Zuwanderung nach Wunschzettel: Kommen jetzt die passenden Fachkräfte?
Nach der Zustimmung zum EU-Asylkompromiss hat die Ampel-Mehrheit im Bundestag ein neues Fachkräfteeinwanderungsrecht beschlossen. Wer dadurch leichter einreisen kann.
"Mogelpackung" nennen es die Unionsparteien, vor einer "Zwei-Klassen-Migrationspolitik" warnt dagegen Die Linke: Der Bundestag hat an diesem Freitag mit den Stimmen der Ampel-Parteien eine Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes und eine Ausweitung der sogenannten Westbalkan-Regelung beschlossen. AfD- und Unionsfraktion hatten geschlossen dagegen gestimmt, die Linksfraktion hatte sich enthalten.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) meint, Deutschland bekomme nun "das modernste Einwanderungsrecht der Welt", wie sie gleich zu Beginn der Debatte sagte. "Das ist ein guter Tag für die Bundesrepublik Deutschland."
Der Gesetzentwurf soll im Grunde profitable Migration erleichtern, nachdem durch die Zustimmung zum EU-Asylkompromiss die Einreise von Traumatisierten und Armutsflüchtlingen erschwert wird. Dieser "Nützlichkeitsrassismus" ist der Kritikpunkt der Linken, während Unionsparteien und AfD immer noch meinen, dass es weniger profitablen Einreisewilligen zu leicht gemacht wird.
Wer mindestens zwei Jahre Berufserfahrung und einen im Herkunftsland staatlich anerkannten Berufsabschluss hat, soll nach der neuen Regelung als Arbeitskraft einwandern können. Der Berufsabschluss muss künftig nicht mehr in Deutschland anerkannt sein – "das bedeutet weniger Bürokratie und damit kürzere Verfahren", verspricht die Bundesregierung.
"Chancenkarte" für Arbeitssuchende nach Punktesystem
Neu eingeführt wird auch eine sogenannte Chancenkarte zur Arbeitssuche, basierend auf einem Punktesystem: Zu den Auswahlkriterien gehören Qualifikation, Deutsch- und Englischkenntnisse, Berufserfahrung, Deutschlandbezug, Alter und mitziehende Lebens- oder Ehepartner.
Bis zu sechs Monate darf mit dieser Chancenkarte die Arbeitssuche dauern. Die Möglichkeit einer Verlängerung um bis zu zwei Jahre ist vorgesehen, wenn ein Arbeitsvertrag oder ein verbindliches Arbeitsplatzangebot für eine inländische qualifizierte Beschäftigung vorliegt und die Bundesagentur für Arbeit zustimmt.
Spurwechsel für Asylsuchende mit guten Arbeitsmarktchancen
IT-Fachkräfte sollen künftig auch ohne Hochschulabschluss einreisen dürfen, sofern sie bestimmte Qualifikationen nachweisen können. Leichter werden soll auch der "Spurwechsel" für Asylsuchende, die vor dem 29. März 2023 eingereist sind und bereits eine qualifizierte Tätigkeit ausüben oder nachweisbar in Aussicht haben.
Der CSU-Abgeordneten Andrea Lindholz ist das alles zu liberal: Zwar stehe auf dem Gesetz "Fachkräfteeinwanderung" – es gehe aber vor allem um die "Zuwanderung von Geringqualifizierten aus aller Welt und ein neues Bleiberecht für Ausreisepflichtige", sagte sie in der Bundestagsdebatte. Das Gesetz sei ein "Risiko" und nicht modern, sondern "eine Mogelpackung und es löst nicht das Fachkräfteproblem in Deutschland".
Menschenrechte versus Brain-Drain
Gökay Akbulut (Die Linke) hält es dagegen für "zu einseitig an den Interessen der Wirtschaft und der Arbeitgeber ausgerichtet". Eine Reform des Einwanderungsrechts müsse sich aber vor allem an menschenrechtlichen Gesichtspunkten orientieren. "Wir wollen, dass die Rechte der Migrantinnen und Migranten gestärkt werden", so die Abgeordnete.
Es sei zwar erfreulich, dass die Ampel in dem Entwurf nachgebessert habe und den Familiennachzug erleichtern wolle. Davon würden aber nur Fachkräfte profitieren, die als leitende Angestellte, Führungskraft oder "Unternehmensspezialist" tätig seien. Das führe zu einer "Zwei-Klassen-Migrationspolitik". Ihre Fraktion enthielt sich daher letztendlich.
Was in Teilen der Linken außerdem kritisiert wird, ist der "Brain-Drain": Statt einer umfassenden Aus- und Weiterbildungsoffensive für Menschen mit oder ohne Migrationshintergrund, die bereits hier leben – und attraktiveren Arbeitsbedingungen etwa im Pflegebereich – wird darauf gesetzt, dass Fachkräfte, in deren Ausbildung andere Länder investiert haben, sich entscheiden, nach Deutschland zu kommen.
Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft von 2022 könnten in Deutschland bis zum Jahr 2035 rund 307.000 Pflegekräfte in der stationären Versorgung fehlen. Zur Schließung dieser Versorgungslücke soll unter anderem das reformierte Fachkräfteeinwanderungsrecht beitragen.