Zwischen Medienernst und Guerillaspaß

"Die Fantastischen Vier" im Gespräch.

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Wieviel hat eine Band, auf deren musikalischem Einkaufszettel Pop schon immer ganz oben stand, mit Untergrund und Subversivität zu tun? Die Fantastischen Vier haben sich dem Dilemma aller ernstzunehmenden, kritischen Popbands elegant entzogen: Statt endlos die eigene Befindlichkeit zwischen Kommerzvorwurf und Street Credibility zu thematisieren, liefern sie nach zweijähriger Pause zu ihrer neuen Platte "4:99" die Medienkritik gleich mit.

Ein erfolgreiches Album zu veröffentlichen hat längst nicht mehr nur mit Musik als vielmehr mit einem Gesamtkunstwerk zu tun. Mit der Veröffentlichung der Single "Buenas Dias Messias" setzen die Stuttgarter Musiker auf einen halbernsten Mix aus PR und Besorgnis: die von ihnen ins Leben gerufene Autonome Medienguerilla soll an die Verantwortung im Umgang mit dem Rohstoff Information erinnern - was sie angreifen, bleiben dennoch jene medialen Strukturen, die der Band zur ihrer jetzigen Bekanntheit zumindest mitverholfen haben.

Verkleidet mit vor den Mund gebundenen Tüchern, "bewaffnet" mit Kameras und ideologisch gefestigt ("Wir sind gegen die Manipulation der Massen. Der Umgang mit Information ist Verantwortung. Kein Applaus für Scheiße [...]. Nachzulesen auf www.smudo.de/medien.htm) "überfielen" sie diverse Fernsehsendungen, dokumentiert wurde alles säuberlich im Videoclip.

Aber da wir es hier mit Kunst und nicht mit Wissenschaft zu tun haben, verlaufen die signifikanten Codes viel lockerer und manchmal im Sande. Jener dissimulatorische Effekt, den Smudo den Medien unterstellt, wird in "Hörspielen" übertüncht von der Beschwerde über den ungerechtfertigt hohen CD-Preis. Die Entscheidung, wie wichtig ihnen ihre beredt vorgebrachten Anliegen denn wirklich sind, überlassen sie lieber ihren Fans.

Autonome Medienguerrilla vor geheimem Hauptquartier

Die Autonome Medienguerilla, die ihr auf www.smudo.de ins Leben gerufen habt, soll durch spaßterroristische Medienanschläge Bewußtsein für Sensibilität im Umgang mit Information schaffen - bloßer PR-Gag oder euch ein Anliegen?

Die Fantastischen Vier: [Smudo:] Es ist kein reiner PR-Gag. Wenn du ein gutes Lied mit einer Aussage, die Menschen berührt, schreibst und dieses Lied auf Platte preßt, und es dann gekauft wird, dann kommt ja auch ein kommerzieller Aspekt mit hinein. Das verwässert aber an sich nicht die gute Aussage. Und die Autonome Medienguerilla ist ins Leben gerufen worden aufgrund des Liedes "Buenas Dias, Messias". Die Idee war: "Was können wir für einen Clip dazu machen?" In dem Lied geht's ja darum, daß Leute angeklagt werden, weil sie gefestigte Meinungen haben, obwohl sie gar nicht kompetente Meinungsgeber sind. Und die Autonome Medienguerilla spinnt diese Idee weiter, indem sie die Medien aufgrund ihres verantwortungslosen Umgangs mit Information anklagt. Diese Aktion, das Wohnen im geheimen Hauptquartier, die Internetseite, der Song und das Video - das gemeinsam ist ein Medienkunstwerk und der Clip ist das Vermächtnis.

[Thomas D:] Mehr als nur ein Medienkunstwerk, wenn ich mal an dieser Stelle kurz einhaken darf...Das ist eindeutig ein klarer Aufruf zur Revolution in den eigenen Köpfen. Es wird Zeit, auch mal andere Saiten aufzuziehen und den Leuten zu sagen: "Ist ja alles schön und gut, was wir machen, wir haben viel Spaß damit, aber man darf nicht vergessen, daß wir alle vorgefertigte Meinungen haben und durch die Einstellung, wir wüßten, wie die Dinge sind, ignorant und arrogant werden und dadurch andere Meinungen nicht mehr zulassen. Die ganzen Ego-Kriege auf der Welt, die zu allen Konflikten führen, rühren daher, daß es immer einen gibt, der glaubt, er wüßte, was besser ist für die ganze Welt. Gegen das spricht sich "Buenas Dias, Messias" aus - "Du bist nur Gast hier, du faßt hier nichts an". Wir müssen alle verdammt aufpassen, damit wir diese Welt hier noch ins nächste Jahrtausend geleiten, und wir sind jetzt dran - also nicht wir, die Fantastischen Vier, sondern eben wir alle, die wir jetzt langsam in die Position kommen, für die wir die Generation vor uns gehaßt haben. Wir müssen aufpassen, daß die Prägung, die wir bekommen haben, nicht dazu führt, daß wir die gleiche Scheiße noch einmal machen. Wenn's einer in der Hand hat, dann wir. Jetzt. Ich weiß nicht, ob die nächste Generation noch die Möglichkeit hat, den Karren aus dem Dreck zu ziehen, wenn wir nicht anfangen uns bewußt zu werden, daß jeder von uns die Verantwortung für die ganze Welt hat.

[Smudo:] Die kommende Generation wird womöglich ein bißchen informell behindert sein. Wenn Kinder denken, daß das, was sie im Fernsehen sehen, ein Abbild der Welt ist, dann ist das unverantwortlich von den Informationsherstellern, weil die Kids Rollenmodelle und Werte vorgesetzt bekommen, die so nicht richtig sind. Die Welt ist in Wirklichkeit gar nicht so einfach einzuteilen - das ist eine kulturelle Behinderung.

Eine sehr kulturpessimistische Sichtweise für eine erfolgreiche Band...Seid ihr der Überzeugung, daß die Medien stark und einflußreich genug sind, um Menschen auf diese Weise zu "täuschen"?

Die Fantastischen Vier: [Hausmarke:] Nein, wir zeigen mit dieser Aktion, mit den Kameras, die wie Waffen im Anschlag gehalten werden, nur auf, daß eine Kamera und die Information, die damit eingefangen und weitergeleitet wird, auch wie eine Waffe eingesetzt werden kann. Diese direkte Konfrontation mit Medien aller Art - wir haben aus Gründen der Praktikabilität bestimmte Beispiele ausgewählt - zeigt eigentlich auf, daß eine Kamera eine Waffe sein kann - daß Information ein sehr wichtiges Gut ist, mit dem verantwortungsvoll umgegangen werden muß.

[Smudo:] Das hat große Bedeutung in einer Zeit, in der die Information unheimlich wichtig geworden ist und uns ständig umgibt. Wir leben in der - nicht berauschend - voranschreitenden Informationsrevolution. Revolution passiert immer langsam und nicht an einem Wochenende. Sie schleicht sich an, bis alles ganz normal wird. Ich kann mir Promotion ohne Handy überhaupt nicht mehr vorstellen, das gehört inzwischen zum Standard. Gewisse Vorgänge im Kontaktmanagment wären sonst gar nicht mehr möglich, es gibt viele Bereiche, die durch Datenfernübertragung unheimlich einfach geworden sind, aber man muß auch wissen, daß das kulturelle Bewußtsein im Umgang mit Medien, mit Information, erst erlernt werden muß. Als der Mensch begonnen hat Autos zu bauen, mußte er sich Verkehrsregeln einfallen lassen. Das war ebenfalls eine Bewegungsrevolution - und die funktioniert nur unter gemeinsamen Regeln und gemeinsamer Verantwortung. Das ist mit Information genauso - das dürfen wir nicht vergessen.

Auf der neuen Platte sprecht ihr über den angeblich zu hohen Preis der CD - eine aktuelle Thematik im Umfeld von Musikpiraterie, MP3 etc. Dennoch ist es äußerst schwierig, auseinanderzuhalten, was ihr ernst meint und was bloß schmückendes Beiwerk ist. Absichtliche Verwirrtaktik?

Die Fantastischen Vier: [Hausmarke:] Bei uns schwingt immer beides mit, aber erst im nachhinein. Wir haben das so gesagt, weil der Reim war gut...

[Smudo:] ...aber der Inhalt war nicht klar...

[Thomas D:] Willst du jetzt darüber streiten?

[Hausmarke:] Durch die Diskussion hat sich dann dieser Inhalt ergeben, aber es würde zu weit führen zu sagen, das sei ein versteckter Angriff auf die tatsächlich vielleicht ein bißchen zu teuren CD-Preise.

[Thomas D:] Hey, ein bißchen? Das geht alles in' Arsch deswegen, ich find das auch recht aktuell, denn die Plattenfirmen haben - zumindest in Deutschland - 35% Umsatzeinbußen. Das heißt für einen normalen Konzern sofort Massenentlassungen, der geht den Bach runter. Compilations werden gekauft und Singles, und Alben kaufen die Leute nicht mehr, weil sie wahrscheinlich einfach zu teuer sind, da die Firmen konstant ihre CD-Preise halten wollen. Auf der anderen Seite kommen gleichzeitig die neuen Medien wie Internet und MP3 und das macht den Plattenfirmen natürlich Angst, allerdings sind sie hier wiederum zu träge um zu reagieren. Meiner Meinung nach wird sich das auf keinen Fall aufhalten lassen. Da müssen die Firmen jetzt sofort umdenken oder sie gehen ein.

[Smudo:] Die Rezension ist auf jeden Fall die Quittung für die Hochpreispolitik. Aber das war nicht der Grund dieses Hörspiels. Wenn wir über Hochpreispolitik sprechen und MP3, dann gibt's viel zu erzählen. CDs sind zu teuer, ganz klar. Die Quittung kriegt die Plattenindustrie - in Zeiten der allgemeinen Rezession werden natürlich die Hochpreissegmente besonders getroffen, mit MP3 hat das weniger zu tun. MP3 ist was ganz anderes: Die Technologie sucht ihren Weg, und daß die Plattenfirmen nicht sagen, "MP3 ist super" ist vollkommen normal. Selbst wenn sie mit MP3 ihre Vertriebswege aufs Netz ausweiten würden und Musik verkaufen, ist das Problem, daß man diese Musik digital kopieren kann. Deshalb suchen sie jetzt einen Standard, der die nötige Qualität aufweist und ein Wasserzeichen hat - in Wahrheit wissen wir, das alles kann gehackt werden. Aber der Punkt ist: Je geringer du die kriminelle Masse hältst, und je geringer der finanzielle Vorteil ist, Musik schwarz zu kopieren, desto geringer ist die Gefahr. Schwarz kopiert wird Musik ja heute auch in großem Stil. Aber wir reden nicht von irgendwelchen Hobby-Typen, sondern von palettenweise Celine-Dion-Scheiben, die irgendwo in Asien gepreßt werden, das gibt's auch. Und das hat nichts mit Hochpreispolitik zu tun. Die schnelle, zukunftsorientierte Firma wird Musik verkaufen. Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, Musik wird verkauft, ob auf CD oder Datenträger - völlig egal.

Wäre es für euch interessant, gewisse Stücke gratis anzubieten, wie zum Beispiel Public Enemy?

Die Fantastischen Vier: [Thomas D:] Smudo tut's teilweise.

[Smudo:] Wobei ich sagen muß, ich find' das nicht gut von Public Enemy, weil es nicht den Grund hatte, eine Revolution anzuzetteln, sondern weil das ihre Möglichkeit war, sich mit ihrem Label anzulegen.

[Hausmarke:] Da gibt's viel Politisiererei. Im Moment wird zuviel Müll produziert und wenige gute Produkte müssen die Plattenfirmen finanziell auffangen - dadurch entsteht wiederum diese Hochpreispolitik. Das schließt den Kreis zum "Keinen-Applaus-für-Scheiße-Statement." Insofern hängt alles zusammen.

[Smudo:] Wenn jeder dahergelaufene Halbmusikant Musik machen und die im Internet anbieten kann, lohnt sich's nicht, das A&R im Netz anzufangen, weil's so eine Flut von Scheiße gibt. Das bedeutet nun mal nicht, daß sich Talent multipliziert - Talent ist ein Rohstoff, der dadurch gar nicht zunehmen kann. An irgendeinem Punkt muß jemand die redaktionelle Verarbeitung übernehmen und sortieren - in gute und schlechte bzw. vermarktbare und nicht vermarktbare Musik. Das könnte die Aufgabe einer Plattenfirma der Zukunft sein.

[Hausmarke:] Das sollte eigentlich die Aufgabe der Plattenfirma sein - in Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit.

[Smudo:] Auf welchem Medium die Musik abläuft, spielt gar keine Rolle.

Ihr seid die Mit-, wenn nicht Begründer des deutschen Hip Hop, der inzwischen boomt wie kaum eine andere Musikrichtung. Wie seht ihr eure Rolle?

Die Fantastischen Vier: [Andi Y:] Eigentlich sind wir nur Trittbrettfahrer.

[Hausmarke:] Wir haben uns da auf einen Trend draufgesetzt um 1987.

[Thomas D:] Natürlich sind wir die Begründer.

[Hausmarke:] Keine Frage. Wir sind die ersten, die eine deutschsprachige Hip Hop-LP rausgebracht haben. Hip Hop in Deutschland wär' auch ohne die Fantastischen Vier entstanden, war aber nicht so. Wir haben's als erstes gemacht.

[Thomas D:] Opfer der Geschichte. Ob wir das damals wußten oder wollten: Wir haben's getan. Man kann uns jetzt Paten nennen oder Hip Hop-Opas oder die Begründer, oder die Erfinder, die Chefs...wir sind die Fantastischen Vier, wir machen geile Musik.