworten. Stattdessen erklärte die Bundesregierung, das parlamentarische Informations- und Auskunftsrecht stehe "unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit der Beibringung der erbetenen Informationen."
Zumutbarkeitsgrenze bei Parlamentsanfragen
Die Grenze der Zumutbarkeit sei mit dieser Frage jedoch überschritten, so die Bundesregierung:
Weder werden einzelne Hinweise auf nachrichtendienstliche Tätigkeiten ausländischer Geheimdienste in Sammelakten geführt noch werden diese in Statistiken erfasst. Mit Frage 1 wird um Auskunft zu Hinweisen über Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland seit 2015 gebeten. Insbesondere bei den drei Nachrichtendiensten des Bundes wäre zur Beantwortung der Frage nahezu der gesamte Aktenbestand zu überprüfen, da Hinweise auf tatsächliche oder vermeintliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in fast jedem Vorgang enthalten sein können.
Antwort der Bundesregierung
Teile der Regierungsantwort wurden übrigens als "VS vertraulich" klassifiziert und somit nicht veröffentlicht. Das bedeutet, die Fragesteller dürfen diesen Teil der Antwort auch selbst nicht der Öffentlichkeit mitteilen.
Der Hinweis auf zu hohen Aufwand und nicht vorliegende Informationen ist eine beliebte Ausrede, bei unangenehmen Fragekomplexen. Denn es wird sicherlich mehr oder weniger herausragende Fälle geben, die die Regierung in einer Antwort hätte erwähnen können. Stattdessen verweigerte die Bundesregierung auch die Antwort auf alle nachfolgenden Fragen - 2 bis 20 - mit der Begründung:
Die Fragen 2 bis 20 beziehen sich - wie von den Fragestellern ausdrücklich erwähnt - jeweils direkt auf die von ihnen erwartete Antwort zu Frage 1. Damit stehen die Fragen 2 bis 20 in einem untrennbaren sachlichen Zusammenhang zu Frage 1 und können daher wegen nicht möglicher, weil nicht zumutbarer Beantwortung der Frage 1 ebenfalls nicht im erbetenen Sinne beantwortet werden.
Antwort der Bundesregierung
Die Linken ließen nicht locker und reichten eine weitere Kleine Anfrage ein.
Kaum Ermittlungen
Aus der Antwort auf die neuerliche Anfrage geht immerhin hervor, dass "die Tätigkeit eines ausländischen Geheimdienstes auf deutschem Boden beziehungsweise für einen ausländischen Geheimdienst auf deutschem Boden insbesondere nach § 99 des Strafgesetzbuchs (StGB) - geheimdienstliche Agententätigkeit- strafbar sein kann." So leitete die Bundesanwaltschaft im Jahr 2015 14, 2016: 10, 2017: 35 und in 2018 bisher zwei Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit gemäß § 99 StGB oder wegen eines sonstigen Spionagedelikts ein.
Von den im Jahr 2015 eingeleiteten Ermittlungsverfahren der Regierungsantwort zufolge vier Verfahren durch Einstellung und ein Verfahren durch eine rechtskräftige Verurteilung beendet. Von den zehn im Jahr 2016 eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden drei Verfahren durch ein rechtskräftiges Urteil beendet. Ein Verfahren wurde an eine Landesstaatsanwaltschaft abgegeben. Von den 35 im Jahr 2017 eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden drei Verfahren durch Einstellung beendet
Zum Inhalt der Verfahren gibt es nur einige dürre Angaben: In einem der im Jahr 2015 eingeleiteten Ermittlungsverfahren, in dem es zu einer rechtskräftigen Verurteilung gekommen ist, "wurden deutsche und indische sowie je eine srilankische, maledivische, pakistanische, bulgarische, iranische Privatperson ausgespäht. In einem im Jahr 2016 eingeleiteten Ermittlungsverfahren, das durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossen worden ist, wurde eine deutsche Privatperson ausgespäht."
In einem weiteren im Jahr 2016 eingeleiteten Ermittlungsverfahren, das ebenfalls durch rechtskräftiges Urteil beendet wurde, wurden deutsche Privatpersonen wegen ihrer Mitarbeit in einer deutschen Behörde ausgespäht. Zudem wurde in einem ebenfalls im Jahr 2016 eingeleiteten und durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Ermittlungsverfahren ein türkischer Privatmann kurdischer Abstammung ausgespäht.
Für die Fragestellerin, die Innenpolitikerin der Linken, Martina Renner, wird "Deutschland ganz offensichtlich zur Spielwiese für ausländische Nachrichtendienste, die hier relativ straffrei unliebsame Kritikerinnen verfolgen und auch schon mal entführen können". Renner kritisiert, dass sich "innerhalb von drei Jahren zwar die Anzahl der eingeleiteten Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche Mitarbeiterinnen ausländischer Geheimdienste fast verdreifacht hat, es jedoch lediglich in drei Fällen überhaupt zu Verurteilungen kam."
Martina Renner kritisierte auch die mangelnde Auskunftsbereitschaft der Bundesregierung zu den Aktivitäten ausländischer Geheimdienste in Deutschland und den Kenntnissen des zuständigen Bundesamtes für Verfassungsschutz. Gerade angesichts der bekannten massiven Ausspäh- und Einschüchterungsoperationen des türkischen Auslandsgeheimdienstes gegenüber Erdogan-Kritiker auch in Deutschland, der Schüsse auf den kurdischstämmigen Fußballer Deniz Naki sowie der Entführung eines vietnamesischen Geschäftsmannes aus Berlin in die Volksrepublik Vietnam sei jedoch eine umfassende Unterrichtung sowohl das Parlaments als auch der Öffentlichkeit zwingend geboten, so Renner weiter. Ganz offensichtlich wolle die Bundesregierung durch ihr Schweigen das "Ausmaß der Geheimdienst-Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten autoritärer Regime wie der Erdogan-Regierung in der Türkei vor der Öffentlichkeit und dem Parlament verschleiern".
Für Martina Renner steht fest, dass sie weiter am Ball bleibt, für sie gehört zu den "vordringlichsten Aufgaben" ihrer Abgeordnetentätigkeit die "Kontrolle von Regierungshandeln und deren nachgeordneten Behörden. Die Kontrolle der Geheimdienste des Bundes – also Bundesamt für Verfassungsschutz, BND und MAD ..."
Dabei betrachtet sie "das parlamentarische Fragerecht als ein wesentliches Kontrollinstrument - trotz aller Auskunftsverweigerungen und Aufklärungsblockaden". Renner gegenüber Telepolis:
"Ich habe in den ersten vier Monaten dieser Legislaturperiode mehr als 20 Kleine Anfragen gestellt, viele davon zum Bereich rechte und rassistische Gewalt und zu Rechtsterrorismus. Wie schon in der Vergangenheit sind wir damit konfrontiert, dass uns die Geheimdienste unter Verweis auf ein ominöses 'Staatswohl' Antworten auf die einfachsten Fragen verweigern. Wir lassen uns davon aber nicht entmutigen und haben in der Vergangenheit gezeigt, dass wir im Zweifelsfall das Bundesverfassungsgericht anrufen und dort auch Recht bekommen. Wie im vergangenen Jahr, als das Bundesamt für Verfassungsschutz die Quellenmeldungen und Identitäten von V-Leuten in der Wehrsportgruppe Hoffmann offenlegen musste.“