Zur Neuordnung des Berliner Affenhügels
Die rot-grüne Koalition: Noch nie war sie so gut wie heute!
Berlins Machtspitze wird teilrenoviert. Personalpolitik ist, wie bereits der Name verrät, eine unsachliche Angelegenheit, indes: sie soll der Sache dienen. Des Kanzlers zweite Regierungszeit braucht neue Männer und auch einige Frauen. Schon deshalb, weil es so nicht weiter gehen kann, weil es eben nicht weiter geht. Also muss auch das Personenkarussell mächtig rotieren, damit wenigstens der Glaube an die politisch formbare Zukunft in den hängenden Köpfen wieder hergestellt wird. Schröder zeigt zumindest Macht, wenn es um fremde Köpfe geht. Dass Däubler-Gmelin gehen musste, gebot bereits das diplomatische Anstandsminimum gegenüber den reizbaren Herren der Welt. Julian Nida-Rümelin ist als Ethik-Professor kompetenziell in der Universität noch besser aufgehoben als in der Regierung. Riester und Müller waren angeblich keine "Bringer", obwohl gestern noch lauthals das Gegenteil verkündet wurde. Der Kanzler soll die Nase von Quereinsteigern, denen letzter parteipolitische Schliff und Standing fehlen, voll haben. Aber das sind politische "Petitessen", um einen Begriff des Altkanzlers Brandt zu restaurieren.
Schröders wahrer Personalpolit-Joker und Multimacher ist Wolfgang Clement. Ein Superminister ward uns geboren. Super ist vor allem, dass Arbeit und Wirtschaft nun in ein Mega-Ressort gedrängt werden, weil der logische Zusammenhang beider Regelungsmaterien sich auch dem schlichtesten Betrachter aufdrängt. Ohne florierende Wirtschaft keine Arbeit und vielleicht gilt das auch umgekehrt. Dafür steht nun der Genosse der Bosse. Eine paradoxe Personalunion, die den alten Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit "irgendwie", also mit Hartz und Herz, Hirn und Hand versöhnen soll. Doch der Streit mit den Gewerkschaften um das "Eingemachte" wäre bereits vorprogrammiert, wenn Clement nun das Kündigungsschutzgesetz und das Teilzeitgesetz lockern wollte, was die Bundesregierung gegenwärtig noch dementiert. Neue Freiräume bei ihrer Personalpolitik dürfte Unternehmen erfreuen. Aber verkraftet das System der sozialen Sicherung solche Flexibilitäten?
Warum Clement nach Jahren der Hoffnung und dem späten Lohn, Landesvater von NRW zu werden, nun nach Berlin zieht, fragen allenfalls die Naiven. Politiker sind so flexibel wie ortsungebunden, omnipotent und omnikompetent, wenn es um die Veredelung ihrer Karriere geht. Und auch die NRW-Regierungsbilanz bietet wohl wenig Anlass zu bleiben. Der allzeit etwas misanthropisch dreinblickende Clement soll, weil er es angeblich kann, nun unbequeme Wahrheiten aussprechen. Als ob man dafür noch Politiker bräuchte, wenn Arbeitslosigkeit und Rezession per se bereits eine so ausdrückliche Sprache besitzen. Clements Ruf passt immerhin gut zu dieser paradoxen Unvereinbarkeitsharmonisierung von Wirtschaft und Arbeit, die Schröders bisherige Regentschaft eher bescheiden ausfallen ließ. Was nun auf dem Reißbrett des Kabinetts die Aura der Machbarkeit verstrahlt, ist allerdings auch schon längst von wichtigtuerischen Alphamännchengesten überschattet. Trittin und Clement streiten sich bereits munter um die Kompetenzen, weil es immer um die Sache oder doch nur die ressortegoistische Verteilung des Machtkuchens geht. Beide reklamieren die Energiepolitik als hauseigene Angelegenheit. Offenbar soll Trittin nun doch die Abteilungen für erneuerbare Energie erhalten. Und da wir nur das entscheiden können, was wir nicht entscheiden können (Heinz von Foerster), wird auch das entschieden. Von einem eigens einberufenen koalitionären Entscheidungskomitee. Demokratie ist lustig (Joseph Beuys). Renate Künast (Grüne) will sich die Zuständigkeit für Wettbewerbs- und Verbraucherschutzrecht einverleiben und der Vorstoß von Hans-Christian Ströbele zielt darauf, den Grünen - oder doch vielleicht sich selbst - das Justizministerium als viertes Ressort zu sichern.
Auch ein Superministerium aus Gesundheit und Soziales könnte Schröders neue Politik der kompetenziellen Superlative demnächst noch bereichern. Scheint so, dass die Ressorts nicht groß genug ausfallen können, um die bundesrepublikanischen Machbarkeitsvisionen wenigstens in Gestalt von Kompetenzriesen plausibel zu machen. Politikern bleibt ohnehin von Haus aus nichts anderes übrig, als Morgenstimmung zu verbreiten und pessimistische Ratten daran zu hindern, das Schiff zu verlassen. Einiges bleibt indes beim Alten, auch wenn das kein Grund ist mit Verona Feldbusch zu hoffen, die Zukunft bliebe so, wie sie einmal war. Edelgard Bulmahn (Bildung) mag weiter gegen anachronistischen Bildungsföderalismus und pisanische Bildungsverelendung kämpfen. Heidemarie Wieczorek-Zeul (Entwicklung), Hans Eichel (Finanzen), Otto Schily (Inneres) und Peter Struck (Verteidigung) bleiben zunächst mal sitzen - in der Kabinettsrunde.
Insbesondere auf Struck kommen schwere bis bittere Zeiten zu, da der Verteidigungsauftrag der Bundeswehr in friedenslüsternen Zeiten wie diesen noch manche indiskrete Anfrage aus Übersee auslösen mag. Der pazifistisch geläuterte Traum einer Berufsarmee laut grünem Wahlprogramm ist bereits vom rot-grünen Tisch der Koalitionäre gewischt worden. Aber wie nun Streitkräftemodernisierung und Schrumpfetat zusammenpassen, zudem ein reuiger (?) Schröder internationale Verpflichtungen angemahnt hat, scheint keiner zu wissen. Den zukünftigen Sieg über den Terrorismus wird sich der global sicherheitsbewusste Bürger nicht nur hier zu Lande jedenfalls einiges kosten lassen müssen. FreedomŽs just another word for nothing left to lose?
Vielleicht sind die in der Öffentlichkeit dick aufgetragenen Personalien, diese kostengünstigen Verheißungen neuer Stärke für unsere stimmungsabhängige Demokratie und nicht minder stimmungsabhängige Wirtschaft das richtige Zeichen. Aber hinter den neuen wie alten rotgrünen Großköpfen mit Hang zur Kompetenzerweiterung quälen die europäischen Zwänge, die internationalen "Verwerfungen" und nicht zuletzt die Unwägbarkeiten des immer währenden Freiheitskampfs des Texaners. So wird die partielle Neubesiedelung des Affenhügels allein nicht viel richten, so tatkräftig sich Schröder und Fischer nun auch bei ihrer zweiten Chance inszenieren. Aber nur Geduld: Nach der Personalpolitik kommt die Sachpolitik, die derzeit noch unter beruhigender Ausklammerung der Finanzierungsfragen betrieben wird. Doch der allmächtige Finanzierungsvorbehalt, der auch private Haushalte peinigt, könnte auch Klimaschutzpläne und Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur inklusive so zweifelhafter Prestigeobjekte wie Metrorapid oder ICE-Trasse durch Thüringen als rot-grüne Blütenträume verwehen lassen.