Zumutbarer Kriegsdienst? Keine Ersatzpässe für wehrfähige Ukrainer mehr
Wie wehrpflichtige Ukrainer in Deutschland durch strenge Vorschriften gezwungen werden könnten, in ein Kriegsland zurückzukehren. Politiker sprechen von Notwendigkeit.
Wehrpflichtige Ukrainer, die in Deutschland leben, brauchen einen Reisepass. Es ist ein zentrales Dokument für Identifikation und Aufenthaltsrechte. Ohne gültigen Reisepass können sie Schwierigkeiten haben, ihre rechtliche Situation zu klären und ihren Aufenthalt in Deutschland zu legitimieren. Seit Ende April dieses Jahres bekommen sie in den ukrainischen Konsulaten keine Pass-Aktualisierung mehr.
Nun haben die hessischen Ausländerbehörden begonnen, wehrpflichtigen ukrainischen Männern keine deutschen Ersatzreiseausweise mehr auszustellen, wie der Tagesspiegel berichtet.
Die Folge: Die Männer müssten sich ihre Papiere in der Ukraine besorgen, was sie einem großen Risiko aussetzt, dass sie zu einer Armeeeinheit einberufen werden und bei einem Einsatz verwundet oder getötet werden.
"Reise in die Ukraine zumutbar"
Auf eine Anfrage der AfD im hessischen Landtag fällt die Antwort der Ministerin für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales, Heike Hofman, SPD, so aus, dass dieses Risiko zumutbar ist:
Hessische Ausländerbehörden werden ukrainischen Männern im wehrfähigen Alter grundsätzlich keine deutschen Ersatzreiseausweise ausstellen. Es ist ihnen zumutbar, zur Passbeschaffung in die Ukraine zu reisen und der Wehrpflicht nachzukommen.
Antwort, Ministerin für Arbeit, Integration, Jugend und Soziales
Laut den Informationen des Mediums hat das Bundesinnenministerium "wiederholt" eine Rechtsauffassung geäußert, wonach die Ableistung von Wehrdienst "auch konkret im Fall der Ukraine als zumutbar angesehen" werde.
In Hessen beträgt die Zahl der ukrainischen Männer im wehrfähigen Alter laut Auskunft der Ministerin rund 20.000. Wie viele davon aktuell von dieser Regelung betroffen sind, wird in der Antwort nicht genannt, stellt das Blog "Augen Geradeaus!" fest.
Dort heißt es, um deutlich zu machen, welche Konsequenzen die Entscheidung der Behörde hat: Zwar würden nach Angaben des Ministeriums die ukrainischen Männer zwischen 18 und 60 Jahren nach EU-Vorgaben ebenso wie andere Ukrainer vorübergehenden Schutz in Deutschland erhalten. Aber:
Administrativ werden sie aber faktisch zur Ausreise verpflichtet, wenn sie keine gültigen Papiere mehr haben.
Thomas Wiegold, Augen geradeaus!
Bayern zeigt Verständnis
Macht das hessische Vorgehen bundesweit Schule, dann wird die Situation für viele Ukrainer in Deutschland im wehrpflichtigen Alter schwierig. Als Schätzung wird meist eine Zahl von über 200.000 angegeben. Auch in Bayern zeigt man Verständnis für diese strikte Regelung, so der Tagesspiegel. Weitere Länder könnten folgen.
Politiker unterstützen die Maßnahmen
Zumal, wie sich anhand der von dem Medium zitierten Aussagen zeigt und dies nicht zum ersten Mal, dass Politiker Maßnahmen unterstützen, die der Wehrpflicht im Kriegsland dienen. Dazu muss man wissen, dass es in der Ukraine kein Recht auf Kriegsdienstverweigerung gibt und die Chancen, Ersatzdienst etwa bei der Feuerwehr zu leisten, nicht so sind, dass man darauf bauen könnte.
Der Tagesspiegel zitiert etwa den SPD-Verteidigungspolitiker und Bundestagsabgeordneten Joe Weingarten damit, dass er die hessische Regelung für vernünftig halte und Verständnis dafür habe:
Es kann nicht sein, dass die einen Ukrainer in einem schweren Abwehrkampf den Kopf hinhalten und die anderen sich hier in Deutschland dieser Pflicht entziehen.
Joe Weingarten, SPD
Der parlamentarische Geschäftsführer der Union im Bundestag, Thorsten Frei (CDU), betonte die Notwendigkeit für die Ukraine.
Wenn die Ukraine sich erfolgreich gegen Russland verteidigen will, braucht sie diese Männer im wehrfähigen Alter
Thorsten Frei
Luft für ukrainische Männer im wehrpflichtigen Alter wird dünn
Dass die Luft für ukrainische Männer im wehrpflichtigen Alter, die in Deutschland Schutz suchen, dünner wird, wurde schon im Juni deutlich. Da zitierte ND das Bundesinnenministerium mit der Haltung, dass "die Kriegsdienstverweigerung von Ukrainern nicht als Menschenrecht mit Vorrang" ansehe. Persönliche Interessen" stünden den "Interessen des ukrainischen Staates an einer wirksamen Verteidigung" gegenüber.
Es sei daher vertretbar, so die Parlamentarische Staatssekretärin bei der Bundesministerin des Innern und für Heimat, Rita Schwarzelühr-Sutter, "dass die Interessen des Einzelnen hinter denen des Staates als Ganzes zurücktreten müssen".
Die Ausstellung von Ersatzreisepässen liegt in der Zuständigkeit der einzelnen Bundesländer. Nicht nur in Hessen, sondern auch in Bayern gibt es Verständnis für den strikten Kurs der Ukraine. In Bayern werden betroffenen Männern "regelmäßig keine Passersatzdokumente in Form von Reiseausweisen für Ausländer" ausgestellt, wie nun eine Sprecherin des bayerischen Innenministeriums mitteilte.
Mitte Mai hatte das ukrainische Parlament ein verschärftes Mobilisierungsgesetz beschlossen. "Wer 25 Jahre alt ist, kann nun an die Front geschickt werden, zwei Jahre früher als bisher. Ab dem Alter von 18 Jahren muss der Grundwehrdienst absolviert werden", berichtete die NZZ.
Kiesewetter: Der Ukraine nicht in den Rücken fallen
Dort wird der CDU-Politiker und Oberst a. D. Roderich "all-in"-Kiesewetter mit den Worten zitiert: "Wir dürfen den Bemühungen der Ukraine nicht in den Rücken fallen." Seine grundsätzliche Haltung machte er schon Jahreswechsel deutlich.
Abschiebung müsse nicht sein, die Kürzung des Bürgergelds wolle er aber nicht ausschließen. Für ihn ist das ein Anreiz zur Ausreise - "eine Frage des Zusammenhalts und der Kameradschaft, den Kampf der Ukraine zu unterstützen".