Zwischen Heimarbeit und Live-Performance
Interview mit Lionel Fernandez, Sylvie Astié, Isabelle Piechaczyk und Erik Minkkinen von "büro."
Wie kam es zu Eurer Zusammenarbeit als "büro."?
büro.: (Erik Minkkinen) büro. besteht aus Lionel Fernandez, Sylvie Astié, Isabelle Piechaczyk und mir. Zwei des 6-köpfigen büro.-Personals sind heute nicht hier, Denis Chevalier und Olivier Morel. Bevor wir büro. machten, organisierten Lionel, Isabelle und ich das É.P.É.
(Isabelle Piechaczyk) Als das É.P.É schließen mußte, wollten wir aber weiterhin Events mit elektronischer Musik in Paris organisieren. Also veranstalteten wir einen Abend mit Sub Rosa. Kurz darauf starteten wir dann büro. mit einem Konzert mit Jim O'Rourke, Fennesz und Peter Rehberg, später dann mit Farmers Manual. Die Idee war von Beginn an, Musik, Video, Filme und Installationen miteinander zu verknüpfen. Weil dies niemand anderes in Paris machte, beschlossen wir, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Das geschah wohl genau zur richtigen Zeit und alles ergänzte sich auf beste: Ich führe den Plattenladen "Wave", Sylvie gestaltet die Flyer, und wir annoncieren über das Netz.
Es erstaunt, daß Ihr zu den büro.-Events fast nur Projekte einladet, die von außerhalb Frankreichs kommen. Ist euch daran gelegen, bestimmte Einflüsse nach Paris zu bringen?
büro.: (Isabelle Piechaczyk) In erster Linie wollten wir bestimmte Musik in Paris sehen, also luden wir sie selbst hierhin ein...
...andererseits haben auch schon einige französische Projekte bei uns gespielt, nicht zuletzt Erik und Lionel.
(Lionel Fernandez) Aber man muß schon sagen, daß Frankreich mit dieser Art von elektronischer Musik, wie wir sie hier zeigen, sehr spät dran ist. Wenn wir also solche Events organisieren, dann deshalb, damit sie auch in Paris stattfinden. Vorher mußten wir immer durch Europa fahren, um derartiges zu sehen. Der Fehlstand galt aber nicht nur für das Organisieren, sondern auch für das Produzieren dieser Art experimenteller Musik. büro. und andere Gruppen bemühen sich zur Zeit darum, es dem größten Teil Europas nachzutun. Die Tatsache, daß es hier kaum Musiker gibt, die sich diesen "europäischen" Ästhetiken verpflichtet fühlen, führt dazu, daß unser Programm eher europäisch als französisch gefärbt ist. Glücklicherweise gibt es nun auch hier immer mehr Experimente mit elektronischer Musik - was vor einem Jahr noch nicht der Fall war, da gab es höchstens 2 oder 3 Formationen mit einem experimentellen Anspruch.
Glaubt Ihr, daß die büro.-Veranstaltungen, oder vielmehr, büro. als eine Art nomadisierender Institution, nicht nur die elektronische Musik in Paris pusht, sondern auch die elektronische Kultur insgesamt beeinflußt? Es gibt da ja die verschiedensten Ausrichtungen bei Euch, visueller und klanglicher Art: Sylvie, Du als Graphikdesignerin, Isabelle, du führst in Deinem Plattenladen vornehmlich elektronische Musik, Lionel und Erik, ihr vertretet mit Euren Projekten Sister Iodine und discom eine spezielle Art elektronischer Klangauffassung. Gerade "Wave" erscheint mit als eine Art Community-Treffpunkt. Ihr scheint nicht nur ein bestimmtes musikalisches Ambiente zu designen, sondern einen realen Ort für elektronische Kultur in Paris?
büro.: (Lionel Fernandez) Elektronische Kultur ist hier vorrangig eine Sache der Mainstreammedien. Wir hingegen schlagen einen experimentellen Weg vor. Dennoch ist zu beobachten, daß sich in dieser elektronischen Kultur mittlerweile Ideen festmachen lassen, die von unserem Ansatz ausgehen. Das hängt nicht zuletzt mit der aktuellen Entwicklung von "Techno" zusammen.
büro. erscheint in Paris als eine Art Insel: Wenn man Radio FG hört oder in einen Plattenladen geht, wird man vor allem eine Menge House und Techno finden. Vertretet Ihr mit Eurer Position ein "Sub" oder "Anti"?
büro.:: (Isabelle Piechaczyk) Wir kommen ja eher aus der Industrial-Szene der 80er. Für uns ist unsere Entwicklung also lediglich logisch.
(Erik Minkkinen) Es gibt in Paris immer mehr Leute, die elektronische Musik sehen wollen. Also geht man zu einem unserer Events, ebenso wie zu einem Konzert von Laurent Garnier. Das ist aber nicht ganz unsere Idee, diese Gleichmütigkeit, denn wir haben einen ganz spezifischen Ansatz in unserem Programm. Viele Leute kommen in einer Art elektronischem Überschwang hierher, was lustig ist. Ich glaube, auf diese Weise gewinnen wir eine Menge Publikum.
Ich habe mich heute mit den Leuten von Glassbox (Link zum Glassbox-Interview) und public (Link zum public-Interview) getroffen; es scheint daß bestimmte Szenen miteinander verknüpft sind. Gibt es aus Eurer Sicht einen Austausch zwischen den Communities, etwa zwischen der eher musikorientierten und einer Kunstszene, die auf ähnliche Weise wie Ihr halböffentlich organisiert ist?
büro.: (Lionel Fernandez) Es gibt da tatsächlich eine Verschmelzung des Publikums, von beiden Seiten her.
(Isabelle Piechaczyk) Das ist für uns in Paris ein recht neues Phänomen. Früher ging man getrennte Wege. Das Publikum, das zu unseren Events kommt, ist zum großen Teil an bildender Kunst interessiert und nähert sich darüber der Musik an.
(Sylvie Astié) Es kommen viele Leute aus dem künstlerischen Bereich hierher, die mit Computern bewußt arbeiten und zuvor nicht wußten, daß Musiker ähnlich mit Computern, CD Roms oder dem Internet umgehen wie sie.
Was hat es mit der Idee auf sich, daß Ihr Euch mit Euren Veranstaltungen in immer anderen Orten einquartiert?
büro.: (Isabelle Piechaczyk) In erster Linie war das reine Notwendigkeit, weil wir keinen eigenen Ort haben.
(Erik Minkkinen) Paris ist ein Ort, an dem es extrem schwierig ist, eine Location aufzumachen und zu führen. Auch war das É.P.É. schon ein fester Ort; daraus entstand die Idee, herumzuziehen und verschiedene Örtlichkeiten aufzusuchen. Das macht vor allem auch Spaß; es wäre schlichtweg langweilig, immer am gleichen Ort zu bleiben.
(Lionel Fernandez) Es ist ein Vergnügen für uns, sich immer wieder neu auszumalen, wie der jeweils nächste Raum mit der Musik und den Videos korrespondiert. Es ist also eine Freude für uns, herumzuziehen, genauso, wie es eine Notwendigkeit darstellt, genau daran zu glauben...
(Isabelle Piechaczyk) Das ist aber manchmal auch sehr schwer. Alles müssen wir herumtransportieren...
Isabelle, siehst Du in Deinem Laden mehr als einen normalen Plattenladen? Es kommt mir manchmal vor, als sei er als sozialer Raum eher mit einer Bar zu vergleichen....?
büro.: (Isabelle Piechaczyk) Ja, das stimmt wahrscheinlich, denn es gibt auch keine Bar mit derartiger Musik in Paris. Veilleicht machen wir das irgendwann mal, aber es ist sehr schwer, das in dieser Stadt durchzuziehen: man braucht hier so viele Genehmigungen - und so viel Geld...
(Sylvie Astié)...was übrigens auch eine Gemeinsamkeit zu public oder Glassbox ist.
Was sind Eure Langzeitpläne?
büro.: (Isabelle Piechaczyk) büro. 10 wird hoffentlich gut. Es wird in Wien stattfinden, beim Phonotaktik-Festival (Anm.:Phonotaktik ist inzischen bereits gelaufen, siehe TP-Bericht)
(Erik Minkkinen) Wir führen dort eines unserer Headphone-Festivals durch. Es wird Live-Performances mit Künstlern geben, die Kopfhörer aufhaben. Die Livesessions werden dann über 6 weitere Kopfhörer in einem kleinen Raum zu hören sein. Das geht dann so für 72 Stunden, wobei jeweils nur 6 Zuhörer im Raum sein können. So war es jedenfalls zuletzt in Paris, und in Wien soll es auch so sein. Das ganze ähnelt sehr der Situation, zuhause an Klang zu arbeiten. Es pendelt irgendwo zwischen Heimarbeit und Live Performance.
(Isabelle Piechaczyk) Und das Gute ist, daß man so lange bleiben kann, wie man möchte, und dabei ensteht etwas spezielles zwischen Musikern und Publikum, etwas sehr intensives.