Zum Verhältnis von Glauben, Philosophie und Naturwissenschaft

Seite 2: Vermeintliche Erklärungen des Menschen

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Die Liste ließe sich lange fortsetzen. Hier sei bloß noch an Francis Crick erinnert (Nobelpreis für Physiologie oder Medizin, 1962), der in den frühen 1990ern das Wesen des Menschen erklären wollte ("The Astonishing Hypothesis: The Scientific Search for the Soul"); an seine Nacheiferer in Deutschland oder den Niederlanden, die ihre abstrusen Gedanken über Willensfreiheit in Büchern hunderttausendfach verkauften; oder auch an Antonio Damasio, der die weltweite Öffentlichkeit mit seiner Neophrenologie in die Irre führte.

Vielen dieser Fälle ist gemein, dass nicht nur die philosophischen Schlussfolgerungen äußerst fraglich sind, sondern schon die naturwissenschaftlichen Sachverhalte falsch dargestellt sind. Das ging - wohlgemerkt, unter den Augen der "kritischen Öffentlichkeit" - sogar soweit, experimentelle Befunde ins Gegenteil zu verkehren.

Interessen, die sich auszahlen

Man denke dabei etwa an Benjamin Libets Experiment, die angeblichen Befunde zu halluzinierten Willensentscheidungen (Lassen sich Willenstäuschungen erzeugen?), oder das unrühmliche Stille-Post-Spielchen um den neurologischen Patienten Phineas Gage (Legt das Gehirn alles fest?).

Crick muss man allerdings insofern verteidigen, als er seine Erklärung noch als Hypothese darstellte, anders als die späteren Autoren, die sie als unumstößliche naturwissenschaftliche Wahrheit verkauften. Es handelt sich wohlgemerkt stets um Hirnforscher, also Naturwissenschaftler im Hoppeschen Sinne.

Dass deren Interessen durchaus philosophisch und theologisch sind, ist hiermit hinreichend belegt; und diese zahlen sich in barer Münze aus, in Vortragshonoraren, Buchtantiemen und Forschungsmitteln. Am Rande: Auch meine wissenschaftliche Karriere verdankt sich diesem neurophilosophischen Hype. Ich beiße hier also gewissermaßen in die Hand, die mich füttert. Dafür werde ich seit 2009 bezahlt.

Irrelevante Philosophie?

Christian Hoppe verkennt also, dass Naturwissenschaftler sich aus freien Stücken auf philosophische Gewässer begeben, wenn er fortfährt: "Ich sehe dieselbe Problematik wie für die Theologie auch für die (Natur-) Philosophie; denn auch deren Fragestellungen, Konzepte usw. liegen außerhalb der naturwissenschaftlichen Theoriebildung und können auf diese aus methodischen Gründen ebenfalls nicht zurückwirken."

Philosophen würden "regelmäßig" ihre Rolle für den natur- und neurowissenschaftlichen Erkenntnisfortschritt überschätzen. Ist es aber nicht umgekehrt so, mindestens seit der "Dekade des Gehirns", den 1990ern, dass Natur- und Neurowissenschaftler die Bedeutung ihrer Erkenntnisse für Philosophie, Rechts- und Sozialwissenschaften überschätzen? Wenn man die Wissenschaftsgeschichte ernst nähme, dann wüsste man, dass es ähnliche Diskussionen schon im 19. Jahrhundert gab, Stichwort: Materialismusstreit.

Das von damaligen wie heutigen Hirnforschern als alternativlos dargestellte Neuro-Strafrecht gibt es jedenfalls bisher in keinem einzigen Land. Aus Gründen übrigens, die sich nicht natur- oder neurowissenschaftlich, sondern rechts- und sozialwissenschaftlich erschließen lassen. Menschen und ihre Gesellschaften funktionieren eben nach anderen Regeln als die Zellen und Moleküle des Nervensystems.

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