Zwei Jahre Ukraine-Krieg: Was Frauen auf beiden Seiten der Front erleiden
Seite 2: Von Beauty-Influencerin zwischen die Medienfronten
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Eine russische Kollegin und ich schafften es für einen Bericht der Münchner Abendzeitung, Marianna nach ihrer Flucht aus Mariupol in Donezk zu sprechen.
Wie viele Ukrainer war sie aus dem Kampfgebiet in Richtung Russland geflohen, da nach der Eroberung ihrer Stadt durch die Russen dies die einzige Fluchtmöglichkeit war. Vorherige Evakuierungsversuche ins Regierungsgebiet waren zuvor gescheitert.
Zum Angriff auf die Geburtsklinik konnte sie nur beisteuern, dass sie zwei Explosionen gehört habe und dann lag die Klinik in Trümmern – als Kronzeugin taugte sie für keine der Krieg führenden Seiten. Die Tatsache, dass zwei Häuser weiter nach ihrer Auskunft eine Stellung von ukrainischen Regierungssoldaten lag, in einem anderen Gebäude des Krankenhauses, macht einen fehlgeleiteten russischen Angriff zu einer wahrscheinlichen Ursache des tragischen Vorfalls.
Marianna Wischemirskaja machte den Eindruck einer völlig unpolitischen jungen Frau, die durch den furchtbaren Krieg zwischen die Fronten der Armeen wie der Medien geriet. Später zog sie mit ihrem Kind von Donezk weiter nach Moskau, wo sie ihren Beauty-Blog bei Instagram nach einer Pause wiederaufnahm.
Ein Internet-Dienst übrigens, der aktuell in Russland bereits gesperrt und nur noch über Umwege erreichbar ist, aber immer Mariannas Hauptbetätigungsfeld war. Weit weg von der Politik lebt sie nun weiter von Kosmetik- und Körperpflegeprodukte-Tests, zu denen sie nach ihrem unfreiwilligen Ausflug in die politischen Medien zurückfand.
Irina Gurskaja – Flüchtlingshelferin zur Flucht genötigt
Viele Ukrainer verließen das Kriegsgebiet wegen fehlender Alternativen in Richtung Russland, da sie sich unversehens hinter der Front befanden. Während Wischemirskaja sich mit einem Leben dort anstatt in der zerstörten Heimatstadt abfand, gibt es viele andere ukrainische Flüchtlinge, deren erste Gedanken nach der Invasion darum kreisten, wie sie von Russland in die EU oder das ukrainische Regierungsgebiet weiterreisen konnten – beides ein gefährliches Abenteuer mit vielen Umwegen.
Eine Reportage des TV-Senders Arte befasste sich mit solchen Flüchtlingen, die aus der russischen Stadt Pensa weiter ins Baltikum wollten. In Pensa lebten sie in einem Lager, etwas abseits der Stadt.
Vor Ort halfen ihnen oppositionell gesinnte Russen mit humanitärer Hilfe ebenso wie organisatorisch mit der Geldbeschaffung zur Weiterreise. Eine der hilfsbereiten Menschen aus Pensa war die Rentnerin Irina Gurskaja, die auch viele Dinge koordinierte und mit der ich nun für Telepolis sprach.
Wie sie erzählte, wurde der russische Inlandsgeheimdienst FSB in Bezug auf die Helfergruppe schnell hellhörig, da er das Lager mit den Ukrainern observierte. Irina erfuhr von der ungewollten Aufmerksamkeit über die Bemerkung eines örtlichen FSB-Offiziers im sozialen Netzwerk Telegram.
Russische Helferin diffamiert als Unterstützerin der "Ukronazis"
Kurz darauf fand sie die Schmiererei "Unterstützer der Ukronazis" an ihrer Wohnungstür, bekam Besuch von Polizisten in Uniform und Zivilbeamten, die sie mit auf die Wache nahmen.
Auf dem Rückweg wurde sie von zwei Maskierten verschleppt und bedroht. Diese durchsuchten ihr Handy, zündeten Blendgranaten neben ihr. Sie kam mit einer Gehirnerschütterung, einer Armverletzung und einem beschädigten Trommelfell davon. Ihr wurde jedoch klar, dass sie Russland verlassen musste, bevor ihr schlimmeres drohte.
Ihr Glück war, dass durch die Arte-Journalisten ihre Tätigkeit gut dokumentiert war. Diese halfen ihr, von der deutschen Botschaft gemeinsam mit ihren beiden erwachsenen Töchtern drei der wenigen humanitären Visa zu erhalten, die bisher von Deutschland für oppositionelle Russen ausgestellt wurden.
Wer beispielsweise vor der Mobilisierung für den Kriegseinsatz nach Deutschland floh, hatte kaum eine Chance auf Anerkennung als Flüchtling.
Flucht von russischen Dissidenten und EU-Ignoranz
Die drei Frauen kauften Flugtickets über Istanbul nach Deutschland, eine der wenigen Möglichkeiten, aktuell noch zwischen Russland und der EU zu reisen. Letzte Schrecksekunden gab es bei der Ausreise, wie eine der Töchter Telepolis erzählte. "Es war beängstigend, am Flughafen durch die Kontrolle zu gehen. Meine Mutter hatte Angst, dass ihr die Ausreise verweigert werden könnte."
Die Frauen hatten Glück und die Grenzbehörden wussten nichts von Irina Gurskajas Problemen mit den Behörden in Pensa. Ein Strafverfahren lief nicht.
So gelang ihnen die Ausreise, sie leben heute im Westen Deutschlands. Irina Gurskaja bedauert das Schicksal der zurückgebliebenen, nichteinverstandenen Russen.
Wer anderer Meinung ist, hat nicht viele Möglichkeiten. Entweder innere, stille Emigration oder alle Kräfte und Ressourcen sammeln, um die Ausreise zu planen. Sonst bleibt nur die radikale Konfrontation, wie man sie in den Nachrichten liest, mit unweigerlicher Festnahme.
Prominenteste von vielen
Den drei geschilderten Schicksalen ließen sich leider noch viele weitere hinzufügen. Etwa das der jungen Oppositionspolitikerin Anastasia Brjuchanowa.
Es zeigt, dass die Angst von Irina Gurskaja, auf der Fahndungsliste der Behörden zu landen, nicht unbegründet war, denn Brjuchanowa landete genau dort. Oder das der mutigen Frauen von zwangsmobilisierten Soldaten, die trotz Repressionen in Moskau und anderen Städten für die Rückkehr ihrer Männer demonstrieren.
Geschichten wie diese zeigen zweierlei. Zum einen bringt der Ukraine-Krieg als großangelegter Konflikt eine enorme Menge Leid mit sich. Und jeder weitere Kriegstag produziert neue, schlimme Schicksale und Tote, auch abseits der Front. Das ist zudem ganz unabhängig davon, welche der beiden Armeen aktuell vorwärts marschiert und welche sich in der Defensive befindet.
Zum anderen hat sich das System Putin in Russland radikal verschärft, auch wegen der verstärkten Mentalität einer belagerten Festung gegen den Westen. Jede noch so kleine als Opposition deutbare Tätigkeit, ob Flüchtlingshilfe oder Social Media Posts, birgt eine ernste Gefahr selbst für Prominente.
Paranoide russische Behörden
Das war im Russland vor der Ukraine-Invasion nicht so. Solange man sich damals nicht aktiv an fundamentalen Oppositionsbewegungen wie der von Nawalny aktiv beteiligte, war die Meinungsäußerung im privaten Umfeld oder auch humanitäre Arbeit für Organisationen ungefährlich. Selbst wenn sie kein so gutes Verhältnis zu den Behörden hatten.
Während der Krieg über den Weg von Verhandlungen, die aktuell keine Seite anstrebt, beendet werden könnte, ist es eine offene Frage, ob und wie der neue, extrem repressive Charakter des russischen Regierungssystems enden soll. Die Repressionen sind nicht Folge einer akuten Umsturzgefahr und gleichen eher einer Paranoia der Behörden vor jeder Form der Abweichung.
Unverständlich ist jedoch, warum sich die EU dissidenten Russen gegenüber eher verschließt und humanitäre Visa wie an Irina Gurskaja bisher nur in niedriger vierstelliger Anzahl ausgestellt wurden.
Denn der Braindrain durch Auswanderung gut qualifizierter Kriegsgegner und der radikale Arbeitskräftemangel sind aktuell wichtige Gefahren für die Stabilität der russischen Wirtschaft. Sie stellen sogar größere Gefahren dar als die vielfältigen Sanktionen und Boykotte, die teilweise eher den Effekt haben, auch nichteinverstandene Russen auszugrenzen.